Der Titel dieses dreiteiligen Spätwerks des Magisters Giraldus Cambrensis (ca. 1146–ca. 1223) verspricht einen Fürstenspiegel, also Belehrungen und Ermahnungen an einen princeps, damit jener wisse, welche Eigenschaften einen guten Herrscher auszeichnen sollten. Doch trifft die angekündigte Gattung nur auf den ersten, normativen Teil zu, einen umfangreichen Tugendkatalog mit Exempla, die den vorbildlichen Monarchen vom bösen Alleinherrscher (Tyrann) unterscheiden. Teil II und III haben zwar fast den gleichen Umfang wie die moralisch-ethischen Erörterungen in Teil I, doch sind sie eine historische Darstellung, allerdings mit expliziten Werturteilen. Auf der Basis von zeitgenössischen Dokumenten (meist Briefen) wird die Geschichte König Heinrichs II. von England (1154–1189) erzählt: in Teil II der Aufstieg und in Teil III der Fall dieses Herrschers; dabei markiert das Jahr 1185 nach Ansicht des Giraldus den Wendepunkt in dessen Regierung. (Auf die Ereignisse jenes Jahres ist später näher einzugehen.)

Noch in anderer Hinsicht nimmt »De principis instructione« eine Sonderstellung innerhalb der Fürstenspiegel des lateinischen Mittelalters ein: Trotz eines langen, später unterdrückten Vorworts gibt es für die Belehrungen und Ermahnungen keinen bestimmten Adressaten und keinen aktuellen Anlass, zumal Heinrich II. zum Zeitpunkt der Niederschrift nicht mehr lebte. (Motivation und Funktion von Teil II und III sind aus persönlichen Interessen des Autors abzuleiten, worauf zurückzukommen ist.) Grundsätzliche Überlegungen zum Ethos eines christlichen Königs finden sich also in Teil II und III nur indirekt, wenn von früheren Leistungen und späteren Fehlern, ja Sünden und Verbrechen Heinrichs II. die Rede ist. Die reflektierenden Passagen des ersten Teils übersteigen im Übrigen trotz ihres ausufernden Tugendkatalogs (vor allem dem anonymen »Moralium dogma philosophorum« des 12. Jahrhunderts entnommen) und lehrhafter Beispiele für gute oder schlechte Herrscher (vorwiegend aus dem Alten Testament und der römischen Antike) nicht das Niveau moralischer Allgemeinplätze. Insgesamt also ein heterogenes Werk mit scheinbar disparater Thematik – jedenfalls kein Fürstenspiegel wie andere.

Wie Robert Bartlett in der Einleitung seiner zweisprachigen Ausgabe betont, war dieses Spätwerk des Giraldus Cambrensis im Mittelalter wenig verbreitet. Außerhalb Englands blieb es unbekannt. Erhalten ist eine einzige, nicht fehlerfreie Abschrift aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts (London, British Library, Cotton Julius B XIII, fol. 48r–173r). Dazu kommen Nachrichten über zwei weitere Abschriften, wobei eine mit der erhaltenen identisch sein könnte. Zitate und Auszüge aus »De principis instructione« lassen sich beim Chronisten Ranulf Higden († 1364) und in einem noch späteren Briefsteller englischer Herkunft nachweisen. Das ist – gemessen an Thema und Inhalt wie Umfang und Anspruch dieses ehrgeizigen Werks – keine beeindruckende Wirkungsgeschichte. Der literarische Ruhm des ebenso fleißigen wie eitlen Autors beruht im Übrigen auf anderen Schriften, zumal auf seinen historisch wie ethnografisch interessanten Büchern über die Geschichte und Geografie von Wales und von Irland.

Dass sich Robert Bartlett nach seiner Dissertation über Giraldus Cambrensis und nach anderen hervorragenden Werken zur Geschichte des hohen Mittelalters (auch eines nicht genug zu rühmenden Bildbandes über das europäische Mittelalter) gerade dieses Textes angenommen hat, mag angesichts der geringen Nachwirkung von »De principis instructione« überraschen. Doch stellt sich bei der Lektüre seiner Ausgabe bald heraus, welch glücklicher Entschluss es war, die über 100 Jahre alte Edition von G. F. Warner in den »Giraldi Cambrensis opera« (Rolls series, 21/VIII, London 1891) zu ersetzen und mit einer Übersetzung zu versehen. Makellos und deshalb vorbildlich sind Einleitung, Edition und Übersetzung, begleitet von einem breit angelegten Kommentar in knappen, informativen Fußnoten zum lateinischen Text; ein Verzeichnis der Quellen und Sekundärliteratur sowie mehrere detaillierte Indices beschließen den stattlichen Band.

