Dass politischer Widerstand »viele Facetten« hat und es »gar nicht so einfach ist, genau zu definieren, was als Widerstand zu gelten hat« (S. 7), stellt die Passauer Politikwissenschaftlerin Barbara Zehnpfennig, Herausgeberin des Sammelbands, in ihrer Einführung fest. Ergründet werden soll seine »Vielfalt in den Grundlagen und Erscheinungsformen« (S. 8). Dabei wird ein vielversprechender interdisziplinärer Ansatz gewählt, der jedoch mit einer an der Totalitarismustheorie orientierten Herangehensweise verknüpft ist. Die Grenzen dieses Vorgehens werden immer wieder deutlich.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert. Teil I widmet sich den »Theoretischen Grundlagen« des politischen Widerstands, es folgen Analysen seiner praktischen Erscheinungsformen im Nationalsozialismus (Teil II) und Kommunismus (Teil III).
Der Philosoph Stefan Schick zeigt am Widerstandsrecht im Denken Thomas von Aquins und Dantes, dass dieses sich bereits im Mittelalter ausbildete und – entgegen des wissenschaftlichen Konsenses – nicht erst in der Frühen Neuzeit. Der Historiker Robert von Friedeburg macht zentrale Diskussionen um das Widerstandsrecht in der Frühen Neuzeit als Teil einer Debatte aus, in deren Rahmen es eingehegt und »eben nicht als Aufforderung zum Widerstand« (S. 57) verstanden wurde. Vielmehr sei es um die Herausbildung eines Staatsverständnisses gegangen, das auch individuelle private Rechte schütze. Da hier »die intellektuelle Revolution« (S. 42) im Fokus steht, bleibt unbeachtet, inwiefern beispielsweise die Bauernaufstände jener Zeit dem entgegenstehen könnten.
Hervorzuheben ist Frauke Höntzschs Beitrag, in dem sie die These prüft, das Widerstandsrecht sei ein Hybrid zwischen Tradition und Moderne. Die Politikwissenschaftlerin verdeutlicht, dass seine Herausbildung als »Ausdruck eines (noch) nicht vollständig vollzogenen Paradigmenwechsels« in der Frühen Neuzeit und »Ausdruck modernen Denkens« (S. 61) verstanden werden kann, der seinen Teil zur Konstituierung moderner Staatlichkeit beitrug. Im Denken John Lockes macht sie dabei eine Verbindung der scheinbaren Widersprüche von traditionellem Naturrecht und moderner hedonistischer Moralkonzeption in Bezug auf das Widerstandsrecht aus.
Wenn der vorangegangene Beitrag noch die individualrechtliche Sicherungsfunktion dieses Rechts als demokratisches Mittel gegenüber den Herrschenden betonte, führt der Rechtswissenschaftler Rolf Gröschner in seinem Aufstz aus, dass sich dies mit dem Grundgesetz geändert habe, da es nun ausschließlich »die Wahrung der objektiven Verfassungsordnung zum Ziel hat« (S. 94) und die Gewährleistung der Grundrechte nur im funktionsfähigen Staat möglich sei. Diese Argumentation vernachlässigt aber die zahlreichen seit 1945 geführten Auseinandersetzungen, wie der Schutz von Verfassung und Staat zu interpretieren und gewährleisten sei1.
Sich an die Zielsetzung des Bandes erinnernd, Widerstandsformen vielfältig widerzuspiegeln, erstaunt es doch sehr, dass kommunistischer und sozialdemokratischer Widerstand gegen das NS-Regime kaum beachtet werden. In Teil II widmen sich die Autoren stattdessen primär dem militärischen und konservativen Widerstand, der schon in den 1950er-Jahren erforscht wurde und der als Thema in den 1980ern eine Renaissance erlebte. Dennoch findet sich Weiterführendes zu diesen Themen. So gelingt es dem Historiker Winfried Heinemann in seinem Aufsatz zum 20. Juli 1944, »die spezifisch militärischen Motive für Widerstand« (S. 100) zu beleuchten, die unter anderem in einer dilettantischen und verlustreichen Kriegführung lagen.
Auch der Historiker Peter Steinbach fokussiert sich auf den 20. Juli 1944 und seine spätere Rezeption. Nachvollziehbar ist seine Aufforderung sich differenziert mit dem Handeln der Akteure vor dem Hintergrund ihrer Zeit zu beschäftigen, befremdlich wirkt aber die Kritik an den nach seiner Ansicht moralisierenden Widerstandsdeutungen der Geschichtswissenschaft. Da diese von unterschiedlichen Interpretationen eines Themas lebt, sollten andere Deutungen kein Problem darstellen, solange Belege nicht ausbleiben.
