Unehelichen Kindern des Königs kam in Frankreich traditionell kein Platz innerhalb der königlichen Familie zu. Ein grundsätzliches Umdenken setzte mit erst Henri dʼAngoulême (1551–1586), dem unehelichen Sohn des französischen Königs Heinrich II. und einer Schottin, ein. Henri dʼAngoulême war der erste männliche königliche »Bastard« (bâtard), der durch die Königsfamilie gefördert wurde, eine Prinzenausbildung erhielt und im Lauf seines Lebens eine Reihe bedeutender kirchlicher und politischer Ämter einnehmen konnte (S. 11–12).

Die biografische Studie von Fabrice Micallef situiert sich in einem Forschungsfeld, in dem seit einiger Zeit ein Umdenken stattfindet: Während ältere Arbeiten zu unehelichen Kindern in der frühneuzeitlichen Gesellschaft vornehmlich die Stigmatisierung durch die illegitime Geburt in den Mittelpunkt rückten, lenken neuere Studien den Blick auf rechtliche und soziale Aspekte der Eingliederung der unehelichen Kinder in die Familie. Uneheliche Kinder aus königlichem oder fürstlichem Haus wurden ab dem 15. Jahrhundert und mehr noch dem 16. Jahrhundert in die dynastische Politik einbezogen (S. 12). In seinem knappen Forschungsüberblick verzichtet der Autor leider auf eine Reflexion zentraler Konzepte, die der Arbeit zugrunde liegen wie etwa das der »Marginalität« (marginalité: u. a. S. 17, S. 371)1.

Mit seiner Biografie von Henri dʼAngoulême möchte Micallef zunächst einmal einer interessanten Persönlichkeit, die bislang in der Forschung wenig Aufmerksamkeit gefunden hat, nachspüren und deren Lebensweg nachzeichnen. Darüber hinaus soll seine Studie auch ergründen, welche Rolle fürstliche und uneheliche königliche Kinder im Europa des 16. Jahrhunderts zugewiesen bekamen und aktiv ausfüllten. Wie wurde der »Bastard« Henri dʼAngoulême gemeinschaftlich konstruiert? Wie war es um die Reformfähigkeit der französischen Monarchie bestellt? Und wie gingen Zeitgenossen mit dieser Erfahrung von etwas grundsätzlich Neuem (der Förderung / des Aufstiegs eines unehelichen königlichen Sohns) um? (S. 12, 16-17).

Um sich den verschiedenen Facetten von Henri dʼAngoulême zu nähern, geht Micallef chronologisch vor und bildet gleichzeitig thematische Blöcke: zu der Herkunft (Kap. 1) und Prinzenausbildung (Kap. 2), der Kirchenkarriere (Kap. 3, 5), zum politischen Aufstieg bis zum Gouverneur (Kap. 4, 7, 8) sowie seiner politischen Behauptung (Kap. 9, 11), der prinzlichen Identität (Kap. 6, 10) und seinem Nachleben (Kap. 12).

Der Aufstieg von Henri dʼAngoulême war wesentlich der Entscheidung der Königinmutter Katharina von Médici zu verdanken, den unehelichen Sohn ihres verstorbenen königlichen Gemahls unter ihren Schutz zu stellen. Sie war neben ihren Söhnen Karl IX. und Heinrich III. einer der entscheidendsten Personen für den Lebensweg von Henri dʼAngoulême. So zeichnete die Krone für ihn den Weg in ein hochrangiges Kirchenamt vor, von dem aus Henri dʼAngoulême als loyaler Diener der Krone von Nutzen sein konnte. Henri dʼAngoulême gestaltete aber auch selbst aktiv seine Rolle als Favorit der Valois aus. Es gelang ihm geschickt, die in ihn gesetzten Erwartungen aufzunehmen und diese in seinem Sinne zu modulieren (z. B. Eintritt in den Malteserorden). Im Verlauf der Kirchenkarriere konnte sich Henri dʼAngoulême verschiedene Einkommen sichern und eine Klientel aufbauen, ein wichtiger Faktor der Identität als Prinz von Geblüt.