Ohne Übertreibung kann man von Bartletts Neuausgabe sagen, dass dieses Spätwerk des Giraldus erst jetzt angemessen gelesen und verstanden werden kann. Und wie so oft in der Geschichte des lateinischen Mittelalters gilt einmal mehr: Die schmale Überlieferung eines Textes besagt nichts über dessen literarischen Rang und Bedeutung als historische Quelle. Erinnert sei an »De nugis curialium« des Zeitgenossen Walter Map, gleichfalls nur in einer wenig korrekten Abschrift des 14. Jahrhunderts erhalten und Jahrhunderte hindurch nahezu unbekannt geblieben. Heutzutage dagegen ein Referenzwerk mediävistischer Publikationen.

Um die faszinierende, insgesamt wenig einnehmende Eigenart dieses späten Werkes des Giraldus Cambrensis und seine Ausnahmestellung unter den mittelalterlichen Fürstenspiegeln und Herrscherdarstellungen zu verstehen, sind Entstehung und Kontext sowie Motivation und Intention von »De principis instructione« genauer zu betrachten. Deshalb im Folgenden weitere Informationen über den Autor, einen geradezu schreibwütigen Schriftsteller und weitgehend erfolglosen Prälaten. Sein Name weist zwar im Lateinischen und Englischen auf Wales (Cambria), doch trifft dies nur auf eine Hälfte seiner Herkunft zu: So gerne er sich manchmal als Angehöriger der von normannischen Eroberern unterdrückten Waliser sah, so wenig passte die andere Hälfte seiner Herkunft zur beanspruchten Opferrolle: Giraldus war auch ein halber Engländer, freilich aus jenem westlichen, unmittelbar an Wales angrenzenden Teil, den Marken.

Damit blieb er – nicht nur für Zeitgenossen – ein zweifacher Außenseiter. Das war für eine Laufbahn in der Amtskirche eher nachteilig: Als Neffe eines walisischen Bischofs wurde er zwar ca. 1175 Archidiakon von Brecon (Bistum St. David’s) und 1199 sogar Elekt dieser Diözese und damit möglicher Nachfolger seines Onkels, doch misslang die Krönung der Karriere: Seine hartnäckigen und wegen mehrerer Reisen an die Römische Kurie ebenso zeitraubenden wie kostspieligen Versuche, den Bischofssitz von St. David’s durch Innozenz II. zum Erzbistum und somit zum Metropolitansitz für Wales erheben zu lassen, scheiterten endgültig 1203 am Widerstand Erzbischof Hubert Walters von Canterbury und König Johanns (Ohneland) von England, auch an Vorbehalten einheimischer Waliser. Daher wurde die Wahl zum Bischof annulliert; eine Weihe des Elekten fand niemals statt. Die letzten 20 Jahre seines Lebens verbrachte Giraldus ohne Amt und Würden, weshalb er sich noch intensiver seinen literarisch-historischen und autobiografischen Werken widmete, nicht nur »De principis instructione«, dessen verlorene Urfassung 1191 abgeschlossen war und dessen erhaltene Überarbeitung erst bald nach 1216 fertiggestellt wurde.

Berücksichtigt man diesen biografischen und historischen Kontext, erklärt sich der disparate Inhalt: Der Fürstenspiegel ohne konkreten Adressaten und aktuelle historische Funktion ist eine nachträgliche, von persönlichem Ressentiment bestimmte Abrechnung mit der Herrschaft König Heinrichs II. und dessen Nachfolgern, Heinrichs Söhnen Richard I. (1189–1199) und Johann (1199–1216). In Bartletts Worten: »an extended piece of posthumous revenge« (S. XXXIV). Der Hass des Giraldus ist gelegentlich ebenso grenzenlos wie paranoid: So behauptet er (Teil II, Kap. 10), die perversa natura Heinrichs II. habe 1173/74 und 1183 Aufstände seiner Söhne entfacht und gefördert, um nach deren Niederschlagung umso ungestörter allein weiterregieren zu können. Solche Unterstellungen erstaunen, weil Giraldus zwischen ca. 1184 und ca. 1193/94 – damals noch Archidiakon von Brecon – clericus regis Heinrichs II. und Richards I. gewesen ist und beiden Königen einige seiner Werke gewidmet hat.

