Eine beliebte Richtschnur für Ausstellungen und kunsthistorische Überblicke nicht nur in Frankreich, aber da vor allem, ist die Figur des Fürsten respektive Monarchen. Wie Perlen auf einer historiografischen Kette durchmessen die Namen der Könige vom Mittelalter bis zur Revolution und darüber hinaus das Feld, werden ganze Jahrhunderte oder Zeitalter nach ihnen benannt, sind sie immer wieder Dreh- und Angelpunkt kleiner und größerer Betrachtungen, geben Anlass für neue Perspektiven und Forschungsunternehmungen, strukturieren Zeit und Raum der französischen Kunstgeschichte. Während Franz I. seit den 1980er Jahren kontinuierlich und erst kürzlich wieder als »père des arts et des lettres« viel Aufmerksamkeit bekam1, ist der im allgemeinen französischen Geschichtswissen vermutlich deutlich besser verankerte, bis heute ungemein populäre Heinrich IV. (reg. 1589–1610) in seiner Eigenschaft als Förderer und Initiator, Profiteur und Gegenstand der Künste schon länger nicht mehr umfassend in den Blick genommen worden2.
Hier schafft der vorliegende Band Abhilfe. Die im DIN-A4-Format erschienene Publikation versammelt die Beiträge eines 2010, wohl anlässlich des 400. Todestages Heinrichs IV. in Paris abgehaltenen wissenschaftlichen Kolloquiums. Die 21, mit einer Ausnahme in französischer Sprache verfassten Aufsätze sehr unterschiedlicher Länge verteilen sich auf sechs Sektionen, die aktuelle Schwerpunkte der Auseinandersetzung mit dem Monarchen und seinem Umfeld, mit seinen Repräsentationsmedien und -weisen, seinen Aktivitäten auf dem Feld der Künste und der Architektur, seiner Regierungsweise, Erinnerungskultur und Historiografie zu konturieren versuchen.
Offenbar ging es nicht darum, das Themenfeld systematisch zu kartieren, sondern jüngere Forschungsinteressen, -projekte und -ergebnisse abzubilden. Viele Beiträge werden von Schwarzweißabbildungen begleitet. 48 Farbtafeln sind im Mittelteil gebündelt und ein wenig unübersichtlich mit den Texten verschränkt. Nicht alle Abbildungen sind von hochwertiger Qualität, was die Auflösung und den Zuschnitt anbetrifft.
Erwartungsgemäß sind einige Beiträge den für Heinrich und seinen Hof arbeitenden Künstlern und Architekten, ihrer Sozialisation und Organisation gewidmet. Beeindruckend in der Fülle und Dichte des Materials ist Geneviève Bresc-Bautiers Darstellung zu den königlichen Bildhauern und ihren Arbeiten, insbesondere an und in den Schlössern des Monarchen und folglich der von Sully geleiteten surintendance des bâtiments unterstellt. Dominique Cordellier rekonstruiert durch die Analyse einiger bislang kaum berücksichtigter Zeichnungen personelle, stilistische und ikonografische Kontinuitäten zwischen der Schule von Fontainebleau unter Franz I. bzw. Heinrich II. und den künstlerischen Entwicklungen um 1600. Er spricht sich dafür aus, diese spätere Phase weiterhin, wie Louis Dimier es im frühen 20. Jahrhundert vorschlug, die »Zweite Schule von Fontainebleau« zu nennen. Interessant und im Trend aktueller Forschungen liegend3 ist der Beitrag von Cécile Scailliérez, die am Beispiel des Hieronymus Francken (1540–1610) den Verbindungen zwischen flämischer und französischer Künstlerschaft nachspürt und u. a. die Bedeutung der Grisaille-Malerei darlegt. Überraschende Funde präsentiert auch Jean-Claude Boyer, der die stupende Popularität und Bewunderung des Hofmalers Martin Fréminet (1567–1619) in der Kunstliteratur, Dichtung und anderen Schriftdokumenten des 17. Jahrhunderts herausarbeitet. Erst mit André Félibien, der den (später so genannten) Manierismus geringschätzte, scheint der Ruhm Fréminets zu verblassen, als dessen Hauptwerk die Ausgestaltung der Trinité-Kapelle im Schloss von Fontainebleau ab 1608 gilt, der aber vielleicht auch für den Entwurf eines opulenten Grabmals für Heinrich IV. verantwortlich zeichnet (vgl. S. 315).
Gleich mehrere Beiträge machen deutlich, dass Heinrich IV. wichtige Impulse für die Ordnung und Pflege der königlichen Sammlungen und Bauten gab und auf diesem Feld tatsächlich Neuerungen einführte, die ihn als einen höchst modernen, besonnen agierenden und auf Nachhaltigkeit setzenden Herrscher kennzeichnen. Delphine Trébosc zufolge verstand es der erste Bourbone auf dem französischen Thron, über eine auf Neuordnung, Renovierung und Modernisierung setzende Sammlungspolitik seine königliche Macht und Legitimität zur Schau zu stellen. Ihm verdanken sich die Einrichtung bzw. Ausdifferenzierung eines Gemäldekabinetts, einer Schatzkammer und einer Jagdtrophäensammlung in Fontainebleau und die Unterbringung der klassisch antiken Bestände in der Grande Galerie des Louvre-Palastes, mithin die Einrichtung der ersten königlichen Antikensammlung in Frankreich.
