Dass sein Leben und Werk einmal zu einer Attraktion für Touristen werden sollte, hätte sich der ins Exil Vertriebene zu Lebzeiten kaum vorstellen können. Die zum 200. Geburtstag von Karl Marx am 5. Mai 2018 an zwei Standorten in seinem Geburtsort Trier gezeigte große Landesausstellung erfreute sich eines großen Besucherandrangs. Wer sich eingehender mit dem gewürdigten Vollbartträger und der Zeit, in der er lebte, befassen wollte, konnte zu einem parallel zu der Ausstellung veröffentlichen Ausstellungskatalog greifen, herausgegeben von Beatrix Bouvier, der langjährigen Leiterin des Trierer Karl-Marx-Hauses, und Rainer Auts. Sie setzten sich zum Ziel, einen »von späterer Dogmatisierung befreiten Blick auf das Leben und Werk von Karl Marx« zu werfen, indem sie ihn im historischen Kontext zu verorten suchten. Einen visuellen Eindruck über das gesellschaftliche Leben der damaligen Zeit, den Alltag der Arbeiter, der in Fabriken schuftenden Frauen und Kinder vermitteln die zahlreichen Abbildungen.

Dreißig kurze Essays informieren mit einem weitgehend deutschen Blickwinkel über die politische, wirtschaftliche und geistige Entwicklung im 19. Jahrhundert und beleuchten die familiäre Herkunft, das Privatleben, das Denken sowie das politische Wirken des einflussreichsten Theoretikers des Sozialismus und Kommunismus. Bei einigen der Essays wie zum Beispiel »Armut und Auswanderung«, »Eine soziale Bestimmung der Kunst? Marx, Proudhon, Morris und die Kunst ihrer Zeit« oder auch »Von Menschen und Maschinen – Gesellschaftsbilder in der Literatur des 19. Jahrhunderts« fragt man sich allerdings, warum sie in den Ausstellungskatalog aufgenommen wurden, da sie ohne Bezug zu Marx verfasst worden sind. Der letztgenannte Aufsatz könnte Leserinnen und Leser sogar leicht in die Irre führen, denn Marx konnte sich für die dort vorgestellten Dichter, die mit den »Waffen der Poesie« auf die »Barrikaden« gingen, und für soziale Romane nur wenig begeistern. Eugène Sues erfolgreichen Roman »Les mystères de Paris« (1942–1943) soll er sogar verabscheut haben. Er bewunderte Heinrich Heine und bevorzugte ansonsten die großen Geister der Weltliteratur: Dante und Cervantes, Goethe und Shakespeare.

Sehr kurz werden die Studienjahre in Bonn und Berlin und das philosophische Denken des jungen Marx abgehandelt, der in seinen Frühschriften den Kommunismus noch als »vollendeten Humanismus« begriff. Für Marx’ Hegel-Rezeption bleiben nicht mehr als zwei Seiten. Ohne eine eingehende Würdigung der Frühschriften bleibt aber die Frage offen, ob es – nicht zuletzt unter dem Einfluss von Friedrich Engels – Mitte der 1840er Jahre zu einem radikalen Bruch in Marx‘ Denken kam. Sehr instruktiv ist der Essay »Karl Marx und Friedrich Engels – ein ›Compagniegeschäft‹ zur Erklärung der Welt«, in dem Eberhard Illner zu dem Schluss kommt: »Ohne Engels kein Marx, ohne Marx kein Engels.« Es war Engels, der Marx zu einer Auseinandersetzung mit den konkreten Problemen der Ökonomie und dem Elend der Arbeiter zwang und mit ihm nach Manchester reiste, um ihm eine Textilfabrik von innen zu zeigen. Er unterstützte den stets unter großen finanziellen Sorgen leidenden Exilanten und fungierte schließlich als dessen Nachlassverwalter.

Ohne ihn wären die Bände 2 und 3 des »Kapitals« (1885/1894) nie erschienen. Er wurde zum großen Deuter des Marx’schen Werkes, das ohne seinen »Anti-Dühring« (1878) in der deutschen Arbeiterbewegung niemals eine so große Verbreitung gefunden hätte. In den 1850er Jahren hatte er für Marx, der 1851 die Stelle eines Auslandskorrespondenten der »New York Daily Tribune« übernahm, aber sich mit dem Englischen noch schwertat, sogar zahlreiche Artikel verfasst, wie man in dem ebenfalls sehr lesenswerten Aufsatz von Jürgen Herres »Karl Marx als Journalist« erfährt. Die von Marx für die »Tribune« verfassten Artikel umfassten eine große Themenvielfalt, die von der Politik der europäischen Großmächte über die Analyse von Wirtschaftskrisen bis zur Beschreibung und Deutung von Aufständen und Umstürzen reichte.

