Luigi Mascilli Migliorini, Ordinarius für Neuere Geschichte und Geschichte des Mittelmeers an der Università degli Studi L’Orientale in Neapel, ist ein ausgewiesener Kenner der Epoche um 1800; unter anderem ist er auch mit einer Biografie Napoleons hervorgetreten (italienisch 2001, französisch 2004)1, die mit dem Grand Prix de la Fondation Napoléon ausgezeichnet wurde.

Nun hat er sich einem wichtigsten Gegenspieler des Empereur zugewandt, Clemens Wenzel Fürst (ab 1813) von Metternich-Winneburg, 1809–1848 leitender Minister und Staatskanzler (ab 1821) der Habsburgermonarchie, dessen planvolle Überlegungen in den Jahren 1813-1815 einen wesentlichen Anteil am Zusammenbruch der kontinentalen Hegemonie Napoleons hatten. Die beiden Männer kannten sich gut aus Metternichs Jahren als Botschafter in Paris 1806–1809, wofür sich Napoleon dezidiert »jemanden aus dem Hause Kaunitz« gewünscht hatte – Metternichs erste Ehefrau war eine Enkelin des Fürsten Kaunitz-Rietberg, des langjährigen Leiters der österreichischen Außenpolitik und Urhebers des Bündnisses der Habsburger mit den Bourbonen von 1756. Später, Ende Juni 1813, begegneten sich beide Männer noch einmal beim berühmten neunstündigen Gespräch im Palais Marcolino in Dresden, das Metternich – nach seiner Darstellung – mit den Worten »Vous êtes perdu, Sire« verließ, um sich der Allianz gegen Napoleon anzuschließen.

Die hier vorliegende, gut gelungene französische Übertragung des italienischen Originals2 , deren Urheber/in leider nicht genannt wird, sorgt durch besser strukturierte Absätze für leichtere Lesbarkeit und übernimmt im Großen und Ganzen den wissenschaftlichen Apparat der italienischen Ausgabe, wobei bei den Zitationen von Standardwerken wie Lefebvres Napoleon-Biografie die französische (Original-)Fassung an Stelle der italienischen Übersetzungen tritt. Das italienische Buch trug (allerdings nur auf dem Umschlag!) den Untertitel »L’artefice dell’Europa nata dal Congresso di Vienna«, was, worauf Wolfram Siemann hingewiesen hat, die erste ausdrückliche Würdigung der Bedeutung Metternich als »Architekten Europas« durch einen italienischen Historiker darstellt.

Akteure in Mascilli Migliorinis Darstellung sind die großen Mächte und ihre leitenden Politiker, die wie auf einer Bühne erscheinen, zu uns sprechen und wieder abtreten. Stets im Zentrum steht dabei der Protagonist; deswegen beginnt das Buch auch mit dem berühmten Stoßseufzer des fast 50jährigen Metternich von 1822, entweder zu früh oder zu spät geboren zu sein, weshalb ihm in seiner eigenen Epoche nun keine andere Wahl bleibe, als morsche Gebilde und verfallende Ruinen zu stützen.

Bis dahin hat sein Biograf die klassischen Lebensstationen abgeschritten: die Jugend im Rheinland, das Studium bei Koch in Straßburg, die Situation der reichsgräflichen Familie im Gefolge der Geschehnisse nach 1789, die Eheverbindung mit der Familie Kaunitz, die wichtigen Positionen im diplomatischen Dienst der Habsburger ab 1801, die Zeit als Botschafter in Paris und die Übernahme des Außenministeriums im Jahr 1809. Die Kapitel zum Wiener Kongress und zum europäischen Konzert würdigen Metternichs zentrales Anliegen einer Stabilisierung des europäischen Staatensystems, was aber letztlich nicht erreichbar gewesen sei, da der leitende Minister, gegen seinen Willen, durch Großbritannien und Russland in die Rolle des »gendarme de l’Europe« (S. 143) gedrängt worden sei. In den Jahren 1819/20, mit den politisch-militärischen Eingriffen in die »révolutions romantiques« im Mittelmeergebiet (S. 167), sieht der Verfasser deswegen eine tief persönliche Wende seines Protagonisten zum Pessimismus, die sich in der erwähnten Aporie des »Trop tôt ou trop tard« (S. 9) Ausdruck verschaffte.

Aus der Perspektive eines italienischen Historikers, der zugleich ein vorzüglicher Kenner Frankreichs ist, zeigt Mascilli Migliorini großes Verständnis für die Zentrierung der Interessen der Habsburgermonarchie auf die Apenninen-Halbinsel, betont aber die Schwierigkeiten, die sich im Verhältnis zu den in Neapel-Sizilien, in Lucca (und ab 1847 auch wieder in Parma) regierenden Linien der Bourbonen sowie durch die gestärkte Position Sardinien-Piemonts ergaben.