Auch als Förderer der Künste erfüllte Henri dʼAngoulême ein wichtiges Merkmal fürstlicher Hofhaltung und konnte zugleich Künstler und Gelehrte um sich sammeln, die eine von ihm präferierte Form der Repräsentation entwarfen. An der kollektiven Konstruktion des »Bastards« Henri dʼAngoulême wirkten neben der Krone und Henri dʼAngoulême selbst zahlreiche weitere Akteure mit wie Lehrer, Künstler oder Höflinge mit ihren jeweiligen Interessen und eigenen Repräsentationsbedürfnissen. Trotz der vollständigen Abhängigkeit von der Krone, agierte Henri dʼAngoulême zeitweise am Rand zum Ungehorsam, schuf mit seinem riskanten Vorgehen aber einen alternativen politischen Karriereweg: So erlangte er die Statthalterschaft der Provence durch eine Intrige von langer Hand, wofür ihm die Krone letztlich ihre Unterstützung gewährte.

Insgesamt bewegte sich der Lebensweg von Henri dʼAngoulême zwischen zwei Polen: einerseits einer engen Einbindung in die Politik der Königsfamilie (und Unterwerfung unter Staatsinteressen) und andererseits einem sehr individuellen Weg (und der Verfolgung persönlicher Ambitionen). Da es an einem Vorläufer für den Aufstieg eines königlichen unehelichen Sohnes und damit auch an einem »Modell-Lebensweg« fehlte, sahen sich Henri dʼAngoulême und die Krone gezwungen mit Improvisation und Anpassung, Erneuerung und Umdenken den Weg des »Bastards« zu gestalten. Dabei bewies die französische Monarchie ein recht hohes Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit. Der Aufstieg von Henri dʼAngoulême verlief keineswegs linear, auch Zögern und Scheitern gehörten hinzu. Diese Rekonstruktion verschiedener sozialer, politischer, juristischer und repräsentativer Aspekte des Lebenswegs, unterschiedlicher Facetten der Persönlichkeit und verschiedener Entwürfe bzw. Repräsentationen des »Bastards« Henri dʼAngoulême ist gut zu lesen.

Weniger überzeugt haben die Verfasserin der Rezension einige psychologisierende Interpretationsansätze: So sollen möglicherweise die Gewaltbereitschaft, der Gefallen am Obszönen und die homosexuelle Neigung von Henri dʼAngoulême eine Folge der Bürde sein, welche durch die illegitime Geburt auf seinem Leben lastete: »une conséquence du poids que la bâtardise faisait peser sur sa vie« (S. 371). Oder auch: Henri dʼAngoulême soll voller Neid und Frustration (»envie et frustration«) auf die illegitimen königlichen Söhne in den Nachbarländern geblickt haben, deren heldenhaftes und bewegtes Schicksal (»destins héroïques et tourmentés«) ihn angesichts des eigenen glanzlosen Lebens (»bien terne«) erröten (»rougir«) lassen musste (S. 373).

Von dieser Einschränkung abgesehen, liegt mit Micallefs Biografie von Henri dʼAngoulême eine Studie zu einer interessanten Persönlichkeit vor, an der sich auch die politischen und repräsentativen Strategien der französischen Krone und das im Wandel begriffene Verständnis von Illegitimität nachvollziehen lassen.

1 Zur Konzeptionalisierung von Marginalität vgl. z. B. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte, Forschungsprogramm (2018–2023), »Pluralisierung und Marginalität«, https://www.ieg-mainz.de/forschung/forschungsprogramm/pluralisierung-und-marginalitaet (11.03.2019).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Alexandra Schäfer-Griebel, Rezension von/compte rendu de: Fabrice Micallef, Le bâtard royal. Henri d’Angoulême dans l’ombre des Valois (1551–1586), Genève (Librairie Droz) 2018, 422 p. (Cahiers d’Humanisme et Renaissance, 149), ISBN 978-2-600-05808-7, CHF 62,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.63001