Dass »De principis instructione« über die Geschichte Heinrichs II. hinaus als damnatio memoriae der gesamten Dynastie der Plantagenets angelegt ist (Königin Eleonore und ihre aquitanische Herzogsfamilie eingeschlossen), resultiert wohl aus der Verbitterung aufgrund enttäuschter Karrierehoffnungen des walisisch-englischen Weltgeistlichen. Dabei war sich der Verfasser des politisch brisanten Inhalts und der herrscherfeindlichen Funktion seines Werkes bewusst, denn er hielt Teil II und III bis zum Tod König Johanns unter Verschluss. Zu Recht fürchtete er unangenehme Folgen seiner literarisch-historiografischen Abrechnung mit dem nach wie vor regierenden anglo-angevinischen Herrscherhaus.

Freilich lässt sich nicht behaupten, die zweite Hälfte von »De principis instructione« sei ausschließlich eine diffamierende Polemik gegen drei Könige und deren Dynastie: Giraldus bemüht sich im Gegenteil um eine unangreifbare Begründung seiner Ansicht, Heinrich II. habe den Abstieg, ja die Verdammung des »teuflischen« Herrscherhauses der Grafen von Anjou zu verantworten. Mit zahlreichen inserierten Dokumenten will er seiner Darstellung der letzten fünf Jahre der Herrschaft Heinrichs II. Objektivität verleihen. Wie er seine Erzählung mithilfe zeitgenössischer Quellen zu beweisen glaubt, überzeugt freilich nicht.

Vielmehr meint man, in »De principis instructione« einen Vorläufer moderner Farbbücher vor sich zu haben, also eine quasi-objektive Aktenpublikation in politisch einseitiger Absicht. Weil Bartlett in den kommentierenden Fußnoten jedes dieser Schriftstücke datiert, demonstriert er, dass Giraldus durch Umstellungen in der Abfolge der inserierten Quellen und durch wiederholtes Verschweigen des jeweiligen Datums seiner Geschichte Heinrichs II. eine chronologische und kausale Scheinplausibilität verschaffen will, um seine Erzählung vom schlechten, d. h. tyrannischen Herrscher und dessen Dynastie überzeugender zu gestalten.

Dabei wird die christliche Geschichtstheologie als Legitimation in Anspruch genommen: Weil Gott den Verlauf und den Sinn der Geschichte bestimme – und nicht der individuelle Wille des Einzelnen oder der Glaube an ein anonymes Schicksal –, tut sich die divina providentia vorab in Visionen kund: Was dann tatsächlich geschieht, beglaubigt jene Visionen und wird am unsteten Lauf des Rads der Fortuna sichtbar. Auf den Wahrheitsanspruch solcher Visionen legt Giraldus großen Wert und sieht darin – typisch mittelalterlich – keinen Widerspruch zum Bemühen um Wahrhaftigkeit im Schreiben der Geschichte.

Den Fall Heinrichs II. und den Niedergang seiner Familie verortet Giraldus in Ereignissen vom Februar/März 1185: Mit der Weigerung gegenüber dem nach England gereisten lateinischen Patriarchen Heraclius von Jerusalem, die angetragene Herrschaft im Königreich Jerusalem selbst anzutreten oder einem seiner Söhne zu übertragen, habe der englische König den von Sultan Saladin angegriffenen Kreuzfahrern unermesslichen Schaden zugefügt, wie zwei Jahre später die Niederlage von Hattin und die Eroberung Jerusalems zeigen sollten. Dabei belässt es Giraldus nicht bei seiner Anklage individuellen Versagens und persönlicher Schuld: Die Verdammung durch Gott treffe das gesamte Herrscherhaus. Mit Genugtuung zitiert er deshalb die zur Prophetie erklärten und als Verfluchung gemeinten Worte des Patriarchen, dass die Plantagenets vom Teufel abstammen und zum Teufel zurückkehren werden (Teil III, Kap. 27).

