Der vorliegende Sammelband dokumentiert die von der Technischen Universität Berlin und dem Bode-Museum, Berlin, durchgeführte Tagung gleichen Titels (18.–20.9.2014), die die beiden Herausgeberinnen – zwei Kunsthistorikerinnen und exponierte Expertinnen der Museumsgeschichte – verantworteten. Christina Kott und Bénédicte Savoy generieren über die Bindung an die hundertjährige Wiederkehr von Eckdaten des Ersten Weltkriegs hinausreichende grundsätzliche Leitfragen nach dem Verhältnis zwischen der überzeitlichen Anlage von Museen (»strukturelle Stabilität«) und der Dynamik des Krieges, nach dem Einfluss des Krieges auf Museumsarbeit und nach der Reaktion der Museumsfachleute (Mobilisierung, Selbstmobilisierung, Rückzug in den »Elfenbeinturm«). Der Band enthält eine Einführung und 15 Einzelbeiträge, gruppiert durch fünf Zwischentitel: »Museen im Krieg – Krieg im Museum«; »›Business as usual‹ oder der Kampf um die Moderne«; »Museen und Propaganda«; »Displaced Museums«; »Krieg, Revolution und die Folgen für Museen«.

Folgt man stattdessen den Leitfragen, belegen etliche Beiträge nachdrücklich, wie – mit sehr verschiedenen Wirkungszusammenhängen – der Erste Weltkrieg in die scheinbare Stabilität von Museen einschnitt und die Arbeit einzelner Museen beeinflusste. John Horne verdeutlicht, dass der Krieg staatliche Militärmuseen veranlasste, sich von Trophäenschauen zu komplexen dokumentarischen Sammlungen (von Kriegsgerät bis zu »Schützengrabenkunst«) zu erweitern, soweit nicht der Gegenentwurf als Gedenkstätte griff wie in Australien und Kanada. Thomas Weißbrich stellt für das Berliner Zeughaus heraus, dass im Ersten Weltkrieg das Kriegsministerium lebhafte Sammlungsaktivitäten entwickelte, anstatt die Trophäensammlung von der Front abzuwarten, und daraus großformatige Präsentationen ableitete, insbesondere Benefizausstellungen und das Projekt eines Reichskriegsmuseums.

Alan Crookham und Anne Robbins schildern, wie der ältere, nur schleppend realisierte Plan einer Sammlung moderner ausländischer Kunst in der National Gallery in London durch eine im Krieg veränderte Weltsicht und dadurch geschrumpfte Reserviertheit der Trustees Fahrt gewann. Julien Bastoen zeigt einen doppelten Kriegseinfluss im Musée du Luxembourg: Es beauftragte Gemälde vom Kriegsgeschehen für Ausstellungszwecke und festigte seinen internationalen Ruf durch eine Weltausstellungsbeteiligung 1915 in San Francisco, aus der eine sich bis 1919 fortschreibende Wanderausstellung durch die USA erwuchs.

Géraldine Masson behandelt die Präventionsarbeit in nordfranzösischen Provinzmuseen im Spannungsfeld französischen Verwaltungshandelns und deutschen Kunstschutzes, aus der ein deutlicher Professionalisierungsschub der französischen Museen resultierte, z. B. bei der Entwicklung vorbildlicher Transportkisten und nach dem Krieg aufgegriffenen »deutschen« Ideen in der Ausstellungsgestaltung. Elena Franchi macht im parallelen Überblick für Norditalien darauf aufmerksam, dass bei der Rückführung ausgelagerter Kunstwerke im Einzelfall sehr unterschiedliche Entscheidungen fielen – so kehrte die Assunta von Tizian an ihren ursprünglichen Kirchenstandort und nicht in die Museumsausstellung zurück.

Andere Beiträge bedienen eher die Leitfrage nach den Reaktionen der Museumsfachleute. Christian Marchetti berichtet, wie der Direktor des Museums für österreichische Volkskunde in Wien Reisen als Beauftragter zum Kulturgutschutz eroberter Gebiete für die Erwerbung von Sammlungsgut nutzte und das Militär durch Sammelaufrufe für seine Zwecke einspannte. Felicity Bodenstein arbeitet heraus, dass der Direktor des Pariser Cabinet des médailles im Krieg germanophobe Texte publizierte und nach Kriegsende Frankreich verherrlichende Interpretationsmuster bediente.

