Das vorliegende Buch ist die leicht überarbeitete Fassung einer an der Universität Heidelberg eingereichten und verteidigten Dissertation. Jan Diebold hat damit eine Lücke in der Kolonialismusforschung (und darüber hinaus in der Adelsforschung) geschlossen. Solche Aussage findet man häufig in den Urteilen von Buchbesprechungen. Hier trifft die Aussage indes vollinhaltlich zu.
Anhand der Biografie Adolf Friedrichs zu Mecklenburg (1873–1969) stellt Jan Diebold die politischen Umbrüche des 20. Jahrhunderts vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik Deutschland dar, immer anhand des Verhältnisses seines Protagonisten zum Kolonialismus sowie später anhand der kolonialen Erinnerungskultur. Herausgearbeitet hat er, wie der aus dem deutschen Hochadel stammende Adolf Friedrich zu Mecklenburg seine elitäre gesellschaftliche Position in vier Staatswesen wahren konnte. Durch seine privilegierte Stellung konnte der Mecklenburger Herzog schon frühzeitig einen einflussreichen Status als »Afrika-Experte« für sich beanspruchen. Als Forschungsreisender, Gouverneur von Togo, einflussreicher Vertreter des Kolonialrevisionismus und später als Vertreter der entstehenden Entwicklungszusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland passte er seine »Expertise« immer wieder den sich wandelnden politischen Umständen an. Die Studie gibt damit Einblicke in Transformationsprozesse von Eliten im 20. Jahrhundert und legt den Blick frei für historische Kontinuitäten in der alten Bundesrepublik, die nicht zuletzt von den antikolonial agierenden Kolonialhistorikern der DDR kritisiert wurden.
Detailreich und zugleich in den historischen Kontext eingebettet, beleuchtet der Verfasser die Lebensgeschichte des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg. Angefangen hatte alles mit Reisen durch verschiedene afrikanische Regionen und Besuche in den deutschen Kolonialgebieten um das Jahr 1900. In den Jahren 1907 und 1908 war er Leiter einer teilweise von ihm finanzierten Forschungsreise in das Gebiet des zentralafrikanischen Grabens. Neben botanischen und anderen Mitbringseln brachte er über 1000 Schädel von Afrikanern, zumeist ohne Zustimmung der Angehörigen der Verstorbenen, mit nach Hause. In den Jahren 1910 und 1911 leitete er erneut eine Expedition, dieses Mal zum Becken des Tschadsees. Schon bald hatte er sich nicht zuletzt durch seine publizistische Tätigkeit den Ruf als versierter Afrikakenner erworben. Ab Juni 1912 stand er als Gouverneur an der Spitze der deutschen Kolonialverwaltung in der »Musterkolonie« Togo. In dieser Eigenschaft beschäftigte er sich unter anderem mit dem Problem der »Mischehen« zwischen in der Regel deutschen Männern und afrikanischen Frauen. Diese sollten vermieden werden. Das hinderte den Herzog jedoch nicht, mit einer Afrikanerin ein Kind zu zeugen, was lange Zeit geheim gehalten worden ist. Der Rezensent hatte noch die Gelegenheit, die nunmehr sehr alte Dame kennenzulernen. Von ihrem Vater wollte sie nicht viel wissen; sie lebte nicht in »herzoglichen Verhältnissen«.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs nach Deutschland zurückgekehrt, engagierte sich Adolf Friedrich zu Mecklenburg in führenden Positionen als prominenter Vertreter der kolonialen Revisionsbewegung. Er fungierte als Vizepräsident der Deutschen Kolonialgesellschaft, der sein Bruder Johann Albrecht ein Vierteljahrhundert als Präsident vorstand. In der Weimarer Republik hatte er noch weitere Funktionen in kolonialen Vereinen inne. In der Nazizeit bereiste er im Auftrag des Reichspropagandaministers Joseph Goebbels ehemalige deutsche Kolonialgebiete auf dem afrikanischen Kontinent.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs verlagerte der »Afrika-Herzog« seinen Wohnsitz von Mecklenburg nach Holstein. Er betätigte sich nunmehr führend in der Landsmannschaft Mecklenburg. Nach Afrika reiste er zum letzten Mal im Jahre 1960, um an der Unabhängigkeitsfeier von Togo teilzunehmen. Als er im August 1969 verstarb, nahmen hohe Würdenträger der alten Bundesrepublik an der Beerdigung teil. Neben etwa 60 Angehörigen des Hochadels befanden sich hochrangige Vertreter der Regierung und der Parteien der BRD unter den Trauergästen, unter ihnen der Bundestagspräsident Kai-Uwe von Hassel. Die FAZ (10.10.1963) fasste die positive Einstellung der öffentlichen Meinung in Deutschland über Adolf Friedrich zu Mecklenburg zusammen und postulierte, dass er den »Ehrennamen eines ›Kolonialherzogs‹« verdiene; er sei ein »Edelmann« gewesen. Der Domprobst bezeichnete ihn in der Trauerrede sogar als einen »Vorkämpfer der Demokratie« (S. 294).