Mascilli Migliorinis Schreibstil von klassisch-literarischer Eleganz wird auch in der französischen Übersetzung deutlich. So sind es auch viele »klassische« Autoren des 19. Jahrhunderts wie Adolphe Thiers, Heinrich von Sybel, Albert Sorel oder Édouard Driault, auf die in den Zitaten und Anmerkungen zurückgegriffen wird. Die zwölf Kapitel folgen natürlich den Lebensstationen des Protagonisten, entfalten in sich aber ein dichtes Geflecht von Stimmen, Verweisen und Kommentaren der zeitgenössischen Protagonisten und späteren Geschichtsschreiber, gegen das Analyse und Chronologie in den Hintergrund treten. So setzt die Lektüre des Werks eine eingehende Kenntnis der Ereignisgeschichte der Epoche voraus.

Mascilli Migliorinis Lebensbild basiert auf eingehender Quellenarbeit, hauptsächlich aus Memoirenwerken und gedruckten Korrespondenzen, nur sehr begrenzt aus Archiven (Wien, Prag). Als Leitfaden dient vor allem die französische Fassung der von Richard von Metternich und dem Historiker Alfons von Klinkowström ab 1880 herausgegebenen mehrbändigen, gleichzeitig in deutscher, französischer und englischer Sprache erschienenen Sammlung der »Nachgelassenen Papiere/Mémoires, documents et écrits divers/Memoirs«, für die der Staatskanzler seit den 1820er-Jahren Notate gesammelt und die er nach seiner Entlassung 1848 gezielt vorbereitet hatte. Damit übernimmt der Verfasser freilich das Bild, das Metternich, ähnlich wie sein großer Gegenspieler Napoleon, im Alter bewusst von sich selbst entworfen hat – etwa in der Stilisierung zum »Wächter Europas« schon nach dem Frieden von Lunéville 1801, oder zum rückwärtsgewandten Propheten in der Einschätzung, dass diesem Frieden keine lange Dauer beschieden sein werde (vgl. S. 50f.).

Die weitgehend unkritische Projektion des Selbstbilds des Staatskanzlers in die Forschungszusammenhänge des 21. Jahrhunderts geht einher mit einem zweiten, durchaus problematischen Axiom des Verfassers. Er stützt sich, gerade für die Darstellung der jüngeren Jahre Metternichs, auf Heinrich von Srbiks Biografie von 1925, die für ihn »encore aujourd’hui doit être considérée comme l’ouvrage le plus important, sous l’aspect documentaire et sous l’aspect interprétatif, écrit au sujet de Metternich« (S. 310, Anm. 11). Allerdings hat Wolfram Siemann inzwischen in seiner magistralen Metternich-Biografie3 nicht nur die massive Tendenziosität Srbiks bis hin zur Verwendung rassistischer Kategorien dargelegt, sondern mit seinem Buch selbst jenen Maßstab der historisch-kritischen Forschung gesetzt, den Luigi Mascilli Migliorini immer noch bei Srbik verorten will.

Der italienische Autor hat dieses neue Standardwerk, für das der Münchner Emeritus für Neueste Geschichte in jahrzehntelanger Arbeit den gesamten Nachlass Metternichs in Königswart bzw. Prag aufgearbeitet hat, zwar zur Kenntnis genommen, doch bot sich, offensichtlich aus Zeitgründen, keine Gelegenheit zu einer eingehenden Auseinandersetzung oder auch nur zur Einarbeitung der wichtigsten neuen Erkenntnisse. Es findet sich nur an wenigen Stellen zitiert (erstmals in der Anm. 61 zu Kap. II, S. 321) – dort, wo in der italienischen Ausgabe auf Siemanns kürzeres Biogramm von 20104 verwiesen wurde. In späteren Belegen werden dann lediglich die Referenzen vom Taschenbuch von 2010 auf die Gesamtdarstellung von 2016 umgestellt.

Luigi Mascilli Migliorini hat ein klassisches »Lebensbild« einer zentralen Gestalt der europäischen Politik im 19. Jahrhundert vorgelegt; für den neuesten, archivalisch fundierten und abgewogen diskutierten Stand der Forschung zur facettenreichen und problematischen Figur des österreichischen Staatskanzlers hat man zu Wolfram Siemanns Biografie von 2016 zu greifen.

1 Luigi Mascilli Migliorini, Napoleone, Rom 2001 (Profili. Nuova serie, 29): id.: Napoléon. Traduit de l’italien par Jean-Michel Gardair. Préface de Thierry Lentz, Paris 2004.
2 Id., Metternich, Rom 2014 (Profili. Nuova serie, 60).
4 Id., Metternich. Staatsmann zwischen Restauration und Moderne München 2010.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Reinhard Stauber, Rezension von/compte rendu de: Luigi Mascilli Migliorini, Metternich, Paris (CNRS Éditions) 2018, 432 p., 10 ill. en coul., ISBN 978-2-271-08742-3, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62977