Am 19. Januar 1919 nahmen erstmals auch Frauen an den Wahlen zur Deutschen Nationalversammlung teil. Der am 10. November 1918, dem Tag nach der Abdankung des Kaisers und der Ausrufung der Republik durch Philipp Scheidemann, gebildete Rat der Volksbeauftragten erließ als eine seiner ersten Amtshandlungen ein neues Wahlgesetz. Für alle Parlamente auf kommunaler, Länder- und Reichsebene wurde das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen ab 21 Jahren dekretiert. Damit durften alle erwachsenen Deutschen wählen, unabhängig vom Geschlecht, von Besitz und Steuerleistung. Die bis dahin überall geltende Beschränkung des Wahlrechts auf Männer war damit abgeschafft und auch das in Preußen geltende Dreiklassenwahlrecht, das bis dahin die Stimmengewichtung an die Steuerleistung gekoppelt hatte.

In Deutschland wie in etwa 40 weiteren Nationalstaaten wurden die Frauen zwischen 1919 und 1932 in das Wahlrecht einbezogen. Ein »Geschenk« der Revolution war das Frauenwahlrecht in Deutschland gleichwohl nicht, sondern hier wie überall hart erkämpft. Diesen Kampf der Frauen für politische Partizipation und Gleichberechtigung zu schildern und ihren Anteil am Revolutions- und Demokratisierungsprozess deutlich zu machen, ist das Ziel von zwei Publikationen, die aus Anlass des Jubiläums erschienen sind. Sie werden von Hedwig Richter und Kerstin Wolff verantwortet, die zu den maßgeblichen Kennerinnen des Forschungsgebietes gehören und auch an verschiedenen Jubiläumsprojekten beteiligt sind.

Kerstin Wolff, die seit zehn Jahren die Forschungsabteilung im Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel leitet, hat als ausgewiesene Kennerin der Quellen und des Forschungsstandes eine »Geschichte des deutschen Frauenwahlrechts« für ein breites Publikum geschrieben: anschaulich, quellennah und auch optisch ansprechend mit vielen Abbildungen. Der Band wird eingeleitet durch ein Vorwort von Hedwig Richter, die am Hamburger Institut für Sozialforschung zu Wahl- und Demokratiegeschichte sowie zur Gendergeschichte forscht und an der Universität Greifswald als Privatdozentin lehrt.

Gemeinsam haben beide den Band »Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa« herausgegeben, der das Thema in elf Beiträgen etwas weiträumiger umkreist und dabei die Ebene des Deutschen Reiches und Preußens sowohl in Richtung der deutschen Einzelstaaten als auch mit Blick auf andere Nationen verlässt. Sie wollen damit Aufmerksamkeit auf dieses Ereignis lenken, das noch immer in allmeinen politikgeschichtlichen Darstellungen nicht oder nur am Rande vorkommt. Den Hauptgrund hierfür sehen sie darin, dass Demokratiegeschichte noch immer meist als Geschichte von Revolutionen, als Geschichte kämpfender Männer gesehen werde. Die Einführung des Frauenwahlrechts werde daher nicht den Frauen, sondern den Sozialdemokraten im Rat der Volksbeauftragten zugeschrieben. Zudem habe der wenig später erfolgende Aufstieg des Faschismus diese Revolution überlagert.

Diesem Narrativ der Demokratiegeschichte als Geschichte von Revolution und Kampf setzen sie die Beharrlichkeit der Frauenbewegung gegenüber, deren Protagonistinnen sich seit der Französischen Revolution für Frauenrechte einsetzten, die Bildungschancen und die Möglichkeit der Berufstätigkeit forderten, die privatrechtliche Festschreibung der Unterordnung und Bevormundung der Ehefrauen (vergeblich) anprangerten und in politische Räume vordrangen.

Statt Demokratiegeschichte vor allem als die Geschichte ihrer weitgehend gewaltsamen Durchsetzung zu beschreiben, knüpfen sie an einen weiten Politikbegriff an, der verschiedene Lebensbereiche einbezieht. Die Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit wird in Frage gestellt beziehungsweise soll überwunden werden, da diese Dichotomie zugleich das klassische Rechtfertigungsargument war, um Frauen aus Öffentlichkeit und Politik auszuschließen und auf das als privat bezeichnete Haus zu beschränken. Die Beiträge des Bandes gehen der Frage nach, wann und warum Frauen diese Geschlechterordnung in Frage stellten, die sie aus der öffentlichen Sphäre ausschloss und ihnen damit politische Partizipationsmöglichkeiten verwehrte. Die Frage wird für verschiedene Personenkreise behandelt und an verschiedenen Themen festgemacht.