Der Theologe Gerhard Ringshausen analysiert den religiös motivierten Widerstand Martin Niemöllers und Hans Bernd von Haeftens, Diplomat und Angehöriger des Kreisauer Kreises. Der Historiker Hans-Christof Kraus widmet sich Bedeutung und Problematik des konservativen Widerstands, und sein Fachkollege Frank-Lothar Kroll untersucht dessen Möglichkeiten und Grenzen anhand des Lebens dreier Personen aus Wissenschaft und Literatur und ihr umstrittenes Verhältnis zum Nationalsozialismus.
Der Abschnitt endet mit einem interessanten Beitrag des Journalisten Armin Fuhrer zu jüdischem Widerstand, in dem er die Biografien Herschel Grynszpans und David Frankfurters beleuchtet, die beide ein Attentat auf Vertreter des NS-Regimes verübten und in deren Motivation sich »persönlich-individuelle Gründe mit politischen mischten« (S. 246). Er stellt die berechtigte Frage, warum jüdischer Widerstand bisher kaum in der Forschung präsent sei, und plädiert dafür, das zu ändern.
In Teil III beschäftigt sich der Historiker Günther Heydemann mit dem Widerstand einer evangelischen Studierendengemeinde im Leipzig der 1950er-Jahre, es folgt ein Beitrag des Journalisten Sven Felix Kellerhoff zur Fluchthilfe aus der DDR. Andreas Oplatka, Historiker und Journalist, nimmt den ungarischen Widerstand 1956 in den Blick und der Soziologe Michal Kaczmarczyk widmet sich der Solidarność. Er und Oplatka beziehen die übergreifenden historischen Entwicklungen in die Analyse gelungen ein, was die Wechselwirkungen zwischen staatlichen Akteuren und ihre Auswirkungen auf die Opposition nachvollziehbar macht. Ansonsten wird in den Beiträgen des Abschnitts jedoch meist vom heutigen Standort aus argumentiert mit dem Zielpunkt der parlamentarischen Demokratie. Dass beispielsweise die Situation 1989/90 offen war und die politischen Gruppen in der DDR durchaus unterschiedliche Ziele verfolgten, spielt dann auch keine Rolle. Dieses wichtige Thema fehlt hingegen. Abschließend führt der Politikwissenschaftler Jerzy Mackow einen Vergleich des Widerstands in Kommunismus und Nationalsozialismus durch. Auch wenn er auf ihre Unterschiede hinweist, impliziert schon der methodische Ansatz, dass sich ein solcher durchführen lasse, obwohl unterschiedliche Räume und Zeiten seine Basis bilden. Zudem werden nötige Differenzierungen vernachlässigt, so bleibt der Holocaust weitgehend ausgespart, was angesichts seiner Unvergleichbarkeit nicht wundert, aber den Vergleich ad absurdum führt.
Auch Mackows Ausführung, der »Gang in den Widerstand« folge »der freien Entscheidung« (S. 342), ist zu hinterfragen, da sie außer Acht lässt, dass solche Entschlüsse oft maßgeblich durch die Bedrohung beziehungsweise Beschränkung der Freiheit beeinflusst wurden. Wenn er später annimmt, »dass nur der gleichsam aus dem Inneren des Regimes kommende Widerstand gegen die NS-Herrschaft hätte effektiv sein können« (S. 353), wird zwar deutlich, wie er zu diesem Schluss kommen konnte. Doch auch dies ist fragwürdig, da auf diese Weise anderen Widerstandsformen ihre Wirkung abgesprochen wird.
Neben einer genaueren Begriffsdefinition bleibt eine die Vielfalt des politischen Widerstands abbildende Untersuchung letztlich aus, was insbesondere an der Vernachlässigung von Akteuren liegt, die nicht unter den konservativen, militärischen oder religiös motivierten Widerstand fallen, auf den sich der Sammelband konzentriert. Zwar kommen auch hier neue Aspekte zum Vorschein, doch bleibt es so etwas einseitig.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sarah Langwald, Rezension von/compte rendu de: Barbara Zehnpfennig (Hg.), Politischer Widerstand. Allgemeine theoretische Grundlagen und praktische Erscheinungsformen in Nationalsozialismus und Kommunismus, Baden-Baden (Nomos) 2017, 364 S., ISBN 978-3-8487-3355-2, EUR 74,00., in: Francia-Recensio 2019/1, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.1.60226