Eine nicht nur in der Geschichtswissenschaft erfreulich festzustellende Tatsache ist die Vollendung begonnener Projekte und Unterfangen. Im vorliegenden Fall handelt es sich um die wertvolle Ergänzung einer ebenfalls verdienstvollen Publikation, welche der Verfasser dieser Zeilen auf diesen Seiten schon vor drei Jahren anzeigen konnte1. Sie betraf damals die 2015 erschienene erste moderne Biographie des Lütticher Prälaten Corneille Richard Antoine de Bommel (1790–1852) aus der Feder Philippe Dieudonnés. Heute nun ist es eine Freude, quasi als Komplettierung und Perspektivenerweiterung zu dieser Monografie einen Sammelband vorzustellen, welcher seinen Ursprung ebenfalls im Jahr 2015 in einem Fachkolloquium hat, dessen Erträge dann zwei Jahre später unter gemeinsamer Ägide wiederum von Philippe Dieudonné und Christian Dury als Band 71 des Lütticher Bulletins für Kirchengeschichte und kirchliche Kunstgeschichte herausgegeben wurden.
Die zeitliche und kausale Abfolge der Publikationsgeschichte entbindet den Rezensenten hier, nochmals die eminente Bedeutung Bommels für die Kirchen- und Landesgeschichte Belgiens in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufzuzeigen; stattdessen sei auf die entsprechenden Ausführungen der ersten Rezension verwiesen. Diese erfahren in vorliegendem Tagungsband besondere Bestätigung, da die einzelnen Beiträge die erwähnte Weite des von 1828 bis 1852 den Stuhl des Hl. Maternus einnehmenden Bischofs sprechend belegen – dies bis hin in Bereiche und Sphären, welche ein nicht sehr spezifisch versierter Leser nicht unbedingt mit der Thematik verbinden würde.
Selbstverständlich finden sich auch solche, für die dies zutrifft, also Themata, welche bischöflichen Viten zueigen sind. Hierzu rechnen die Beiträge von Augustinus Janssen über Bommels Pastoralvisiten, von Jo Luyten über das geistlich-religiöse Leben innerhalb der Diözese Lüttich während des besagten Pontifikates sowie jener von Johan Ickx über Bommels Rombeziehungen. All dies ist erhellend und bezeichnend, vieles unterstreicht und erweitert Punkte, die Dieudonné bereits in seinem Band angesprochen hat; alle Texte dieser ersten Kategorie belegen ebenfalls die in der erwähnten Besprechung evozierte Signifikanz der Lütticher Belange zur Hinterfragung liebgewonnener Stereotypen bezüglich Kirche und Kirchlichkeit im 19. Jahrhundert.
Ein zweiter Block an Aufsätzen erweitert die rein kirchlich-theologische Komponente hin zur Geistes- und Allgemeingeschichte der Epoche. Hierzu zählen Alfred Minkes Ausführungen zu Einflüssen des und Wechselwirkungen mit dem rheinischen Katholizismus der Zeit, sowie jene von Luc Courtois zur politischen, sozialen und identitären Verortung der Stiftung der Universität Lüttich als kapitales Monument belgischen Katholizismus’ in bewegter Zeit. Noch weiter über die ekklesiale Welt hinaus weisen die Erörterungen von Dieudonné selbst zu den französisch-deutschen Wurzeln des pädagogischen und erzieherischen Wirkens Bommels, sowie jene Geneviève Xhayets zu Bommel im Umfeld der industriellen Revolution in einem vom Strom des progrès technique nicht verschonten Belgiens und all der damit verbundenen sozialen und menschlichen Herausforderungen. Hier gewinnt das Bild Bommels sowohl an Kontur wie plastischer Perspektive; Leben, Wirken und Umfeld begegnen einander in gut durchdachten Analyseansätzen und Darlegungen.
Wirklich leuchten kann ein historisches Lebensbild aber eigentlich nur, wenn auch dem kulturellen Zeitkontext gebührend Raum zugemessen wird. Dies erfolgt in erfreulicher Ausführlichkeit, Dichte und Plastizität in einer dritten Textgruppe, innerhalb derer einer der unleugbaren Höhepunkte der geistlichen Regierung Bommels eine Art Referenzpunkt bildet – die 1846 stattgefundene Sechshundertjahrfeier des 1246 erstmals dort nachweisbaren Fronleichnamsfestes. Dieses herausragende Ereignis, welches seinerseits sich an einen der zentralen Glaubensausdrücke sowohl der hochscholastischen, wie aber auch barock-erneuerungskatholischen Theologie knüpft, aber auch im zweiten renouveau catholique nach den Verwüstungen der revolutionären Umbrüche um 1800 eine bedeutsame Rolle spielte, lenkte die Aufmerksamkeit nicht nur des katholischen Europa auf die ostbelgische Metropole. In welchem Maße dies tatsächlich geschah, belegen sehr schön und nachdrücklich die Darstellungen von Michael Ross bezüglich des numismatischen Echos der Feierlichkeiten und vor allem Clemens Harasims zu Entstehung, Aufführung und Einordnung des Mendelssohn’schen Lauda Sion Salvatorem, also der liturgischen Festtagssequenz in Form einer groß dimensionierten Kantate, welche unter Anwesenheit des damals Weltruhm genießenden Komponisten aufgeführt wurde. Hier erhält der Leser bzw. die Leserin auch Einblick in Planung, Ablauf und Wirkung der Feiern über den engen Bezug des Beitragstitels hinaus. Schließlich runden die sprechenden Zeilen Marylène Laffineur-Crépins zu Eklektizismus und Historismus als den dominierenden Strömungen kirchlicher Kunst der Zeit das künstlerische Umfeld nicht nur ab, sondern helfen dies auch ideengeschichtlich zu verstehen.
Den Band beschließt wiederum Michael Ross mit einer Dokumentation der posthumen Würdigung Bommels in Form von 1852 entstandenen Gedächtnismedaillen. Diese Referenz aus der Werkstatt des Schöpfers der ersten belgischen Briefmarken 1849, Jacques Wieners (1815–1899) unter Mitwirkung seines Bruders Léopold, unterstreicht nochmals die quasi nationale Bedeutung des Bischofs von Lüttich – eine Bedeutung, welche nunmehr mit den beiden hier erwähnten Bänden endgültig etabliert sein dürfte.
Wie schon Dieudonnés Monografie versteht es auch der Sammelband, aus den diversen Aspekten eines ungewöhnlichen, aber gerade in seiner Vielschichtigkeit und Vielseitigkeit so aussagekräftigen Bischofslebens und -wirkens ein stimmiges Gesamtbild zu entwerfen, welches hervorragend dazu geeignet ist, eine Kirchen- und Geisteslandschaft neu zu bewerten, die entweder unserem Blick und Verstehen nahezu vollends entschwunden ist, oder aber durch Entwicklungen und Antagonismen der Folgezeit verstellt wurde.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Josef J. Schmid, Rezension von/compte rendu de: Philippe Dieudonné, Christian Dury (dir.), De Hageveld à Liège. Corneille Richard Antoine van Bommel. Parcours d’un évêque pédagogue et militant (1790–1852). Actes du colloque organisé le 13 novembre 2015 par les archives de l’évêché de Liège au séminaire épiscopal de Liège, Liège (Société d’art et d’histoire du diocèse de Liège) 2017, XIV–261 p., nombr. fig. (Bulletin de la Société d’art et d’histoire du diocèse de Liège, LXXI), ISSN 0776-1295, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2019/2, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.62996