Der Herausgeber dieser Aufsatzsammlung, einer der besten Kenner Jean Monnets, sieht in dem eigentlichen »Vater Europas« mit Recht zuerst einen Finanzexperten. Monnets Lebensweg führte diesen hingegen weit über diese Tätigkeit hinaus: Er wurde im weitesten Sinne Wirtschafts- und schließlich Europapolitiker. Die Frage nach dem Stellenwert der Wirtschaft, als Zielvorstellung ebenso wie als politisches Mittel, liegt für Monnets Laufbahn also nahe. Ihr ist die vorliegende Aufsatzsammlung gewidmet. Sie geht auf ein Kolloquium zurück, das unter der Schirmherrschaft der Association Jean-Monnet in Houjarray stattfand – dem heute als Erinnerungs- und Begegnungsstätte dienenden einstigen Wohnsitz Monnets. Alle zehn Beiträge schöpfen aus der archivalischen Quellenüberlieferung. Ihr Zeitrahmen reicht von den Zwischenkriegsjahren (1918–1939) bis zu den frühen sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Monnet mit dem Staatspräsidenten Charles de Gaulle die Klingen kreuzte.

Schon Renaud Boulanger und Yuichiro Miyashita, die sich mit der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg befassen, lassen Monnet in der Rolle erscheinen, die ihm auch später eigen war – der Rolle eines internationalen Vermittlers. Einerseits gewährte er in den 1920er Jahren u. a. Polen Hilfe bei der Stabilisierung seiner Währung und baute Brücken zwischen amerikanischen und französischen Banken. Andererseits vermittelte er unmittelbar danach zwischen Nationalchina und dessen expandierendem Nachbarn Japan. Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bemühte er sich, wie Luc-André Brunet zeigt, um eine möglichst enge und devisensparende Koordination der anglo-französischen Rohstoffversorgung. Sofort erkannte er vor allem die kriegsentscheidende Rolle, welche die USA als Verbündete der europäischen Westmächte spielen würden (S. 55).

Die Zeit vor und unmittelbar nach dem amerikanischen Kriegseintritt ist das Thema des Beitrags von Sherrill B. Wells, der amerikanischen Biografin Monnets. Dieser erleichterte zuerst in entscheidender Weise die Koordination der französischen und britischen Waffeneinkäufe in Amerika und stellte nach der französischen Kapitulation sicher, dass die für Frankreich gedachten Lieferungen sogleich Großbritannien zugutekamen. Unter Rückgriff auf die Tagebücher des bei Roosevelt einflussreichen US-Finanzministers Henry Morgenthau kann die Verfasserin zeigen, dass es erst allmählich gelang, Vorurteile gegen seine Person im amerikanischen Finanzministerium zu überwinden.

Es ist dann Churchill gewesen, der Monnet zum Koordinator der britischen Einkäufe von Waffen und Versorgungsgütern in den USA ernannte – eine Funktion, die dieser seit dem August 1941 in Washington übernahm. Hier trug er noch vor dem Kriegseintritt der USA entscheidend zur Ausarbeitung des Victory-Programmes für die amerikanische Aufrüstung bei (S. 71), das Franklin D. Roosevelt dann sofort nach Pearl Harbor in Kraft setzte. Bei der Vorbereitung der Regierung Roosevelt auf die Schlüsselrolle, welche die USA bei der Besiegung Hitlerdeutschlands übernahmen, spielte Monnet damit, wie die Verfasserin unterstreicht, eine Schlüsselrolle.

Den Übergang von der Endphase des Zweiten Weltkriegs bis in die unmittelbare Nachkriegszeit hinein behandelt der Herausgeber Gérard Bossuat. Auf der Grundlage reichen Archivmaterials und in aller wünschenswerten Präzision arbeitet er die Schwierigkeiten heraus, denen Frankreich nach seiner Befreiung gegenüberstand, um sich wirtschaftlich-finanziell zu sanieren und zu modernisieren. Auf das Letztgenannte kam es Monnet besonders an. De Gaulle ernannte ihn deshalb zu seinem Plankommissar. Er selbst hoffte, so zeigt Bossuat, dass die USA als potenzielle Hauptgeldgeber Frankreich wieder als vollgültigen Verbündeten auf Augenhöhe behandeln würden (S. 79).

Hier täuschte er sich. Die ersten Schritte der USA – das Pacht-Leih-Programm und die Konferenz von Bretton Woods – ließen wenig finanziellen Spielraum für eine baldige und langfristige Modernisierung der französischen Wirtschaft, übersah doch die US-Regierung in ihrem Wunsch, Frankreich in die geplante Freihandelszone miteinzubeziehen, die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des kriegsgeschädigten Landes. Auch Großbritannien, selbst Empfänger einer großzügigen amerikanischen Anleihe, erwies sich als wenig hilfreich, indem es den Zugang Frankreichs zum Ruhrgebiet als möglicher Reparationsquelle begrenzte. Beide angelsächsischen Mächte waren also nicht bereit, Frankreich den Status einer Großmacht zuzuerkennen, den vor allem de Gaulle forderte.

