In der Einleitung dieser 2017 in Marburg angenommenen geschichtswissenschaftlichen Dissertation verweist Christine Braun auf Friedrich Kapps »keineswegs« wissenschaftliche, 1864 erschienene Schrift »Der deutsche Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika« und auf die Verbreitung des seit 1776 in Umlauf gekommenen propagandistischen »Mythos«, wobei seit dem Vormärz in der gegen den fürstlichen Partikularismus neu entfachten Polemik drei Texte eine zentrale Rolle spielen: Friedrich Schillers »Kabale und Liebe«, Johann Gottfried Seumes »Spaziergang nach Syrakus« und der in der nordamerikanischen Forschung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts manchmal Benjamin Franklin zugeschriebene, noch im 19. Jahrhundert gern verwendete (und etwas abgeänderte) »Urias-Brief« (»Lettre du Comte de Chanmburg« – sic).

Die Arbeit wurde von sehr guten Kennern des Themas betreut: Erstgutachter war Christoph Kampmann, Zweitgutachter Holger Thomas Gräf. Diese Arbeit besteht nebst Einleitung und Schlussfolgerung aus drei ungleich langen, großen Kapiteln, die folgende Themen behandeln: die historische Praxis der Truppenvermietungen (S. 37–52); die Diskussion im 18. Jahrhundert (S. 53–68); im letzten und längsten Kapitel wird die Kritik an dieser bis 1813 währenden Praxis an sich und in ihrer ideologischen und politischen Funktion analysiert (S. 69–258).

Die Truppenvermietung steht im Zusammenhang mit der Entstehung der für Klein- und Mittelstaaten besonders aufwändigen »stehenden« Heere. Die 1648 beschlossene »Autonomisierung« der Reichsstände schuf die legalen Voraussetzungen für »Subsidienverträge« mit ausländischen Mächten. Im Mittelpunkt der aufgeklärten Kritik standen Friedrich II. von Hessen-Kassel und Carl Eugen von Württemberg. Die Entstehung »nationaler« Armeen beendete diese Praxis (S. 51) – und im vornationalen Deutschland die Bundesakte und die (bis 1866 wirksame) Verpflichtung, keine deutsch-deutschen Kriege zu führen. Die englische Opposition hat die Subsidienverträge und gleichzeitig die Unterdrückung der Unabhängigkeitsbewegung in den nordamerikanischen Kolonien verurteilt. Im Heiligen Römischen Reich entsprang die (oft antiabsolutistische) Kritik einem aufgeklärten gesamtdeutschen Patriotismus, der noch in den Jahren der Französischen Revolution (Klinger) in der Generation des Sturm und Drang besonders stark ausgeprägt war.

Wie Christine Brauns Forschung beweist, wird man beispielsweise Schillers »Kabale und Liebe« nicht mehr als in der Hochliteratur der Zeit »einzigartige« Kritik hinstellen können (S. 34, 66). Auch in dieser Diskussion ist es allerdings Friedrich II. von Preußen gelungen, sich als Gegner der Truppenvermietung (bzw. Truppenanmietung) zu profilieren, obwohl dieser »aufgeklärte« absolute Monarch selbst direkt oder indirekt in solche Geschäfte verwickelt war (S. 28). Die französische Öffentlichkeit (zum Beispiel Honoré-Gabriel Graf Mirabeau, wohl der Autor von »Avis aux Hessois«) teilte die allgemeine Empörung, zumal die französische Monarchie die nordamerikanische Unabhängigkeit tatkräftig unterstützt hat.

Drei kleine Einwände: Es mag erstens zwischen dem polemischen Begriff »Soldatenhandel« und der historisch belegbaren Praxis der »Truppenvermietung« ein erheblicher Unterschied bestehen – für den Hessen oder Württemberger, der in fremden Diensten sein Leben oder seine Gesundheit lassen musste, dürfte dieser Unterschied jedoch nicht mehr so groß gewesen sein. Geradezu grotesk und tragisch mutet die Situation an verfeindete Fürsten »vermieteter« junger Hessen an, die im bayerischen Erbfolgekrieg gegeneinander kämpfen mussten. Eine grundsätzliche Kritik an der Praxis des politischen Gegners oder militärischen Feindes ist zweitens mit der Verfolgung anderer politischer Ziele durchaus vereinbar, so dass das von der Autorin oft angeführte Argument, die Funktion der moralischen Kritik bestehe bloß darin, politische Hintergedanken zu kaschieren, nicht überzeugt. Die »Truppenstellung verschiedener deutscher Fürsten an Napoleon« (S. 69) im Rahmen des Rheinbundes wird – das ist der dritte Einwand –im Zusammenhang mit dem »Mythos von Soldatenhandel« erwähnt: Hier geht es den deutschen Fürsten nicht darum, fremden Mächten ihre Untertanen zu »vermieten«, sondern eigene politische und territoriale Interessen zu verfolgen. Preußen hat 1866 keine andere Methode angewandt, um mit »Eisen und Blut« seine Interessen durchzusetzen. Ein Detail: Jan Pilditchs Aufsatz, der die Franklin-Hypothese verneint, fehlt in der Bibliografie1.

Insgesamt eine sehr interessante Arbeit, für die Christine Braun viele deutsche, englische und französische Quellen und eine beeindruckende Sekundärliteratur zusammengestellt und erschlossen hat.

1 Jan Pilditch, Franklin’s Sale of the Hessians: American or European Satire?, in: Australasian Journal of American Studies 7 no 1 (July 1988), S. 13–22

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

François Genton, Rezension von/compte rendu de: Christine Braun, Die Entstehung des Mythos vom Soldatenhandel 1776–1813. Europäische Öffentlichkeit und der »hessische Soldatenverkauf« nach Amerika am Ende des 18. Jahrhunderts, Darmstadt (Hessische Historische Kommission Darmstadt) 2018, 296 S. (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte, 178), ISBN 978-3-88443-333-1, EUR 28,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62989