Von Marx’ Werken werden »Das Manifest der Kommunistischen Partei« (1848), »Der 18. Brumaire des Louis Bonaparte« (1852) und der erste Band des »Kapitals« (1867) jeweils in einem eigenen Essay vorgestellt und in ihrer Bedeutung gewürdigt. Thomas Welskopp kann zeigen, dass das »Kommunistische Manifest« nicht als »Blaupause« für die Revolution von 1848/1849 diente. Es blieb nicht einmal Zeit, es unter den Mitgliedern des Bundes der Kommunisten zu diskutieren, die anders als Marx und Engels wohl der Bourgeoisie auch keine revolutionäre Rolle attestiert hätten. Der Essay über den »18. Brumaire des Louis Bonaparte«, in dem Marx der Bourgeoisie vorwarf, sich um des »Geldbeutels« willen der diktatorischen Exekutivgewalt des Staates untergeordnet zu haben, leidet darunter, dass der Verfasser, Hauke Brunkhorst, einige fragwürdige Parallelen zur Gegenwart zieht und auch die höchst spekulative Vermutung anstellt, dass der »reale Sozialismus nicht an zu viel, sondern an zu wenig Staat gescheitert« sei.

Mit seinem 1867 veröffentlichten ersten Band des »Kapitals« hoffte Marx, die bürgerlichen Ökonomen David Ricardo und Adam Smith übertreffen zu können. Er hielt seine Mehrwerttheorie für eine fundierte Theorie des unternehmerischen Profits, wobei er die Arbeitswerttheorie von Ricardo übernahm. Seine Ableitung der wirtschaftlichen Krisen des Kapitalismus aus dem Zwang zur Kapitalakkumulation spitzte er in den späteren Jahren auf die Prophezeiung zu, dass die Krisen als zyklische Erscheinungen schließlich zum Zusammenbruch des Kapitalismus führten.

Über Marx’ Wirken in der Arbeiterbewegung hätte man gern etwas mehr erfahren. Thomas Welskopp konzentriert sich in seinem Essay »Karl Marx und die Arbeiterbewegung« auf das Verhältnis Marx’ zur deutschen Arbeiterbewegung, als deren autoritative Stimme sich der Londoner Exilant als korrespondierender Sekretär für Deutschland innerhalb des Generalrates der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) verstand. Die Vertreter der deutschen Arbeiterbewegung, Wilhelm Liebknecht und August Bebel, entwickelten jedoch eine nichtmarxistische Plattform, und Marx weigerte sich dann auch, 1869 zum Eisenacher Gründungskongress der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) zu reisen, die in seinen Augen, so Welskopp, eine Mixtur »aus orthodoxem Lassalleanismus und volksparteilicher ›spießbürgerlicher‹ Demokratie« vertrat. Das Gothaer Programm der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) aus dem Jahre 1875 unterzog Marx einer vernichtenden Kritik, die allerdings zunächst unveröffentlicht blieb. Auf Marx’ ambivalente, zwischen Hoffnung und Pessimismus schwankende Einschätzung der englischen Gewerkschaften, die das strukturelle Rückgrat der IAA bildeten, geht Welskopp leider nicht weiter ein. Ein erbittert ausgetragener Streit zwischen Marx und dem Anarchisten Michail A. Bakunin und seinen Anhängern führte schließlich zur Spaltung der Ersten Internationale. Marx stand, wie Holger Marcks feststellt, am Ende nur noch einer »Rumpforganisation« der IAA vor.

Die Essays werden ergänzt durch Kurzporträts von Marx’ politischen Weggenossen, mit denen der streitbare Ökonom und Prediger des Klassenkampfes in späteren Jahren häufig über Kreuz lag. Wenig erkenntnisfördernd sind die Porträts von Städten, die Marx entweder anlässlich seiner Hochzeitsreise oder zu Kur- und Erholungsaufenthalten besuchte. Interessant wäre es hingegen gewesen, der Frage nachzugehen, warum Marx trotz seiner Isolation in der internationalen Arbeiterbewegung zu deren Ikone werden konnte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Petra Weber, Rezension von/compte rendu de: Beatrix Bouvier, Rainer Auts (Hg.), Karl Marx 1818–1883. Leben. Werk. Zeit. Trier 05.05–21.10.2018. Große Landesausstellung Rheinisches Landesmuseum Trier/Stadtmuseum Simeonstift Trier, Darmstadt (Konrad Theiss Verlag) 2018, 384 S., zahlr. farb. Abb., ISBN 978-3-8062-3702-3, EUR 39,95., in: Francia-Recensio 2019/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.60007