Die Herausgeber Johannes Großmann (Universität Tübingen) und Hélène Miard-Delacroix (Universität Paris-Sorbonne) legen mit dem Sammelband »Deutschland, Frankreich und die USA in den ›langen‹ 1960er Jahren« das Ergebnis einer gleichnamigen Tagung vor, die im Juni 2013 in Saarbrücken stattgefunden hat. Die Tagung wurde ursprünglich von dem damaligen Direktor des Deutsch-Amerikanischen Instituts Saarbrücken, Werner Kremp anlässlich des 50. Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags initiiert und dem akademischen Lehrer vieler Autoren des Sammelbandes, Rainer Hudemann zum 65. Geburtstag gewidmet. Durch den unerwarteten Tod des ursprünglichen Mitherausgebers Werner Kremp stand die Drucklegung des Sammelbandes kurzzeitig in Frage; 2018 konnte er nun endlich erscheinen und damit der Wissenschaft zugänglich gemacht werden.

Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht die von komplexen Annäherungs- und Abgrenzungsprozessen gekennzeichnete transatlantische Dreiecksbeziehung zwischen Deutschland, Frankreich und den USA in den »langen« 1960er Jahren. Als Untersuchungszeitraum wurden die »langen« 1960er Jahre gewählt, da sie auf drei verschiedenen Ebenen eine charakteristische Phase verkörperten. Sie markierten nicht nur im Ost-West-Konflikt eine wichtige Übergangsphase von der Konfrontation der beiden Machtblöcke hin zur Entspannung, sondern sie spielten auch im weiteren Verlauf des Europäischen Integrationsprozesses eine wesentliche Rolle; so löste beispielsweise 1965 Frankreich mit der »Politik des leeren Stuhls« eine ernsthafte Verfassungskrise der Europäischen Gemeinschaft aus. Schließlich beschleunigte sich in den 1960er Jahren auch die Auflösung der europäischen Kolonialreiche; zum Beispiel erlangte Algerien 1962 die Unabhängigkeit von Frankreich. Der Sammelband stellt die Fortsetzung eines bereits 2005 von Hélène Miard-Delacroix und Rainer Hudemann herausgegebenen Tagungsbandes dar, der sich anlässlich des 50. Jubiläums der Pariser Verträge vom Oktober 1954 mit der systematischen Untersuchung der deutsch-französischen Wandlungs- und Integrationsprozesse der 1950er Jahre beschäftigte1.

Als Ausgangspunkt des aktuellen Sammelbandes dient die Unterzeichnung des Deutsch-französischen Freundschaftsvertrages (Élysée-Vertrag) am 22. Januar 1963. Dieser wurde bereits von den Zeitgenossen unter den Aspekten Inhalt und Ratifizierung sehr kontrovers diskutiert und beurteilt, vor allem aber hatte er enormen Einfluss auf die Beziehungsgeometrie zwischen Deutschland, Frankreich und den USA aus. Johannes Großmann und Hélène Miard-Delacroix führen in einer zweisprachig (deutsch/französisch) verfassten Einleitung in den Perspektiven-, Fragen- und Methodikrahmen der Beiträge des Sammelbandes ein.

Insgesamt werden 13 Beiträge (in deutscher, französischer und englischer Sprache) präsentiert, die sich vier verschiedenen Analyseschwerpunkten beziehungsweise Sektionen zuordnen lassen. Die Beiträge der Sektion 1 beschäftigen sich mit dem Wandel der soziokulturellen Rahmenbedingungen politischen Handelns und suchen dabei nach Konvergenzen, Divergenzen und Austausch zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und den USA.

Hartmut Kaelble konstatiert in seinem Beitrag eine Annäherung der Wohlfahrtsstaaten in Frankreich und der Bundesrepublik, wobei sich beide Länder hier deutlich von den USA unterscheiden. Die Annäherung zwischen den beiden Nachbarn am Rhein wurde jedoch weder durch eine Angleichung der sozialstaatlichen Institutionen noch durch eine stärkere Zusammenarbeit im Bereich der Sozialpolitik herbeigeführt, sondern wurde laut Kaelble vielmehr durch die Anwendung verschiedener damals propagierter wohlfahrtsstaatlicher Konzepte auf Expertenebene erreicht. Jörg Requate arbeitet in seinem Beitrag den enormen Einfluss des amerikanischen Vorbilds im Bereich der politischen Kommunikation sowohl in der Bundesrepublik als auch in Frankreich heraus. John F. Kennedy und sein Wahlkampfstil wurden beispielsweise für die Kandidatur Willy Brandts im Wahlkampf von 1961 als grundlegend gesehen, um Brandt als Gegenkandidat zu Konrad Adenauer zu inszenieren.

