Anzuzeigen ist ein schönes Buch, reich und informativ illustriert, mit interessanten Quellen und kundigen Einordnungen. Der Leser entdeckt immer wieder Unbekanntes, so das Haus zum Apfelschuss in Luzern, dessen Fassade Seraphin Weingartner 1898 vollständig bemalte. In den 1950er Jahren sprach der Konservator des Kunstmuseums und Denkmalpfleger ihm jedoch den künstlerischen Wert ab, das Gebäude wurde abgerissen. Es ist ein Beispiel für unterschiedliche Zugänge zur Vergangenheit: historistische Wiederbelebung im 19. Jahrhundert, »unechter Kitsch« für die Nachkriegsmoderne. Ein anderes Beispiel sind, im Zeitalter der aufziehenden Totalitarismen, 1932 die Gedenkfeiern zum Vierwaldstätterbund von 1332; oder Kapitel über die Zeitmessung und die Einführung der Turmuhr. An die beim Bau des Gotthardtunnels verunglückten Arbeiter erinnert das Denkmal »Le vittime del lavoro« (nicht »il vittime«, wie wiederholt zu lesen ist), das erst lange nach dem Tod des Künstlers Vincenzo Vela beim fünfzigsten Jahrestag der Tunneleröffnung in Airolo aufgestellt wurde.

Wenn diese Themen nur bedingt zusammenzuhängen und zum Titel zu passen scheinen, so trügt der Eindruck nicht. Es bleibt unklar, zu welchem Genre dieses Buch gehört. Für eine Überblicksdarstellung ist es zu lückenhaft, episodisch. Als Schulbuch oder Einführung ist es zu voraussetzungsreich, weil der Leser die Debatten kennen muss, in denen es sich positioniert. Eine Geschichte der spätmittelalterlichen Eidgenossenschaft und ihres Nachwirkens ist es auch nicht, da zu exklusiv die Innerschweiz im Vordergrund steht. Die Kapitel über das Handwerk des Historikers und dessen Kontroversen legen nahe, dass es angehenden Schullehrern den methodisch-fachlichen Hintergrund vermitteln soll, namentlich in der Innerschweiz, wo der Autor an der PH Luzern unterrichtet hat. Dieser Entstehungszusammenhang dürfte die Konzeption der drei Hauptteile erklären: zuerst die Darstellung von historischen Ereignissen, dann die exemplarische Präsentation, wie diese Narrationen durch Quellenstudium erarbeitet wurden, zuletzt die Darstellung, wie sie in das kollektive Gedächtnis eingehen und für nationale oder parteipolitische Belange instrumentalisiert werden.

In dieser Perspektive erscheint (eidgenössische) Geschichtsschreibung als identitätsstiftende Produzentin von gemeinsamen Feindbildern und erneuertem Selbstbewusstsein. Für das Spätmittelalter, zumindest, ist das etwas reduktionistisch: Reich illustrierte Bilderchroniken zirkulierten nicht in Schulklassen. Die Arbeiten zum Beispiel von Regula Schmid Keeling, die in der Bibliografie fehlen, würden es erlauben, die damaligen Funktionen von amtlicher Geschichtsschreibung oder Bundbüchern besser zu erfassen. Dann würde auch die Parallele problematisiert, die unter dem Titel »Junge Staaten brauchen alte Geschichten« die Historiografie des 15. und des 19. Jahrhunderts zu nahe aneinanderrückt. Letztere lässt sich viel besser durch den Blick über die Landesgrenzen einordnen, wo in allen Nachbarstaaten die geschichtswissenschaftliche Suche nach mittelalterlichen Wurzeln des eigenen Nationalstaats losging. Die spätmittelalterliche Chronistik suchte dagegen einen Platz für die Eidgenossenschaft (die kein Staat war) in der europäischen Ständegesellschaft. Im damaligen humanistischen »Wettkampf der Nationen« (Caspar Hirschi) brachten die Humanisten auch die »Helvetier« als angebliche Ahnen ins Spiel. Diese ethnisierende Erfindung von Tradition fehlt bei Messmer ebenso wie die Ausbildung gemeinsamer Rituale, namentlich das Beten »mit zertanen Armen«.

Vergeblich sucht man ferner nach einer Erklärung, was »Die Kunst des Möglichen« konkret bedeuten soll, obwohl dies nicht nur der Titel des Buches ist, sondern auch eines Kapitels: zum Stanser Verkommnis von 1481. Damals schlossen die zerstrittenen Eidgenossen einen Vertrag, der Verfahren bei Kriegszügen regelte und zwei neue Kantone, Freiburg und Solothurn, in den Bund aufnahm. Was ist an solchen Verhandlungen, derer es auch anderswo viele gab, »Kunst«, was das »Mögliche« – und was wäre das Unmögliche gewesen? Verbirgt sich in der Formulierung nicht die nationalgeschichtliche Teleologie, dass es so kam, wie es kommen musste?

Diskussionswürdig ist auch der Untertitel des Buches, wo die namensgebende These des Buches steht: Die Eidgenossenschaft sei in einem längeren Prozess während der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstanden. Reicht als Nachweis dafür die klar belegte Verabschiedung des mythischen Gründungsdatums 1291? Sie ist für den Schulunterricht sicher noch oft ein notwendiges Desiderat und integriert neuere Forschungen etwa von Roger Sablonier. Unzureichend bleibt gleichwohl die Erklärung für Messmers eigene Datierung 1436/1450–1501/1513. Etwas mulmig zumute ist offensichtlich auch ihm selbst, wo er mit einer Grafik einen »Kursverlauf« des »Zusammengehörigkeitsgefühls eines politischen Konglomerats« (S. 142f.) aufzeigen will. Als Indikatoren dieser Entstehungsgeschichte finden sich aufgelistet: drei Kriege, drei innere Konflikte, vier Bündnisse, drei historiografische Texte aus der Zeit. Das widerspiegelt ein etwas überlebtes militär- und ideengeschichtliches (und innerschweizerisches) Verständnis von Staatsbildung durch den Sieg über äußere Feinde. Es sind jedoch gemeinsame Daueraufgaben und damit Institutionen, die »Staat machen«. In dieser Perspektive ist das Jahr 1415 der entscheidende Ausgangspunkt für den – tatsächlich jahrzehntelangen – Prozess, in dem aus einem Landfriedensbund eine so festgefügte Defensivallianz von Kleinstaaten wurde, dass sie sogar die konfessionellen Spannungen und Bürgerkriege überstand.

Mit der Eroberung des Aargaus 1415 wurden die Eidgenossenschaft territorial verdichtet und die führenden Kantone Bern und Zürich zu Nachbarn. Die Verwaltung dieser und künftiger gemeiner Herrschaften durch einen alternierenden Landvogt rief die Tagsatzung als regelmäßigen Gesandtenkongress und als Kontrollorgan ins Leben. Da die Eidgenossenschaft nicht einfach »entstand«, sondern ab einem bestimmten Zeitpunkt aktiv und mit einer Zukunftsperspektive gestaltet und verwaltet wurde, ist es sinnvoll, die neuartigen Herausforderungen und strukturellen Voraussetzungen ab 1415 gebührend zu berücksichtigen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Maissen, Rezension von/compte rendu de: Kurt Messmer, Die Kunst des Möglichen. Zur Entstehung der Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert, Baden (Hier und Jetzt) 2018, 239 S., 11 Kt., 4 Graf., 6 Übers., 215 Abb., ISBN 978-3-03919-449-0, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62818