Der Protestantismus ist die Konfession des Wortes, Bilder bzw. bildliche Darstellungen als Visualisierungen von Glaubensinhalten haben deshalb per definitionem weder im Calvinismus noch im Luthertum Bedeutung. Mit dieser vereinfachten Charakterisierung, die sich im Fachpublikum ebenso wie unter interessierten Laien lange gehalten hat, setzt sich das Buch von Bridget Heal, Reformationshistorikerin an der Universität St. Andrews, in einer beeindruckenden Analyse der Entwicklungen für das Luthertum auseinander.

Sie tut dies über einen Zeitraum von 200 Jahren (1550–1750) für Kursachsen und Brandenburg. Ihre These, die in drei großen Abschnitten unter den Überschriften: »I. The Confessional Image«, »II. The Devotional Image« und »III. The Magnificent Image« entfaltet wird, lautet in Kurzfassung: Lutherische Theologie hat ihren Kern im Wort. Das aber führte keineswegs zur Leugnung von vorreformatorischen Traditionen bildlicher Glaubensinhalte einerseits. Stattdessen erwuchs eine spezifisch lutherische Bildtheologie seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert andererseits. Und es lässt sich zum Dritten seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Etablierung einer eigenen theologiepolitischen, lutherischen Identität nachweisen.

Der damit behauptete zeitübergreifende Zusammenhang wird in ausführlichen Analysen belegt. Das beginnt mit der Rolle, die bildliche Darstellungen für das frühe Luthertum in seiner Auseinandersetzung mit dem »bilderstürmenden« Calvinismus einerseits, dem Reformkatholizismus und seiner ausgeprägten Bilderfreundlichkeit andererseits gewannen. Die Verfasserin bezeichnet dies als »konfessionsbezogenes Bild« (confessional image) und illustriert dessen Funktion u.a. mit den innerlutherischen Kontroversen darüber, was als Adiaphora anerkannt werden könnte. Luther selbst hatte die verstärkende Wirkung bildlicher Darstellungen für das Wortverständnis gerade unter den »Schwachen im Glauben« stets betont. Daran anknüpfend einigte sich die Mehrheit der verschiedenen innerlutherischen Gruppierungen, die in den interimistischen Bewegungen entstanden waren, auf exakt jene Anerkennung der glaubensstärkenden Rolle des Bildes. Und damit verschaffte man sich zugleich eine theologisch begründete Position zwischen dem puristischen Calvinismus und dem das Bild als äußerliche Frömmigkeit anerkennenden katholischen Lager.

In der anschließenden Zeitspanne des ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhunderts (Teil II), in der, so Heal, das Bild als Inbegriff der lutherischen Kreuzestheologie (devotional image) verstanden wurde, vollzog sich ein Wandel. Das Bild war nicht mehr nur wenn auch theologisch begründete Funktion. Vielmehr wurde es zu einem unverzichtbaren Teil der lutherischen Frömmigkeit, die sich in der Darstellung des Kreuzes- als Opfertod Christi und in der erlösenden Auferstehung zeigte. Mit dieser Zuordnung erwuchs eine lutherische Frömmigkeit, die sich auch als Individualisierung des Gläubigen in seiner unmittelbaren Beziehung zum Opfertod Christi darstellte (»Lutherans and the Suffering of Christ«). Darin lag auch eine theologiepolitisch neue Qualität, ermöglichte doch diese Position die Verzahnung von vorreformatorischer Bildfrömmigkeit und lutherischer Bildtheologie des frühen 17. Jahrhunderts. Für den lutherischen Adel eröffnete sich damit eine politisch zentrale Legitimationslinie durch Kontinuität: Ihre vorreformatorischen frommen Vorfahren konnten in die eigene neue Frömmigkeit nahtlos eingebunden werden. Am Beispiel des Görlitzer Heiligen Grabes (S. 145ff.) kann die Verfasserin diese Deutung belegen.

Auf dieser Basis konnte seit der Mitte des 17. Jahrhunderts (Teil III: »The Magnificent Image) eine spezifisch lutherische Erinnerungskultur für die Vorfahren entstehen (»the commemoration of the Dead«), die als geistliches Element in die lutherische Theologie eingebunden war und zugleich die Einheit der lebenden Gemeinde mit den verstorbenen Frommen herstellte. Mit dieser Deutung stellt sich die Verfasserin ausdrücklich gegen die in der Kunstgeschichte lange vertretene These von der Säkularisierung des ausgehenden 17. Jahrhunderts (Hans Belting), die sich in der Trennung von Frömmigkeit und Ästhetik nachweisen lasse. Heal betont stattdessen die kollektive Erinnerung in Gestalt der bildlichen Darstellungsformen (u. a. Skulpturen) auch im ausgehendenden 17. Jahrhundert als enge Verzahnung von Ästhetik und Frömmigkeit und damit Kirche und Welt. Dies sei der Grund für das auch im Luthertum blühende Werk des Barock gewesen (S. 195). Die somit theologisch legitime Bildtheologie war für die höfische Gesellschaft u.a. des Dresdner Hofes ein unverzichtbarer, auch sozialpolitischer Wert.

Diese Legitimationsstrategie gab es, so die These Heals weiter, nicht nur im höfischen Adel, sondern auch in den städtischen Eliten. Sie war die Basis für die Festigung einer spezifisch lutherischen Identität: »The verbal did not triumph over the visual and to foreground the word while forgetting the image is to misinterpretate the nature of early modern Luther piety« (S. 269).

Das Bild, das Heal mit großer Sachkenntnis skizziert, ist in sich stimmig, für die ausgesuchten Territorien gibt es eine beeindruckende Überlieferung, zudem zeitgenössische Zeugnisse. Die offene Frage bleibt: Ist diese konfessionelle Identität nicht vor allem die Antwort auf einen erstarkenden Katholizismus gewesen, also eine Funktionalisierung der Theologie? Wenn Theologie und Kunst so eng verzahnt waren, konnte sich dann nicht sehr rasch ein politischer Gebrauch etablieren, der die Theologie lediglich »benutzte«? Und welchen Charakter hätte dann jene spezifisch lutherische Identität bekommen?

Die Rezensentin neigt angesichts der Arbeit von Bridget Heal nicht zu dieser Aussage – aber die Frage bleibt eine, die ausdrücklich diskutiert werden muss.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Luise Schorn-Schütte, Rezension von/compte rendu de: Bridget Heal, A Magnificent Faith. Art and Identity in Lutheran Germany, Oxford (Oxford University Press) 2017, XVIII–305 p., num. fig., 15 pl., ISBN 978-0-19-873757-5, GBP 70,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62943