Runde Jahre führen regelmäßig zu einer vermehrten Produktion von Publikationen zu dem entsprechenden Ereignis. Sie erhöhen die allgemeine Aufmerksamkeit und ermöglichen es Autoren, eine breitere Öffentlichkeit für ihr Thema zu erreichen. Dazu ist es bisweilen geboten, den Sachverhalt in einer verständlichen Sprache zu kommunizieren. Um eine möglichst anregende und gut erzählte Geschichte für einen breiten Leserinnen- und Leserkreis geht es Lothar Machtan in seiner Darstellung zum Kaisersturz im November 1918. Er schreibt aus der Perspektive von drei Personen, die allem Anschein nach das Schicksal des Kaiserreichs und der Revolution durch ihr Handeln oder Nichthandeln, durch individuelle Fähigkeiten oder eben auch durch das Gegenteil maßgeblich in den Händen hielten: Kaiser Wilhelm II., Reichskanzler Max von Baden und Friedrich Ebert, der Vorsitzende der MSPD.
Dabei konzentriert sich Machtan jeweils auf eine Person an einem bestimmten Ort. Wilhelm II. mit seiner Entourage im Neuen Palais und im Hauptquartier im belgischen Spa, Max von Baden mit seinen Beratern in der Reichskanzlei, Friedrich Ebert mit seinen Parteifreunden in der Reichskanzlei und im Reichstag. Diese Orte des Geschehens werden nebeneinander und nacheinander behandelt. Dieses Verfahren hat den Nachteil, dass eine Analyse des politischen Gesamtzusammenhangs mitunter schwierig fällt, weil der Leser beziehungsweise die Leserin eben nicht die Vorgänge in der Reichskanzlei hinreichend erfassen kann, wenn ihm der Erzählstrang über die zeitlich parallel laufenden Ereignisse im Reichstag oder auf den Straßen von Berlin quasi nachgereicht wird.
Von entscheidender Bedeutung für das Schicksal der Hohenzollern-Monarchie war die Frage, ob es in jenem deutschen Herbst des Jahres 1918 vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden militärischen Niederlage im Westen und den Forderungen nach einer Demokratisierung durch den amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zu einem verfassungsgemäßen Übergang der Macht durch rechtzeitige Veränderungen von oben kommen würde, oder eben zu einem revolutionären Bruch mit der Ordnung des Kaiserreichs von unten.
Konkret formuliert: Würde es den reformbereiten Kräften des alten Regimes gelingen, Wilhelm II. von der Notwendigkeit seiner Abdankung zu überzeugen, die monarchische Staatsform jedoch in Gestalt eines Thronfolgers aus dem Haus der Hohenzollern oder eines vom Kaiser ernannten Reichsverwesers zu erhalten und einen Reichskanzler an die Spitze der Regierung zu bringen, der sich auf die Mehrheit der Abgeordneten des Reichstags stützen konnte? Oder würde man dieses Rennen gegen die Zeit und die sich formierenden revolutionären Kräfte auf den Straßen des Reiches und dann auch in Berlin aufgrund der Uneinsichtigkeit des regierenden Monarchen und dem fehlenden Durchsetzungsvermögen des letzten von ihm ernannten Reichskanzlers, des Prinzen Max von Baden, verlieren? Denn nur der Monarch oder ein von ihm ernannter Reichsverweser konnte gemäß der alten Verfassungsordnung einen neuen Reichskanzler ernennen. Alle anderen Wege bedeuteten den Bruch mit der alten staatlichen Ordnung und einen revolutionären Neuanfang, den nicht nur die Vertreter der alten Ordnung, sondern eben auch die Führung der MSPD mit Friedrich Ebert an der Spitze wohl vermeiden wollten.
Dieses »Politdrama« (S. 8) vom August 1918 bis zur Einsetzung des Rates der Volksbeauftragten am Abend des 9. November 1918 will der Autor im Detail nacherzählen. Und in dieser Schilderung des Gegen- und Miteinanders seiner drei Protagonisten, ihrer jeweiligen Perspektive, ihrer persönlichen Stärken und Schwächen, des Einflusses ihrer Ratgeber oder der nicht zu unterschätzenden Rolle der Kaiserin Auguste Viktoria auf das unnachgiebige Verhalten des Kaisers, liegt die Stärke dieser Darstellung. Er wolle in die »Hinterzimmer des Politikgeschehens« (S. 10) schauen und damit zum »Kern einer deutschen Katastrophe« (ibid.) vordringen.
Mit seiner Sprache, die an manchen Stellen wie die Vorlage zu einem Drehbuch klingt, mit seiner Fähigkeit zur Dramaturgie und immer wieder zugespitzten Formulierungen, seinen meinungsstarken Kommentaren, nimmt er den Leser tatsächlich ein Stück weit mit hinein ins Geschehen. Damit entspricht er auch seiner Auffassung, dass sich die reale Politik »wie die Handlung eines mitreißenden Romans« entfaltet habe (S. 9). Den »Politiker« Ebert versteht man in der Tat etwas besser, wenn man seine durchaus bürgerlichen Wohnverhältnisse in Berlin näher kennengelernt hat. Und die Konzentration auf das Handeln von Personen entlastet den Autor wie auch den Leser ein wenig von der eigentlichen historischen Analyse, was sicherlich zur Lesbarkeit der Darstellung beiträgt.
