Renate Blickles Grundlagenforschungen zur Geschichte der Grundrechte in der Frühen Neuzeit, wie es im Untertitel dieses Aufsatzbandes heißt, in nur neun Beiträgen zu versammeln, war sicher kein leichtes Unterfangen für die Herausgeberinnen. Dass Renate Blickle selbst bei der Auswahl der Abhandlungen, die in zwanzig Jahren zwischen 1987 und 2007 erstmals veröffentlicht wurden, mitsprach, verwundert deswegen nicht.

Dem nun vorliegenden Konzentrat liegen Analysen zur Entwicklung der Menschenrechtsgeschichte in Altbayern während der Frühen Neuzeit vor, wobei Blickle wann immer nötig auch das Spätmittelalter mit einbezieht, um Konfliktanfälligkeiten zwischen Herrschaft und Untertanen herauszuarbeiten. Denn nicht ideengeschichtlich geht die Historikerin an die Genese der Grundrechte heran, sondern ad fontes, d.  h. anhand von Quellen analysiert sie die Kontexte der sich zwischen Herrschaft und Untertan entspinnenden Diskurse um Rechte und Pflichten beider Seiten, um Eigenschaft und Freiheit, um Fronarbeit bzw. Zwangsarbeit und um rechtliche Verfahren.

In den ersten beiden und noch aus den 1987er Jahren stammenden Aufsätzen sind die Protagonisten die Bauernschaften der Klosterherrschaften Steingaden und Ettal. Während erstere sich der expansiven Kloster Steingadischen Machtpolitik und der damit einhergehenden wachsenden Leibeigenschaft kaum zu entziehen vermochten, auch den Hof im Eigen nicht zu einem Eigenhof durchsetzen konnten – erst Mitte des 18. Jahrhunderts wurden die Bauern Nutzeigentümer mit Erbrecht im Eigen –, war die seit dem 11. Jahrhundert schon rudimentär existierende Ammergauer Bauernschaft seit Gründung des Klosters Ettal im Jahre 1320 auf der Hut vor etwaigen Herrschaftsausdehnungen und Machtansprüchen des Benediktinerklosters. Das zementierte nicht nur das Recht auf Eigentum der Ammergauer »Territorial-Genossenschaft« (S. 23), sondern generierte Widerstand und Protest gegen das Kloster, wann immer dieses versuchte, die bäuerlichen Rechte zu reduzieren. Hier wie im nächsten Beitrag zur Hausnotdurft arbeitet Blickle das Selbstverständnis der Bauern und ihr Wissen um Wege und Maßnahmen zur Abwehr von Herrschaftsintensivierung heraus, der im Ammergauer Fall über den Mediator Landesherrn verlief und die klösterlichen Versuche, das bäuerliche Erbrecht einzuziehen, abschmetterte.

Übermäßige herrschaftliche Ansprüche nicht hinzunehmen, lieferte auch die Argumentation mit Bezug auf die Hausnotdurft, jenes, wie Blickle es nennt: Fundamentalrecht, das alle Stände einschloss und, sei es für den Bauern, sei es für die Herrschaft, alle Leistungen auf den Bedarf und nicht darüber hinaus beschränkte. Das war dann hochgradig wichtig, wenn dem Bauern die Einbringung der eigenen Ernte prioritär und dann erst die des Herren zugestanden wurde oder wenn Konflikte zwischen Herren und Bauern mit Rekurs auf die Hausnotdurft geschlichtet werden konnten. Mit der Analyse der Hausnotdurft gelingt Blickle ein Grundsatzbeitrag zu Menschenrechten in und seit der Frühen Neuzeit, der Studierenden und Lehrenden durchgängig geläufig sein sollte.