Auch Negativbefunde sind Befunde: Wencke Deiters zeigt zeittypische Entwicklungen des Kunsthistorischen Museums in Wien auf, die unbeeinflusst vom Krieg abliefen (Neuhängung der Dauerausstellung, Ankaufsentscheidungen). Arnaud Bertinet liefert in der Detailgeschichte der Auslagerungen des Louvre nach Toulouse einen Vergleich mit den Evakuierungen im Deutsch-Französischen Krieg, der eine – wohl nicht vom Ersten Weltkrieg abhängende – gestiegene Wertschätzung der Kunst des 19. Jahrhunderts spiegelt.

Mehrere Beiträge überschreiten den thematischen oder zeitlichen Rahmen des Bandes. John Horne blickt auf die Thematisierung des Ersten Weltkriegs bis heute, die von der Perspektive der Veteranen zur geschichtswissenschaftlichen Distanziertheit wechselt. Szymon Piotr Kubiak analysiert Ansätze zur Gefallenenehrung in Museen nach dem Ersten Weltkrieg am Beispiel des Stadtmuseums Stettin, wobei der Erwerb des expressionistischen Kruzifixus von Ludwig Gies eher Aufschlüsse über den dortigen Umgang mit Gegenwartskunst liefert. Agnieszka Gąsior trägt einen Jahrhundertüberblick der polnischen Privatsammlung Czartoryski vor, die im Ersten Weltkrieg am neuen Wohnort Dresden ausschnittweise öffentlich ausgestellt wurde; Jaanika Anderson entfaltet ein umfassendes Zeitpanorama des Kunstmuseums der Universität Tartu.

Roland Cvetovski berührt in seiner Geschichte der Ermitage von 1899 bis 1920 Weltkriegsthemen eher kurz; durchschlagende Wirkung entfaltet die Oktoberrevolution mit der Verstaatlichung des zum Zarenvermögen gehörenden Museums, Zuflüssen aus beschlagnahmten Privatsammlungen und der Neuausrichtung auf die ästhetische Massenerziehung. Der abschließende Beitrag von Lukas Cladders über europäische Museumsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg liest sich eher als Appell, bei künftigen museumsgeschichtlichen Studien mehr auf transnationale Perspektiven zu setzen.

Im Überblick besticht dieser Sammelband durch die Bandbreite der Eindrücke, von der Gedankenwelt eines Museumsdirektors über Aktivitäten einzelner Museen oder staatlicher Administrationen bis zur globalen Entwicklungslage eines Museumstyps. Der Band liefert so eine Ahnung von der bislang fehlenden Museumsgeschichte jener Zeit. Lobenswert ist die editorische Qualität (Kurzzusammenfassungen in Englisch, zusammengeführtes Literaturverzeichnis für den gesamten Band, Personenregister).

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt bei (großen) Kunstmuseen, einschließlich Kunst in Mehrspartenmuseen, obschon Museumsschlösser gewiss gleichermaßen betroffen waren. Die ungute Übersetzung von »War Museums« im Beitrag von John Horne als »Kriegsmuseen« macht darauf aufmerksam, dass dieser in Deutschland seinerzeit häufige, inzwischen erloschene Museumstyp gar nicht im Blick war. Ähnlich wie das zitierte Werk von Alexis Joachimides zur Museumsreformbewegung in Deutschland, das Nicht-Kunstmuseen vollends (und thematisch falsch) ausblendet, liefert dieses Werk einen facettenreichen, gleichwohl nicht vollrunden Blick auf einen wenig beachteten Abschnitt der Museumsgeschichte.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Markus Walz, Rezension von/compte rendu de: Christina Kott, Bénédicte Savoy (Hg.), Mars & Museum. Europäische Museen im Ersten Weltkrieg, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2016, 317 S., 59 s/w Abb., ISBN 978-3-412-50390-1, EUR 35,00. , in: Francia-Recensio 2019/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.60211