Das Konzept entsprach dem Sammlungsideal des späten Manierismus, auch hinsichtlich der Trennung eines eher privaten Sammlungsbereichs, im Schloss Fontainebleau, und einer eher öffentlichen Zurschaustellung fürstlicher Schätze in der Hauptstadt Paris. Wie Laure Fagnart herausstellt und auch der Beitrag von Emmanuel Lurin deutlich macht, maß Heinrich IV. der Instandsetzung sowie dem Um- bzw. Weiterbau der königlichen Schlösser große Bedeutung bei und betrieb eine – aus heutiger Warte – regelrechte Kulturerbepflege, die ihn als Restaurator und zugleich Erneuerer der französischen Monarchie erscheinen ließ. Dazu gehörte auch die Rettung der im appartement des bains in Fontainebleau zu verschimmeln drohenden Gemälde und deren Verbringung in das eigens dafür im Poêles-Flügel eingerichtete Kabinett.
Wertschätzung und Abgrenzung gegenüber dem Erbe der Valois-Dynastie wurden auch an anderen Stellen markiert und strategisch zum Einsatz gebracht, wie Margaret M. McGowan am Beispiel der königlichen entrées 1594 bis 1610 und Monique Chatenet an der Entwicklung des Zeremoniells unter Heinrich IV. aufzeigen können. Die Macht dieser ephemeren Schauspiele bestand auch in der nun intensiver als zuvor genutzten Möglichkeit ihrer Verbreitung über druckgrafische Blätter und Kompendien. Am Beispiel der Taufe des Thronfolgers und seiner Schwestern in Fontainebleau im September 1606 arbeitet Chatenet die Diskrepanzen zwischen dem Zeremoniell und seiner bildlichen Darstellung heraus, um so exemplarisch auf die Eigenlogik der Medien und ihres propagandistischen Potenzials zu verweisen.
Propaganda für den Herrscher und die an seine Person geknüpften Gründungs- und Erneuerungsmythen ist ein wiederkehrendes Thema – auch in den Beiträgen von Jean-Francois Dubost, Paul Mironneau und Colette Navel, die dem Reiterstandbild Heinrichs IV. auf dem Pont-Neuf und den großen postumen Gemäldezyklen in Florenz und Paris gewidmet sind. Alle drei bestechen durch besonders tiefe Recherchen und sorgfältigen Argumentationsaufbau. Dubosts Analyse konzentriert sich auf den Bedeutungswandel, den das auf eine Initiative Marias von Medici zurückgehende Reitermonument im Vorfeld, zum Zeitpunkt und nach seiner Aufstellung erfuhr, und legt überzeugend dar, welche Herrscher-Identität damit jeweils formuliert wurde. Mironneau wiederum untersucht die künstlerische Gestaltung der Exequien für Heinrich IV. im September 1610 in San Lorenzo in Florenz sowie deren druckgrafische Reproduktion und Verbreitung in einem von Giuliano Giraldi konzipierten und kommentierten Büchlein. Eindrucksvoll gelungen ist die Analyse des 26-teiligen Zyklus als Medium und Format, seiner Ikonografie und stilistischen Ausrichtung ebenso wie der Vorbilder im konkreten historischen Kontext der Zeit um 1600. Mironneau kann u. a. zeigen, dass man auf historiografische Quellen und andere vermeintlich glaubwürdige Darstellungen zurückgriff, um besonders authentische Bilder der Personen, Schlachten, Stadtansichten etc. zu schaffen. Wenngleich der Florentiner Zyklus in der allgemeinen Wahrnehmung von den späteren, für den Luxembourg-Palast entstanden Rubens-Folgen zum Leben Heinrichs und Marias überstrahlt wird, sicher auch wegen seiner Grisaille-Optik und der weniger prachtvollen musealen Präsentation heute, so hatte er für diese doch eine immense Vorbild-Funktion. Das betont auch Nativel, die in ihrem Beitrag zur Galerie für Heinrich IV. u. a. interessante Überlegungen zur geplanten Hängung anstellt und Rubens’ Zusammenarbeit mit dem Brüsseler Maler Pieter Snayers bei diesem Zyklus untersucht.
»Henri IV. Art et pouvoir« ist ein die Forschung zu Heinrich IV. und seiner Zeit bereichernder und viele neue Anregungen vermittelnder Band, der sich vorzüglich in die kunsthistoriografische Perlenkette der französischen Monarchie einreiht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sigrid Ruby, Rezension von/compte rendu de: Colette Nativel (dir.), avec la collaboration de Luisa Capdieci, Henri IV. Art et pouvoir, Tours (Presses universitaires François-Rabelais) 2016, 360 p., nombr. fig. en n/b (Renaissance), ISBN 978-2-86906-411-9, EUR 37,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62947