Unvermeidbar, so Machtan, sei der »Kaisersturz« und das Ende der Hohenzollern-Dynastie keineswegs gewesen. Die Probleme, mit denen sich die wichtigsten Repräsentanten der alten Ordnung sowie die an der Regierung beteiligten Parteiführer konfrontiert sahen, seien »prinzipiell lösbar« (S. 9) gewesen. Der Autor sieht daher auch eher eine »Selbstvernichtung einer Herrscherdynastie« (S. 8) durch grobe Fehleinschätzungen und taktische Fehler im Herbst 1918 und nicht so sehr den Erfolg einer revolutionären Bewegung von unten, welche die alte Ordnung hinweggefegt habe.
Wilhelm II. habe gerade in diesen letzten und für ihn bedrängenden Wochen seiner Herrschaft sein »Genie der Selbsttäuschung« (S. 41) zur vollen Wirkung gebracht und die politische Notwendigkeit seiner rechtzeitigen Abdankung unterlaufen. Sei der Kaiser dabei in politischen Fragen auch nicht »gänzlich blind oder taub« (S. 41) gewesen, so gelte dies aber für die Kaiserin Auguste Viktoria, die ihren Ehegatten in ihrem blinden Glauben an die Monarchie immer wieder in seinem Starrsinn bestärkt habe. Nach seiner Abreise aus Berlin in das militärische Hauptquartier in Spa sei Wilhelm II. dem direkten Einfluss oder Rat seines letzten Reichskanzlers Prinz Max von Baden zudem entzogen gewesen.
Mit seiner Mission, als Reichskanzler in Berlin den Übergang von der alten monarchischen Herrschaft zu einer möglicherweise parlamentarisch-konstitutionellen Staatsordnung einzuleiten und zu organisieren, um nach seinem eigenen Selbstverständnis damit Deutschland zu »retten« (S. 53), sei Prinz Max von Baden von vornherein eine totale Fehlbesetzung gewesen. In der Hauptstadt sei er ein nahezu unbeschriebenes Blatt gewesen, ohne Verbindungen zu den politischen Akteuren und aufgrund seiner persönlichen Lebensweise zudem angreifbar. De facto blieb der Prinz, dessen politische Agenda irgendwie nebulös war, sofern er überhaupt eigene Ideen hatte, ein Instrument in den Händen von stärkeren Persönlichkeiten im Herbst 1918.
Führungsqualitäten spricht der Autor allein Friedrich Ebert zu. Der habe allerdings bis zuletzt nur in den Kategorien des alten monarchischen Staatswesens denken können. In dieser reformierten Ordnung hätte die SPD den ihr zustehenden Platz finden sollen. Der Parteiführer der Mehrheitssozialisten habe aber von einer Revolution der Straße nicht sehr viel gehalten und daher vielmehr in der Übergangsphase von der alten zu einer gar nicht so ganz neuen Ordnung sich zu einer »politischen Selbstbindung« (S. 69) an das alte Herrschaftssystem bereitgefunden.
Das Scheitern dieser »Schicksalsgemeinschaft« zwischen Wilhelm II., Prinz Max von Baden und Friedrich Ebert wird von Machtan mit allen politischen Schachzügen, persönlichen Verwicklungen und Verirrungen bis zu den entscheidenden Momenten am 9. November 1918 beschrieben, wobei auch die »menschliche Seite der deutschen Zäsur von 1918« (S. 9) freigelegt werden sollte. Politisch überleben konnte allein Ebert, der seine Kanzlerschaft zwar zunächst der Ernennung durch den Prinzen Max von Baden verdankte, diese dann aber am 10. November 1918 in den revolutionären Rat der Volksbeauftragten überführen konnte. Mit seinem Blick für die realen Machtverhältnisse habe er sein Amt in das Gebilde eines »sechsköpfigen Reichskanzlers« (S. 293) umgebaut und damit eine neue Legitimation für seine Politik gefunden. Und der starke Mann in diesem Gremium war Friedrich Ebert, einer der Baumeister der entstehenden Weimarer Republik.
Machtan hat vor allem für eine breite Leserinnen- und Leserschaft eine spannend zu verfolgende, gut recherchierte und detaillierte Darstellung der letzten Monate der Hohenzollern-Monarchie vorgelegt. Ob das Werk allerdings, wie im Klappentext des Verlags angekündigt, den epochalen Umbruch von 1918 »in ganz neuem Licht« erscheinen lässt, sei dahingestellt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Rainer Lahme, Rezension von/compte rendu de: Lothar Machtan, Kaisersturz. Vom Scheitern im Herzen der Macht 1918, Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2018, 350 S., 49 s/w Abb., ISBN 978-3-8062-3760-3, EUR 24,00, in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62902