»Nicht nur Geschichte, auch Geschichtsschreibung wird gemacht«, stellte Carola Sachse 2014 in einem Literaturbericht fest, in dem sie die zeithistorische Menschenrechtsforschung der letzten Jahrzehnte kritisch durchleuchtete und eine große Leerstelle konstatierte1. Über Frauenrechte, Menschenrechtsaktivistinnen oder Geschlechterverhältnisse fand sich wenig in diesen Studien. Angesprochen auf diese Lücke meinte ein prominenter Experte lapidar: »Man kann nicht alles machen« – eine Antwort, die Sachse mitnichten zufriedenstellte. Dass sie daraufhin mit Roman Birke den vorliegenden Sammelband zu Menschenrechten und Geschlecht konzipierte, ist vor diesem Hintergrund nur folgerichtig. Und die Ergebnisse geben ihr recht: Die Vielgestaltigkeit der Beiträge bestätigt zwar einerseits, dass man wahrlich nicht alles machen kann. Doch wird andererseits auch deutlich, dass die Kategorie Geschlecht bei der Erforschung der Menschenrechtsgeschichte nicht ausgeklammert werden darf.

So vergleicht Birgitta Bader-Zaar die Wege zum Frauenwahlrecht in Großbritannien, Deutschland, Österreich, Belgien, den USA, der Schweiz und Liechtenstein – stets unter der Leitfrage, ob Frauen das Stimmrecht als Menschenrecht erhielten oder aus anderen Motiven. Denn die Bezugnahme auf ein Naturrecht war nicht selbstverständlich; tatsächlich wurde das Wahlrecht häufig mit Verweis auf soziale Leistung, auf Staatsbürgerrechte, auf Steuerzahlungen oder auf die „Gleichheit vor dem Schafott“ eingefordert. Relevant für die Debatten wird das Menschenrecht erst nach der UN-Menschenrechtserklärung von 1948, wie die Autorin an den Fallbeispielen Liechtenstein und Schweiz aufzeigt. Obwohl beide Staaten erst 1990 und 2002 Mitglieder der Vereinten Nationen werden sollten, strahlte die Menschenrechtserklärung auf sie aus und beeinflusste die inländischen Diskussionen um das Frauenwahlrecht.

Originell und aufschlussreich ist der Beitrag von Regula Ludi, die den Werdegang einer Petition verfolgt, die 1934 den Völkerbund erreichte. Zehn lateinamerikanische Staaten forderten die Organisation auf, ihre Mitgliedsstaaten per Abkommen zu verpflichten, alle rechtlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu beseitigen. Geschlechtergleichheit sei ein Menschenrecht, und der Völkerbund dessen Schutzherr. Obwohl der Petition nicht unmittelbar stattgegeben wurde, habe sie doch – so Ludi – »jurisgenerativen Charakter« gezeitigt: 1937 beauftragte der Völkerbund eine Studienkommission damit, einen vergleichenden Bericht über die Stellung der Frauen in den Mitgliedstaaten zu erstellen. Allein durch die Einsetzung dieser Kommission habe Genf dem Anliegen auf internationaler Ebene Gewicht verliehen und die Voraussetzung dafür geschaffen, dass die »Verbindung von Menschenrechten und Geschlechtergleichheit 1945 vielen als evident erschien«.

Sprachanalytisch überprüft Roman Birke den Beitrag Eleanor Roosevelts für die Entwicklung der Menschenrechte. Hauptquelle ist die Kolumne »My Day«, in der Roosevelt das politische Geschehen zwischen 1935 und 1962 öffentlich kommentierte. In einer Kombination von distant und close reading untersucht Birke die Verwendung von Schlüsselbegriffen. Menschenrechte hätten vor allem 1946 bis 1952 eine zentrale Rolle in Roosevelts Kommentaren gespielt, als diese Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission war. Eine Verknüpfung von Frauen- und Menschenrechten lasse sich in den Kolumnen nicht nachweisen. Roosevelt habe Frauen zweifellos als gleichberechtigt angesehen, sei aber nicht als Frauenrechtlerin in Erscheinung getreten.

Dem osteuropäischen Frauenaktivismus der Jahre 1945 bis 1970 ist die Studie von Celia Donert gewidmet – ein komplexes Thema, denn der westeuropäische »Feminismus« sei aus marxistisch-bolschewistischer Sicht unmittelbar der Ideologie des Bürgertums entsprungen und habe im Verdacht gestanden, die Klassensolidarität zu unterwandern. Trotzdem sei es 1948 dem Engagement kommunistischer Staaten zu verdanken gewesen, dass in der UN-Menschenrechtserklärung die Diskriminierung aufgrund des Geschlechts untersagt wurde. Donert zeigt auf, dass Organisationen wie die Internationale Demokratische Frauenföderation nicht als sowjetisch geprägte Frontorganisation eines sozialistischen Internationalismus abgetan werden dürfen, sondern dass diese vielfältig und praxisnah für die Rechte und Chancen von Frauen eintraten.