Monnet seinerseits hatte sich schon 1943 generell gegen die Wiederbelebung überzogener Großmacht – und Souveränitätsansprüche ausgesprochen. Die Verhandlungen, die er dann im Frühjahr 1946 zusammen mit Léon Blum führte, erfüllten die Modernisierungswünsche der französischen Regierung nicht einmal zur Hälfte (S. 98). Bossuat begründet diese enttäuschende amerikanische Haltung mit der mangelnden Bereitschaft Frankreichs, sich im Zeichen des beginnenden Kalten Kriegs weder der neuen Europa- noch Deutschlandpolitik Amerikas unterzuordnen (S. 57). Frankreichs Ziel, die Deutschen sicherheitspolitisch »einzudämmen«, und der Wunsch der USA, Westdeutschland zu rehabilitieren, um die Deutschen zum Verbündeten gegen die UdSSR zu gewinnen, erwiesen sich als unvereinbar. Erst der Schuman-Plan sollte aus dieser Sackgasse herauszuführen.

Diesem wendet sich Philippe Mioche zu, indem er die Tätigkeit Monnets als französischer Plankommissar mit dessen Rolle während der Anfänge des Schuman-Plans vergleicht: Bildete für Monnet als Plankommissar die wirtschaftliche Modernisierung Frankreichs das Hauptziel, so lenkte er beim Schuman-Plan sein Hauptinteresse auf zwischenstaatliche institutionelle Neuerungen. Als Hauptwirkung habe die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) dann ein erhebliches Wachstum des Handels unter den Mitgliedsländern ausgelöst. Einer bestimmten finanzwirtschaftlichen Schule hätte der Pragmatiker Monnet, wie Mioche betont, bei alledem nicht angehört.

Élise Marjolin-Guidoni, Tochter von Robert Marjolin, eines langjährigen Beraters von Monnet, widmet ihren Beitrag ihrem Vater in sehr persönlicher Weise und illustriert in ihrem Text, was in der Forschung an sich bereits weithin bekannt ist.

Neue Erkenntnisse aus der Forschung enthält dagegen die Analyse der Haltung Monnets, die Laurent Warlouzet für die Übergangszeit von der Konferenz von Messina bis zum Scheitern des ersten britischen Beitrittsantrages für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) liefert. Er weist nach, dass Monnet anfangs die bekannten britischen Vorbehalte gegenüber der institutionellen Ordnung der EWG berücksichtigte, indem er sich mit einer Assoziierung des Vereinigten Königreiches an den Gemeinsamen Markt abfand. Unter dem Einfluss seiner Berater nahm er dann aber gegen die britisch geführte Europäische Freihandelszone (EFTA) Stellung. Stattdessen setzte er auf eine Europäische Währungsgemeinschaft, der Großbritannien dereinst als EWG-Mitglied ebenfalls hätte beitreten sollen. De Gaulles Veto gegen einen britischen EWG-Beitritt vereitelte diese Pläne. Doch betont Warlouzet, dass die von Monnet angestoßenen währungspolitischen Überlegungen wichtige Vorarbeit für den in den 1970er Jahren vorgelegten Werner-Plan für eine europäische Zahlungsunion leisteten (S. 141).

Die entscheidende Leistung Monnets, die Herstellung einer französisch-deutschen Interessengemeinschaft, steht im Mittelpunkt des Beitrags von Andreas Wilkens, der die deutsche Haltung zu Monnet als dem eigentlichen Initiator des Schuman-Plans als Ersatz für einen deutsch-französischen Friedensvertrag untersucht. Er weist nach, dass Monnets Vorhaben in der Bundesrepublik – anfangs anders als bei Adenauer – eher auf Vorbehalte stieß, bis die SPD bei den Verhandlungen über eine europäische Atombehörde (EURATOM) und einen Gemeinsamen Markt dann eine »Europapartei« wurde. Monnets Pläne für eine europäische Währungsunion seien in der Bundesrepublik freilich immer als verfrüht abgelehnt worden, und erst Monnets Initiative für einen Europäischen (Minister-)Rat hätte innerhalb der SPD wieder volle Unterstützung gewonnen.

Mit ausführlichen Zitaten dokumentiert der abschließende Beitrag von Gilles Grin die »politische Philosophie«, das heißt die welt- und europapolitischen Grundüberzeugungen Monnets, über die langen Jahre seines Wirkens hinweg.

Den Ertrag dieses Gemeinschaftswerkes zusammenfassend betont der Herausgeber, Gérard Bossuat, dass Jean Monnet nach 1945 aus seiner Rolle als Finanzexperte weit herausgewachsen ist und in der Wahrung der europäisch-transatlantischen Interessengemeinschaft sein primär politisch motiviertes Hauptziel erblickte (S. 193, 196). Diskussionsbeiträge der Teilnehmer des Symposiums aktualisieren die Ergebnisse dieses instruktiven Sammelbandes.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Klaus Schwabe, Rezension von/compte rendu de: Gérard Bossuat (dir.), Jean Monnet et l’économie, Bruxelles (Peter Lang) 2018, 235 p. (Euroclio. Études et documents, 100), ISBN 978-2-8076-0491-9, EUR 31,95, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62881