So zeigt Brigitta Bader-Zaar mit dem Blick auf kommunales und regionales Wahlrecht im 19. Jahrhundert, dass mit der Ablösung ständischer Repräsentationsformen zunächst eine Beschneidung von Wahlrechten verbunden war, über die ledige oder verwitwete Frauen bis dahin teilweise verfügt hatten. Die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre und die ausschließliche Zuweisung der Frauen zur privaten Sphäre bedeutete ein Zurückdrängen der politischen Partizipationsmöglichkeiten von Frauen. Bader-Zaar zeigt, dass Teile der insbesondere bürgerlichen Frauenbewegung in den politischen Raum zurückdrängten, indem sie die Trennung von öffentlicher und privater Sphäre argumentativ aufgriffen und Kommunalpolitik, insbesondere Sozialfürsorge als erweiterte Haushalts- und Erziehungsfragen bezeichneten. Damit flankiert sie die These von Kerstin Wolff, dass die Geschichte des Frauenwahlrechts neu erzählt werden müsse. Die bisherige Frauengeschichtsschreibung, die sich seit den 1980er Jahren entwickelt hat, habe zu stark die der politisch-ideologischen Auseinandersetzung entstammenden Argumente der sozialistischen Frauenbewegung übernommen. Demgegenüber zeigt sie am Beispiel Helene Langes, dass auch die als gemäßigt geltende Frauenbewegung bereits in den 1890er Jahren das Wahlrecht anstrebte.

Die Bedeutung von Politik und politischer Macht für das Private macht Marion Röwekamp an den Auseinandersetzungen über das Eherecht deutlich, die im Zuge der Beratungen über die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) seit Mitte der 1870er Jahre stattfanden, um ein einheitliches Privatrecht für das Deutsche Reich zu schaffen. Die Hoffnungen auf eine Verbesserung der Rechtsstellung von Ehefrauen wurden jedoch enttäuscht, denn die traditionelle Unmündigkeit und damit Unterordnung der Ehefrau wurde fortgeschrieben. Das Entscheidungsrecht in allen Ehe- und Familienangelegenheiten, das Verfügungsrecht über das Vermögen – auch über das der Frau – und die Vormundschaft über die Kinder lagen weiterhin allein beim Ehemann.

Obwohl der Frau also die private Sphäre zugewiesen wurde, hatte sie in dieser keine Rechte. Die Hoffnungen der Frauenbewegung, im Zuge der Einführung des BGB rechtliche Verbesserungen für verheiratete Frauen zu erreichen, wurden damit vollständig enttäuscht. Das machte den beteiligten Frauen deutlich, dass privatrechtliche Verbesserungen nur über politische Partizipation und also über das Wahlrecht zu erreichen waren. Marion Röwekamp zeigt weiter, dass das Wahlrecht allein nicht ausreichte, Veränderungen der privatrechtlichen Unterordnung der Ehefrauen herbeizuführen, die bis weit in die Bundesrepublik Bestand hatten. Traditionelle Vorstellungen von Ehe seien besonders bei den Konservativen, doch auch in der SPD zu mächtig gewesen.

Parlament und Straße als öffentliche und als politische Räume nimmt Tobias Kaiser in seinem Beitrag über die britischen Suffragetten in den Blick und zeigt, wie die Aktivistinnen der Wahlrechtsbewegung in Großbritannien diese Räume mit Symbolpolitik und Grenzüberschreitungen beanspruchten. Er sieht dabei die radikalen Suffragetten, die mit ihren zum Teil gewalttätigen Aktionen bis heute mehr Aufmerksamkeit erfahren als die Angehörigen der gemäßigten Stimmrechtsbewegung, nicht als Erfinderinnen dieser Symbolpolitik. Sie hätten diese aber ausgebaut, um so »die Grenzen des Sagbaren und Denkbaren« (S. 143) zu verschieben. Die Frage nach der Zuweisung von Räumen, nach der Ausschließung der Frauen aus öffentlichen Räumen und ihren Bemühungen um Zutritt bildet damit den Schwerpunkt des Bandes, dem auch Beiträge aus den anderen Kapiteln »Körper« und »Sprechen« zugeordnet werden könnten.

Die Verbindung von körperlichen Aspekten mit der Forderung nach dem Wahlrecht wird eigentlich nur in Malte Königs Beitrag deutlich, der am Beispiel des Kampfes für die Abschaffung der staatlich reglementierten Prostitution das einzige Thema in den Blick nimmt, bei dem die Parlamentarierinnen der Weimarer Republik durch parteiübergreifende Zusammenarbeit erfolgreich waren. Die nur Frauen betreffenden entwürdigenden Praktiken der Zwangsuntersuchung auf Geschlechtskrankheiten und der Zwangsbehandlung war zu einem der Themen geworden, die den Frauen deutlich machten, welche Bedeutung das Wahlrecht für die Durchsetzung von Reformen hatte. Sie konnten erst nach der Erlangung des Wahlrechts und auch dann nur gegen aktiven oder hinhaltenden Widerstand errungen werden. Das 1927 verabschiedete Reichsgesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten verpflichtete erstmals auch die Männer zur medizinischen Behandlung im Falle einer Geschlechtskrankheit und schaffte die Sittenpolizei mit ihren für Frauen diskriminierenden Sonderbefugnissen ab. König zeigt, dass hierfür die aktive Lobbyarbeit einzelner Aktivistinnen und die Mitwirkung der Parlamentarierinnen aller Parteien erforderlich waren.