Karin Riegler untersucht in ihrem Beitrag zum US-amerikanischen Gleichheitsversprechen das Instrument der »affirmative action« – ein schillernder Begriff, der hier die Maßnahmen umfasst, die von den Regierungen der Vereinigten Staaten getroffen wurden, damit Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier stand, sondern realen Niederschlag im Erwerbsleben fand. Zum einen beschreibt Riegler die rechtlichen Grundlagen von affirmative action und deren Praxis, zum anderen die juristischen Folgen, etwa wenn Männer wegen »umgekehrter Diskriminierung« vor Gericht zogen. Dass das Gleichheitsrecht durch affirmative action nicht nur umgesetzt, sondern auch strapaziert wird, stellt die Autorin ebenfalls heraus: »Affirmative Action für Frauen als Gruppe kann tatsächlich Männer als Individuen benachteiligen«.

Mit dem Spannungsverhältnis zwischen Menschenrechten und Prostitution beschäftigt sich Sonja Dolinsek. Im Zentrum des Beitrags steht die Sozialwissenschaftlerin Kathleen Barry, die in den 1980er-Jahren öffentlichkeitswirksam den Standpunkt vertrat, dass Prostitution generell nicht mit den Prinzipien der Menschenrechte vereinbar sei, denn die Menschenwürde der Frau werde dadurch verletzt. Eine Unterscheidung von freiwilliger und erzwungener Prostitution sei folglich irreführend. Dolinsek stellt dem die Erklärungen der ersten Welthurenkongresse entgegen, deren Teilnehmerinnen auf die Menschenrechte von Prostituierten verwiesen, die durch eine Kriminalisierung ihrer Tätigkeit oder ihres Umfelds eingeschränkt würden. Bezahlte Sexualität dürfe nicht per se als Rechtsverletzung gelten. Die sich unweigerlich stellende Anschlussfrage, wie garantiert werden kann, dass Prostitution freiwillig und unter Respekt der Menschenwürde erfolgt, thematisiert Dolinsek nicht.

Erfrischend ist der Perspektivwechsel von Anke Graneß, die den Menschenrechtsdiskurs aus afrikanischer Sicht hinterfragt und feststellt, dass die UN-Menschenrechtserklärung in diesen Ländern bisweilen als Versuch gedeutet wird, »der gesamten Welt westliche Werte und ein westliches Menschenbild aufzuzwingen«. Nigerianische Wissenschaftlerinnen wie Nkiru Nzegwu und Oyèrónkè Oyĕwùmí zufolge werde die historische Rolle der afrikanischen Frau in europäisch-amerikanischen Analysen falsch dargestellt, da man eigene Normen und Strukturen zugrunde lege. Durch den Kolonialismus seien den afrikanischen Gesellschaften zudem Vorstellungen von Geschlechteridentitäten und -rollen aufgezwungen worden, die diesen nicht entsprächen. Selbst die Darstellung der vorkolonialen Vergangenheit werde durch erfundene Traditionen verzerrt, um diese dem westlichen Verständnis anzupassen.

All diese Befunde machen deutlich, dass es sich lohnt, die Kategorie Geschlecht in die Analyse der Menschenrechtsgeschichte einzubeziehen. Sei es die Geltung von Menschenrechten, sei es deren Definition oder Periodisierung – allein das Untersuchungsfeld der Geschlechterhierarchien und Gleichheitsforderungen öffnet zahlreiche Perspektiven, um die Menschenrechtsforschung aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten, zu ergänzen und zu korrigieren.

1 Carola Sachse, Leerstelle: Geschlecht. Zur Kritik der neueren zeithistorischen Menschenrechtsforschung, in: L‘Homme. Europäische Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 25/1 (2014), S. 103-121, DOI: 10.7788/lhomme-2014-0108.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Malte König, Rezension von/compte rendu de: Roman Birke, Carola Sachse (Hg.), Menschenrechte und Geschlecht im 20. Jahrhundert. Historische Studien, Göttingen (Wallstein) 2018, 271 S. (Diktaturen und ihre Überwindung im 20. und 21. Jahrhundert, 12), ISBN 978-3-8353-3246-1, EUR 29,90, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62880