In Sektion 2 werden die außenpolitischen Konzepte bzw. die »Grand Designs« der drei in Beziehung stehenden Länder unter den Perspektiven des Kalten Kriegs, der einsetzenden Entspannungspolitik und dem Europäischen Integrationsprozess untersucht. Reiner Marcowitz beschäftigt sich in seinem Aufsatz mit dem Entspannungsprozess zwischen Ost und West, der vor allem nach der Berlinkrise von 1958 und der Kubakrise von 1962 immer deutlicher zu Tage trat. Die neue Entspannungspolitik öffnete und erweiterte den Blick vom Beziehungsgeflecht zwischen der Bundesrepublik, Frankreich und den USA hin zum neuen Referenzpartner Sowjetunion. Carine Germond hingegen lotet aus, welche Rolle de Gaulle für die USA in seinem europapolitischen Konzept vorsah. Auch wenn de Gaulle mit seiner Europapolitik – in enger Kooperation mit der Bundesrepublik – mehr Unabhängigkeit von den USA anstrebte, stellte er das transatlantische Bündnis nie ernsthaft in Frage.

Sektion 3 widmet sich den Interdependenzen und der Rolle von vermittelnden Akteuren nicht nur zwischen Deutschland, Frankreich und den USA, sondern ebenso zwischen unterschiedlichen Politikfeldern sowie unterschiedlichen Handlungsebenen. Thomas Gijswijt zeigt exemplarisch anhand der transatlantischen Krise in den Jahren 1962/1963 und den Debatten über eine multilaterale Atomstreitmacht auf, wie sich die außenpolitischen Verhandlungsstrategien veränderten und welchen Einfluss informelle diplomatische Kanäle ausüben konnten. Dabei kommt er zu der Überzeugung, dass sich die USA und ihre westeuropäischen Bündnispartner trotz inhaltlicher Differenzen auf eine enge Kooperation verständigen mussten, weil die Wahrung der eigenen Interessen nur durch eine enge Zusammenarbeit gesichert werden konnte. Tim Geiger hingegen kann anhand der Analyse der Kontroverse Atlantiker versus Gaullisten innerhalb der Unionsparteien, eine enge Verflechtung zwischen Außen- und Innenpolitik nachweisen.

Schließlich stehen in Sektion 4 markante diplomatische Herausforderungen und deren Bewältigungsstrategien im Mittelpunkt des Interesses. Éric Bussière sieht in der verstärkten währungspolitischen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich, die sich 1970 im Rahmen des Werner-Plans auf europäischer Ebene zeigte, eine zunehmende Emanzipation von den USA. Damit verabschiedeten sich die westeuropäischen Partner von der Akzeptanz des Dollars als Leitwährung, wie sie seit dem Abkommen von Bretton Woods 1944 bestand, und legten nach und nach die Grundlagen für die 1992 im Vertrag von Maastricht vereinbarte europäische Währungsunion.

Alle Beiträge des Sammelbandes verbindet die Einbeziehung der drei im Mittelpunkt stehenden Länder, wenn auch aus unterschiedlicher Perspektive und mit verschiedenen Schwerpunkten. Ebenso stand es den Autoren frei, welche methodischen Ansätze sie für Ihren Beitrag wählten. So kann als eine der Stärken dieses Sammelbandes gesehen werden, durch die Anwendung einer Vielzahl unterschiedlicher methodischer Ansätze gewinnbringende und neue Perspektiven auf einzelne Aspekte zu entwickeln. Neben vergleichenden, transfer- und verflechtungsgeschichtlichen Ansätzen finden sich ebenso klassische diplomatie- und beziehungsgeschichtliche Zugriffe. Obwohl die Beiträge einen breiten Zugang aus politik-, kultur- und sozialgeschichtlicher Warte anbieten, musste aus der Vielzahl der interessanten Themen eine Auswahl getroffen werden. Die Herausgeber verweisen darauf, dass für die Erforschung des transatlantischen Dreieckes wichtige Themen wie Dekolonisation, Migration und Bürgerrechtsbewegungen, aber auch Medienwandel, Konsum oder Massentourismus unberücksichtigt bleiben mussten. Gleichzeitig betonen sie deren Potenzial für weiterführende Forschungen und skizzieren damit das Programm für eine weitere Tagung zum transatlantischen Dreieck Deutschland, Frankreich und den USA – was sicherlich ein lohnenswertes Unterfangen darstellt.

1 Hélène Miard-Delacroix, Rainer Hudemann (Hg.), Wandel und Integration. Deutsch-französische Annäherung der fünfziger Jahre. Mutations et intégration. Les rapprochements franco-allemands dans les années 1950, München 2005.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Daniela Neri-Ultsch, Rezension von/compte rendu de: Johannes Großmann, Hélène Miard-Delacroix (Hg.), Deutschland, Frankreich und die USA in den »langen« 1960er Jahren. Ein transatlantisches Dreiecksverhältnis, Stuttgart (Franz Steiner Verlag) 2018, 245 S., ISBN 978-3-515-11869-9, EUR 49,00, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62897