Mit ihrer Milieustudie zur Studierendenrevolte »1968« in Frankfurt am Main unternehmen die beiden Autoren den selbsterklärten Versuch, »die wirklichen Geschehnisse wieder in Erinnerung zu rufen«, die aus ihrer Sicht nach fünf Jahrzehnten in einem Mythos zu verschwimmen drohen (S. 9). Die Stadt Frankfurt am Main war, wie die Autoren bestätigen, eines der Protestzentren und steht damit neben Berlin, Hamburg und München im Zentrum der historischen Forschung zur studentischen Revolte Ende der 1960er Jahre. Die Autoren beschreiben die Gründe, Ereignisse und Auswirkungen der Studierendenbewegung auf Frankfurt am Main und bemühen sich darum, mit Hilfe einer Vielzahl von Zeitzeugeninterviews an »große Irrtümer«, »ideologische Verirrungen« sowie an »antisemitische Tendenzen« zu erinnern, ohne gleichzeitig dabei den Blick auf die gesellschaftlichen Fortschritte jener Zeit zu verlieren (S. 10). Das Buch ist in sechs Kapitel unterteilt. Neben der Darstellung des Protestjahres 1968 und dessen gesellschaftlichen und politischen Ursprüngen werden zusätzlich die Themenbereiche der »Zäsur 1976« in Frankfurt am Main, Porträts zentraler männlicher Persönlichkeiten der Revolte, die Frauen der Studierendenbewegung sowie die linken Anwälte in Frankfurt am Main behandelt.

Im ersten inhaltlichen und mit Abstand umfangreichsten Kapitel (S. 11–152) werden die zentralen gesellschaftlichen und kulturgeschichtlichen Ursprünge der Bewegung mit dem Schwerpunkt auf Frankfurt am Main konzise zusammengefasst. Der Einfluss des amerikanischen Militärs auf das Stadtbild und auf die Stadtgesellschaft sowie die damit verbundenen Kulturimporte, u. a. in Form der Rock- und Jazzmusik, werden ebenso dargestellt wie die Übernahme amerikanischer Protestformen im Kontext der deutschen Revolte in Form von Teach-ins. Anhand des zentralen Konfliktfeldes in Frankfurt am Main, der Universität, verdeutlichen beide Autoren das zwiespältige Verhältnis der Studierenden zu den USA (S. 25–28). Die Auseinandersetzung der Studierenden mit dem »amerikanischen Imperialismus« entbrannte im Kontext der Vietnamkriegsproteste und führte zur Abgrenzung gegenüber ihren intellektuellen Vorbildern der Frankfurter Schule, erwähnt werden speziell Max Horkheimer und Theodor W. Adorno. Die ehemaligen Exilanten, die aufgrund der nationalsozialistischen Herrschaft das Deutsche Reich in Richtung USA verlassen hatten und erst 1950 in die Bunderepublik remigrierten, zeichneten aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen ein besonders positives Amerikabild in der bundesdeutschen und Frankfurter Öffentlichkeit.

Die Frankfurter Schule, die als theoretischer Ideengeber der antiautoritären Proteste beschrieben wird, lockte viele Studierende nach Frankfurt am Main und diente nach der Darstellung der Autoren auch als theoretischer Hebel der Revolte, um eine umfassende Kritik an den starren Verhältnissen der Universität und an der Gesellschaft zu formulieren. Gleichzeitig weisen die Autoren daraufhin, dass die politischen Entwicklungen in der BRD (Stichwort Große Koalition) im Kontext der Notstandsgesetzgebung sowie die Kommunalpolitik und besonders die städtebaulichen Vorhaben im Frankfurter Westend zur »innenpolitischen Triebfeder« des Protestes wurden und zu einem partiellen Zusammenschluss zwischen studentischen, gewerkschaftlichen und kirchlichen Vertretern führten. Besonders interessant ist die Feststellung, dass »[die] Revolte des Jahres sich in einer schrumpfenden Stadt ab[spielte]« (S. 32).