Unter den Kolonialhistorikern der DDR war der ehemalige Togo-Gouverneur, Kolonialrevisionist und Verteidiger der deutschen Kolonialpolitik die Inkarnation des »Kolonialherren«, der auch in der Bundesrepublik sein Unwesen zum Nachteil der afrikanischen Bevölkerung fortsetzen konnte. Jan Diebold fasst zusammen: »Der ›Afrika-Herzog‹ [trug] durch seine öffentlich resignierte hochadlige Kolonialbiographie zur Legitimation des Adels in der BRD bei« (S. 295). All das ließ ihn die Kolonialhistoriker der DDR als eine Negativperson erschienen, zumal Adolf Friedrich sich im Rahmen seines Engagements in der internationalen olympischen Sportarena sowie als Akteur im Dienste der westdeutschen Hallstein-Doktrin gegen eine Anerkennung des Staates DDR engagierte.
Der Verfasser hat für seine außergewöhnlich gründlich und breit recherchierte Dissertation neben einer Einleitung, einem Fazit und einem Anhang sechs substanzielle Komplexe gewählt, die er wiederum in verschiedene Kapitel und Unterkapitel eingeteilt hat. Nach jedem der Hauptkapitel, die jeweils an die wichtigsten Stationen der Biografie des Herzogs zu Mecklenburg angepasst sind (im Wesentlichen: Kindheit/Jugend, Afrikareisen/Studium/Produktion von kolonialem Wissen, Militärdienst/Dienst in der Kolonialverwaltung, Aktivitäten in der Kolonialbewegung der Weimarer Republik und zur Zeit des Faschismus, postkoloniale Diplomatie) fasst ein »Zwischenfazit« die Forschungsergebnisse zusammen. Dies erinnert etwas zu stark an eine akademische Qualifizierungsschrift. Eine etwas umfangreichere Zusammenfassung hätte auch am Ende des Textes platziert sein können.
Trotz der breiten Literaturkenntnis des Verfassers und der vielen ausgewerteten Dokumente aus verschiedenen Archiven bleibt die Frage – aus eigenem Erleben begründet –, ob die Familie von Mecklenburg bzw. das den Nachlass verwaltende Landeshauptarchiv Schwerin dem Doktoranden den Zugang zu allen relevanten Akten ermöglicht hat, denn lange Zeit war dies nicht möglich. Selbst wenn nicht alle schriftlichen Dokumente einsehbar waren, so muss das besprochene Buch als eine der besten Dissertationen der letzten Jahre bezeichnet werden, die sich mit der deutschen Kolonialgeschichte befasst haben.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Ulrich van der Heyden, Rezension von/compte rendu de: Jan Diebold, Hochadel und Kolonialismus im 20. Jahrhundert. Die imperiale Biographie des »Afrika-Herzogs« Adolf Friedrich zu Mecklenburg, Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2019, 342 S. (Quellen und Studien aus den Landesarchiven Mecklenburg-Vorpommerns, 21), ISBN 978-3-412-50081-8, EUR 50,00, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62887