Der Sammelband ist das Ergebnis eines Kolloquiums, das im März 2015 in der Kaulbach-Villa in München stattfand und das aus der Verpflichtung des Herausgebers resultierte, während seines Forschungsstipendiums das von ihm gewählte Thema durch Fachleute in Vorträgen behandeln und diskutieren zu lassen. Die Gegenpäpste des Mittelalters, d. h. jene im Streit um das Papsttum unterlegenen Männer, die die römisch-lateinische Kirche für kürzere oder längere Zeit spalteten, waren der Stoff, um den die zehn Referenten und zwei Referentinnen ihre Überlegungen kreisen ließen und die Ergebnisse einer in Aachen im Jahr 2012 ebenfalls von Harald Müller veranstalteten Tagung zu vertiefen suchten.

In der Einleitung erläutert dieser den Forschungsansatz: nicht Darstellung des Ergebnisses, sondern die mit der Verdoppelung oder gar Verdreifachung des Papstamtes verbundenen Verunsicherungen, Behauptungsstrategien und Kommunikationsformen, die gezielte Etablierung von Memoria, die Verzerrung der Überlieferung, die Generierung von Einheit und Eindeutigkeit in Realität und Kommunikation. Dann stellt er die im Titel des Kolloquiums verankerte Begriffstrias »Krise«, »Autorität« und »Eindeutigkeit« vor und macht sie zu brauchbaren Markierungen, von denen aus dem Phänomen »Gegenpäpste« beizukommen ist.

Stefan Rebenich, »Einer sei Herr – Monarchie als Herrschaftsform. Annäherungen aus (alt-)historischer Perspektive« (S. 19–36), konzentriert sich auf zentrale Aspekte monarchischer Herrschaft in der Spätantike, bei der die weltliche und geistlich-religiöse Seite eng ineinander verwoben waren. So ergab sich mit geradezu zwingender Selbstverständlichkeit, dass Konstantin ein Staatskirchentum installierte, das eineinhalb Jahrtausende Bestand haben sollte. Ein Dialog zwischen Alter Geschichte und Papstgeschichte sollte die politische und soziale Funktion der jeweiligen Höfe stärker in den Blick nehmen und aus der Geschichte der Usurpatoren für die Geschichte der Gegenpäpste Erkenntnisgewinn beziehen. Die Kategorie »Legitimität«/»Illegitimität« schlüsselt langfristige Perspektiven auf.

Florian Eßer, »Aus zwei mach eins. Der Pisaner Lösungsversuch des Großen Abendländischen Schismas 1408/1409: Schismatologie und Konzilsform« (S. 37–54) fasst seine schließlich 2019 erschienene Aachener Dissertation zusammen und konzentriert sich auf die Präliminarien des Pisanum. Die Formen, in denen die vereinten Kardinalskollegien ihr gemeinsames Generalkonzil planten, beruhten auf einem neuen Verständnis von Schisma und Schismatikern. Eine Lösung des Dilemmas, in dem die jeweilige Gegenseite als unbußfertig schismatisch denunziert wurde, konnte nur möglich sein, wenn die Kirche als Ganzes, die sich im Konzil repräsentiert sah, aus diesen Anschuldigungen herausgenommen wurde und allein die beiden Päpste als verstocke Schismatiker und damit Häretiker definiert wurden.

Stefan Schima, »Das Papstschisma – eine Häresie? Kirchenrechtshistorische Erwägungen« (S. 55–73) geht der begrifflichen Unterscheidung von Schisma und Häresie nach, die während des Mittelalters nie eindeutig gelingen wollte. Am meisten Zuspruch fand die von den Kanonisten im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts gefundene Lösung, dass ein hartnäckiges Verharren im Schisma mit Häresie gleichzusetzen sei.

Bernward Schmidt, »Grundlagen von Autorität in der monastischen Theologie des 12. Jahrhundert« (S. 75–90), untersucht den Begriff kirchlicher Autorität vor den ekklesiologischen Traktaten des 13. und 14. Jahrhunderts an den Werken des Gottfried von Vendôme, Petrus Venerabilis und Bernhard von Clairvaux, die deutliche Unterschiede gegenüber der Lehre der zeitgenössischen Kanonisten aufwiesen. Für sie als vom Mönchstum geprägte Autoren beruht die mit dem Amt verbundene Autorität auf fortdauernder Gewissenserforschung und regelmäßiger Buße.