Bis auf eine kleine inhaltliche Ungenauigkeit (Gudrun Ensslin wird ein Doktortitel in Germanistik zugeschrieben, S. 47) sind die nachfolgenden Darstellungen der Jahre 1967 und 1968 durch eine Reihe von Zeitzeugenaussagen informativ beschrieben, ohne zwingend neue Erkenntnisse zu liefern. Besonders die internationalen Beziehungen und Netzwerke zwischen Frankfurt am Main und anderen wichtigen politischen Schauplätzen der weltweiten Revolte (Prag, USA) werden, wie auch der Frankfurter Diplomatenprozess und die damit verbundene Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen, durch sehr gelungene Exkurse zu einem stimmungsvollen Gesamtbild der Protestjahre zusammengefügt.

Die anschließenden Porträts der studentischen Führungsfiguren der Revolte in Frankfurt am Main, Hans-Jürgen Krahl, Daniel Cohn-Bendit und Karl Dietrich (KD) Wolff, sind besonders durch die ergänzenden Interviews mit Cohn-Bendit und KD Wolff lesenswert. Im vierten Kapitel zeichnen die Autoren die kulturellen Nachwirkungen der »68er-Proteste« in den 1970er Jahren in Frankfurt am Main nach und folgen damit dem gängigen Narrativ, dass die Studierendenrevolte keine gesellschaftliche und politische Revolution darstellte, sondern überwiegend kulturelle Veränderungen in der Bundesrepublik Deutschland auslöste.

Hervorzuheben ist das fünfte Kapitel zu den Frauen der Studierendenbewegung in Frankfurt am Main. Dieser Abschnitt beginnt mit der zutreffenden Feststellung, dass der Blick auf die Protestjahre Ende der 1960er Jahre durch männliche Historiker und durch die Fokussierung auf männliche Akteure geprägt ist (S. 243). Die beiden Autoren beschreiben kurz aber prägnant, unterstützt durch Aussagen beteiligter Akteurinnen, die Entstehung der weiblichen Revolte in der Revolte und die damit einhergehenden Forderungen der Frauen zur sexuellen und politischen Emanzipation (S. 243–259).

Eine noch stärkere Schwerpunktsetzung auf diesen bisher nur in Ansätzen beachteten Themenkomplex innerhalb der studentischen Revolte mit dem Fokus auf Frankfurt am Main hätte den eigenen Anspruch der Dekonstruktion von Mythen rund um »1968« weiter gestärkt. Im letzten und sechsten Kapitel sind besonders die Beschreibung der Rolle linker Anwälte für die revoltierenden Studierenden sowie die Darstellung des zumeist in Vergessenheit geratenen feministischen Frankfurter Anwältinnenkollektivs als ein Resultat der Studierendenbewegung positiv hervorzuheben (S. 261–290).

Dem eigenen Anspruch, »die wirklichen Geschehnisse wieder in Erinnerung zu rufen«, hätten die Autoren durch eine stärkere Fokussierung auf u. a. die weiblichen Akteure der Revolte noch mehr Raum geben können. Gerade die Akteurinnen aus Frankfurt am Main wurden durch ihre Aktionen und ihre zunehmend autonomen Organisationsformen 1968 und in den nachfolgenden Jahren Vorbilder für Frauen in der ganzen Bundesrepublik Deutschland. Messinger und Göpfert haben mit ihrer journalistischen Milieustudie zur Studierendenrevolte »1968« in Frankfurt am Main ein interessantes und spannendes Übersichtswerk zur Rolle der Stadt als eines der Zentren des Protestes vorgelegt, dessen besondere Stärke in der Verknüpfung von Zeitzeugenerinnerungen und den Ereignissen der Protestjahre sowie in der Beschreibung der Nachwirkungen der Revolte auf den kulturellen Bereich in Frankfurt am Main liegt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Robert Wolff, Rezension von/compte rendu de: Claus-Jürgen Göpfert, Bernd Messinger, Das Jahr der Revolte. Frankfurt 1968, Frankfurt am Main (Schöffling & Co) 2017, 304 S., 42 s/w Abb., ISBN 978-3-89561-665-5, EUR 22,00, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62895