Was göttliches und natürliches Recht sein kann, entwickelt die Historikerin am Beispiel eines Bauernaufstandes in den östlichen und westlichen Gebieten des Inns in den Jahren 1633/1634, mitten im Dreißigjährigen Krieg. Dabei war der eigentliche Konflikt gar nicht gegen den Landesherren gerichtet, sondern es ging um die Selbstverteidigung gegen die marodierenden umherziehenden Söldner, die das Land und die Bauernhöfe verwüsteten. Trotz des nicht mehr von der Obrigkeit gewährten Schutzes gegen die Marodeure wurden die sich dagegen wehrenden Bauern von den kurfürstlichen Soldaten niedergemetzelt, ein Teil gefangen genommen und vor ein Malefizgericht in Burghausen gestellt. Verhandelt wurde hier das natürliche Recht auf Selbsterhalt, das aus dem göttlichen Recht abgeleitet wurde. Dass sich die Justiz letztlich gegen die aufrührerischen Bauern wendete, lag an der Begründung, die Bauern hätten Soldaten ermordet, nicht daran, dass sie sich verteidigt hätten.

Freiheit als Gegenstück zur Unfreiheit und Unfreiheit als personale Leibeigenschaft behandelt Blickle im folgenden Beitrag, in dem sie die Idee der Freiheit nicht philosophisch herleitet, sondern anhand der Leibeigenschaft. Im Laufe des 18. Jahrhunderts entwickelte sich dieser Begriff in ein Kampfargument gegen Unfreiheit, die zunehmend auch mit der Sklaverei verglichen wurde. Im weitesten Sinne greift die Historikerin dies auch in zwei weiteren Aufsätzen zu Fronarbeit und Gesindedienst sowie zu Zwang und Strafe auf, nun aber nicht zur Abklärung philosophischer Nichtherleitbarkeit, sondern im Sinne von Zwang und freiem Willen, wie sich diese in der Praxis darstellten und wie dies auf die Bauern zurückwirkte.

Trotz solcher Zwänge und Gewalten gegen die Bauern wussten diese sich doch auch immer zu verteidigen. »Laufen gen Hof« hieß, den Prozessweg einzuschlagen, womit das Wissen der Bauern um die Möglichkeit des Prozessierens als ein vertrautes Handlungsmuster erscheint. Hier wie im anschließenden Beitrag geht es um die verschiedenen Entwicklungswege bis zum Landrecht 1616 und zur Entstehung des landesherrlichen Hofrates, der als Anlaufstelle für die Beschwerden und Supplikationen der Bauern diente.

Die hier nur im Abriss vorgestellten dichten Forschungen von Renate Blickle sind nicht nur aus landesgeschichtlicher bzw. agrar- und sozialgeschichtlicher Sichtweise her so beeindruckend, weil sie an konkreten Beispielen erarbeitet sind, sondern auch, weil alle Beiträge in ihren präzisen Argumentationen außerordentlich schlüssig und klug sind. Bemerkenswert ist, wie die Autorin ideengeschichtliche Theorien und Meistererzählungen mit ihren auf Quellen basierenden Analysen mit feinem Gespür konterkariert und diese den bäuerlichen Lebenswelten, soweit diese rekonstruierbar sind, entgegenstellt. Was diese Betrachtungen schließlich auch so lesenswert machen, ist die Nachvollziehbarkeit der praktischen Vorgänge des Recherchierens, wenn sie die untersuchten Quellenbestände erläutert, sowie die sich daran entwickelnden Gedankengänge und Schlüsse, die Blickle zieht.

Gern hätte man freilich im Vorwort erfahren, aus welchem Anlass der nicht gerade preiswerte Sammelband entstanden ist – zu Ehren Renate Blickles, ihrer Forschungen oder wegen der heute dringend und immer noch zu schützenden Menschenrechte? Immerhin, alle Gründe sind höchst nachvollziehbar und mehr als legitim, vor allem, weil die Beiträge Meisterstücke historischer Analysen sind, die allen Lehrenden und Studierenden (so diese sich das Buch leisten können) als Handwerkszeuge dienen sollten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anke Sczesny, Rezension von/compte rendu de: Renate Blickle, Politische Streitkultur in Altbayern. Beiträge zur Geschichte der Grundrechte in der frühen Neuzeit, hg. von Claudia Ulbrich, Michaela Hohkamp und Andrea Griesebner, Berlin, Boston, MA (De Gruyter) 2017, XII–226 S. (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 58), ISBN 978-3-11-053910-3, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2019/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62938