Jochen Johrendt, »Der gute Papst. Eignung und notwendige Fähigkeiten im Spiegel der hochmittelalterlichen Papstviten« (S. 91–108), beruht auf den Charakterisierungen der Päpste im »Liber pontificalis« zwischen Leo IX. (1049–1054) und Innocenz III. (1198–1216), die dort als vorbildhafte Persönlichkeiten gezeichnet werden, jedoch im Laufe dieser 150 Jahre andere Schwerpunkte aufwiesen. Anfänglich stand die Frömmigkeit im Vordergrund, dann die Rechtskenntnisse und administratives Geschick und schließlich ein breites Spektrum von Tugenden und Fähigkeiten, bis hin zu militärischen Leistungen. Bei Innocenz III. wird seine besondere Beziehung zu Rom und zum Patrimonium Petri hervorgehoben.

Benjamin Oskar Schönfeld, »Die Urkunden der Gegenpäpste: Imitation, Improvisation, Innovation?« (S. 109–125). Die drei gewählten Begriffe des Untertitels treffen auf die Urkunden Clemens’ III. (1084–1100), Gregors VIII. (1118–1121), Anaklets II. (1130–1138) und Viktors IV. (1159–1164) zu, wobei aber nur von den beiden letzteren eine aussagekräftige Zahl von Urkunden erhalten ist.

Andreas Matena, »Der Papst als Idol. Skizzen zu einem Diskurs zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert« (S. 127–145), weist darauf hin, dass der Gegenpapst als »Götzenbild« besonders in der Polemik des 11. und 12. Jahrhunderts verwendet wurde, aber sogar noch während des Großen Abendländischen Schismas griff man darauf zurück. Bezüge zum Eucharistiestreit, zu Ps.-Dionysius Areopagita, Hugo von St. Viktor und Joachim von Fiore könnten hergestellt werden.

Britta Müller-Schauenburg, »Benedikts XIII. antihäretische Profilierung einer konservierten Einheitsfiktion« (S. 147–162), untersucht die Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, lat. 1478, aus der Bibliothek Benedikts XIII., die sich als eine durchkomponierte Sammlung von Argumenten zugunsten des Besitzers erweist, als Informatio seriosa, die ihren Ausgangspunkt bei Unam sanctam Bonifaz’ VIII. nimmt und in stringenter kanonistisch-theologischer Ableitung zum aragonesischen Pedro de Luna führt.

Robert Gramsch-Stehfest, »›[…] auctoritate Bartholomei antipape decanatum possidere pretendat‹. Chancen und Risiken innerkirchlicher Spaltungen aus der Perspektive regionaler Akteure« (S. 163–185). Die konkurrierenden Päpste und ihre Kurien während des Großen Schismas veranlassten Bischöfe und Kleriker aller hierarchischen Stufen, Angebote beider Seiten zur Vergrößerung ihrer Obödienz auszunutzen und Gunsterweise, Pfründen und Privilegien von der einen Seite und der anderen anzunehmen. Dies wird am Beispiel von Thüringen aufgezeigt, wo sogar die Gründung der Universität Erfurt (1379 bzw. 1389) von der Konkurrenz der Päpste profitierte.

Jörg Bölling, »Bereinigte Geschichte? Umstrittene Päpste in der Historiografie des 15. Jahrhunderts« (S. 187–213). Gezielt bereinigte Geschichte lässt sich in der Historiografie des 15. Jahrhunderts kaum nachweisen. Allein bei Platina wird man eine deutliche Tendenz zur Bereinigung ausmachen können, freilich weniger hinsichtlich der Darstellung einzelner Päpste als in Bezug auf die Berücksichtigung von Gegenpäpsten. Der päpstliche Zeremonienmeister Johannes Burckard agierte mit seinem Werk bei Julius II., indem er dessen Vorgänger Alexander VI., mit dem er schon zu Lebzeiten verfeindet gewesen war, durch eingeschobene zweifelhafte fake news schlecht machte.

Martina Hartmann, »›dass diese widrige Wahl großen Unfug und schädliche Zwietracht gebären wurde‹– Die protestantische Historiografie und die Gegenpäpste« (S. 215–226). Bis zur wissenschaftlichen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts waren Päpste und Gegenpäpste eigentlich kein Thema für die protestantischen Historiker, die allerlei negativ konnotiertes Phantastisches über die Päpste in die mittelalterliche Geschichte, die für sie in erster Linie Kaisergeschichte war, einfügten. Erst mit Leopold von Ranke wandelte sich das Bild, und auch die Gegenpäpste wurden für die hilfswissenschaftlich fundierte Mediävistik interessant. Harald Müller liefert zum Abschluss »Zusammenfassende Gedanken« (S. 227–233).

Dankbar vermerkt man bei diesem gehaltvollen Sammelband ein sorgfältig gearbeitetes Register der Orts- und Personennamen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Werner Maleczek, Rezension von/compte rendu de: Harald Müller (Hg.), Der Verlust der Eindeutigkeit. Zur Krise päpstlicher Autorität im Kampf um die Cathedra Petri, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2017, X–244 S., zahlr. s/w Abb. (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien, 95), ISBN 978-3-11-046154-1, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2019/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62820