Die Beiträge des Bandes führen jüngere Forschungen zusammen und machen deutlich, dass die Frage der politischen Partizipation von Frauen kein Randthema ist, sondern ins Zentrum der Demokratiegeschichte, der politischen Geschichte gehört. Dieser Band kann einen Beitrag dazu leisten wahrzunehmen, dass das allgemeine Wahlrecht nicht 1867, sondern 1918/1919 eingeführt wurde. Dass das immer noch nicht selbstverständlich ist, davon zeugt schon die noch immer übliche Verwendung des Begriffs »Frauenwahlrecht« – als gebe es ein Wahlrecht »an sich« und ein spezielles, das nur Frauen betrifft, denen damit eine Sonderrolle zugeschrieben wird. Wolff und Richter bleiben gleichwohl bei dem überkommenen Begriff, ohne ihn überhaupt zu problematisieren. Das ändert nichts an ihrem Anspruch, die Dominanz eines mit Männlichkeit assoziierten Revolutionsnarrativs der Demokratisierungsgeschichte aufzubrechen.

Dem folgt Wolff auch in ihrer monographischen Darstellung. Das Wahlrecht für Frauen schildert sie als Ergebnis eines Prozesses, der mit der Französischen Revolution begann und in dem die Erlangung des Wahlrechts eine Etappe war, ein »Meilenstein auf dem Weg zur Gleichberechtigung« (S. 15), nicht ein Endpunkt oder Ziel. Der Band ist in einer Reihe zu Frauen in der Geschichte erschienen und gibt sich schon durch die das Design dominierende Farbe Lila als der Frauenbewegung zugehörig zu erkennen. Die Darstellung ist für ein breites Publikum geschrieben und kommt daher ohne Fußnoten aus, enthält aber ein ausführliches Quellen- und Literaturverzeichnis. Ansprechend sind die vielen Bilder und graphisch hervorgehobenen Quellenzitate.

Die Darstellung folgt der Chronologie, die den herausragenden Protagonistinnen breiten Raum gibt: Von Olympe de Gouges in der Französischen Revolution über Louise Otto-Peters seit 1848 zum Beginn der Frauenbewegung mit Hedwig Dohm, den Kämpferinnen für Frauenbildung um Helene Lange und Gertrud Bäumer zu den radikaleren Kämpferinnen für das Frauenwahlrecht um Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann und der sozialistischen Frauenbewegung um Clara Zetkin, Rosa Luxemburg und Marie Juchacz. Wolff weist auf die internationale Vernetzung der Frauenrechtlerinnen hin, die auch für die Gründung des ersten deutschen Frauenstimmrechtsvereins 1902 eine katalysierende Bedeutung hatte.

Den nationsübergreifenden Verbindungen der Frauenrechtlerinnen stellt sie die naturalistisch und zunehmend nationalistisch argumentierenden Gegner der Frauenemanzipation gegenüber. Sie argumentiert, dass im 19. Jahrhundert Politik, Nation und Staat zunehmend an ein männlich gedachtes Ideal gebunden wurden, so dass die Forderung nach politischer Partizipation von Frauen das Staatsverständnis insgesamt in Frage stellte. Dass der Rat der Volksbeauftragten im Wahldekret von 1918 das preußische Dreiklassenwahlrecht ebenso aufhob wie die Ausschließung der Frauen, führt Wolff nicht auf den Sozialismus zurück, sondern auf den vorangegangenen intensiven öffentlichen Druck, den die Frauenverbände mit Petitionen und Demonstrationen aufgebaut hatten.

Der Krieg hatte zu einer Annäherung der sozialdemokratischen und der bürgerlichen Frauenrechtlerinnen geführt und ein gemeinsames Engagement erleichtert. Während der Kaiser das in seiner Osterbotschaft noch ignoriert hatte, konnte der Rat der Volksbeauftragten hieran nicht mehr vorbeigehen. Kerstin Wolff resümiert in dieser Darstellung den Forschungsstand mit souveräner Kennerschaft und bereitet ihn lesbar auf. Es ist dem Buch zu wünschen, dass es Leserinnen findet und auch Leser über den Kreis der Frauenbewegung hinaus. Denn das machen beide Publikationen deutlich: Die Frage der Partizipation von Frauen muss man einbeziehen, wenn man die Entwicklung des Staatsverständnisses und der Demokratie insgesamt seit der Französischen Revolution verstehen will.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Barbara Wolbring, Rezension von/compte rendu de: Hedwig Richter, Kerstin Wolff (Hg.), Frauenwahlrecht. Demokratisierung der Demokratie in Deutschland und Europa, Hamburg (Hamburger Edition) 2018, 295 S., ISBN 978-3-86854-323-0, EUR 30,00; Kerstin Wolff, Unsere Stimme zählt! Die Geschichte des deutschen Frauenwahlrechts, Überlingen (Bast Medien) 2018, 160 S. (History Books), zahlr. Abb., ISBN 978-3-946581-52-9, EUR 19,90., in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62908