Offensichtliche Widersprüche seiner Interpretation erklärt Giraldus Cambrensis freilich nicht: Hatte die Weigerung vom Februar/März 1185 wirklich solch weitreichende Folgen? Waren letztlich Heinrich II. und sein Herrscherhaus für die katastrophalen Niederlagen der Kreuzfahrer im Nahen Osten verantwortlich? Fielen Eleonores Töchter aus ihrer Ehe mit König Ludwig VII. von Frankreich ebenfalls unter das pauschale Verdikt? Wie unaufrichtig Giraldus in seinem Ressentiment verharrte, zeigte sich vor dem Dritten Kreuzzug: Obgleich er im März 1188 das Kreuz genommen hatte und in der Nacht des 10. Mai 1189 in Chinon einen ihn bedrückenden und ausführlich geschilderten Traum vom baldigen Untergang der von Saladin bedrohten Kreuzfahrer hatte, ließ er sich Ende 1189 unter Berufung auf ein päpstliches Privileg von seinem Eid dispensieren. Im Gegensatz etwa zu Erzbischof Balduin von Canterbury (zu schweigen von König Richard I.) beteiligte er sich nicht am Kreuzzug.

Bartletts zweisprachige Ausgabe macht auf vorbildliche Weise ein bislang zu wenig bekanntes Werk der zeitgenössischen Historiografie über das englische Königtum im späten 12. und frühen 13. Jahrhundert zugänglich, das in seiner Kritik am persönlichen Regiment des Monarchen auch als Vorgeschichte zur »Magna charta« gelesen werden kann. Nicht zu den geringsten Vorzügen seines Buches zählt die distanzierte Haltung des Herausgebers gegenüber Giraldus als Schriftsteller und Geschichtsschreiber: Wiederholt korrigiert Bartlett dessen Darstellung und Wertung, um zu beweisen, wie einseitig »De principis instructione« angelegt und verfasst ist. Auch die Eigenart der literarischen Technik des Giraldus wird charakterisiert: immer wieder längere Exzerpte aus eigenen Werken (Bartlett, S. L: »one of the great auto-plagiarists of the Middle Ages«), die unverhüllt mit »etc.« abgekürzt werden; zusätzlich zu den zahlreichen Dokumenten sind alle Zitate und Entlehnungen belegt, wobei dem Herausgeber der Nachweis bislang unbemerkter Zitate aus Werken Aelreds von Rievaulx und Peters von Blois gelingt.

Einige kleinere Versehen fielen mir auf: Graf Heinrich »le libéral« von Troyes-Champagne starb nicht 1198 (S. 501, Anm. 188), sondern 1181 (so richtig S. 382, Anm. 111; S. 386, Anm. 996 und S. 784); Wilhelm »Weißhand«, Erzbischof von Sens und von Reims, war niemals Bischof von Chartres (S. 446, Anm. 26), sondern lediglich Elekt (1165–1168) und Administrator (1168–1176). Zur Übersetzung und Erläuterung: Das seltene calibatu manu meint nicht »with an iron hand« (S. 30), sondern »mit stählerner Hand« (vgl. Mittellateinisches Wörterbuch, Bd. 2, Sp. 512); wenn Giraldus schreibt, Erzbischof Thomas Becket von Canterbury sei a quatuor aulicis canibus ermordet worden (S. 450), sollte man für »Hofhunde« die entsprechende Stelle im Brief des Grafen Theobald V. von Blois von Anfang 1171 anführen (dessen Wortlaut Roger von Howden in seinen beiden Werken überliefert), nicht eine entfernte Parallele Alexander Nequams; mit inimici crucis Christi (S. 520) ist Paulus zitiert (Philipper 3, 18). Im Übrigen wäre es hilfreich gewesen, bei den Papstbriefen nicht nur auf Potthasts Regestenwerk zu verweisen, sondern wegen ihrer ungleich ausführlicheren Erläuterungen auch auf die seit 2003 erschienenen Bände der Regesta Imperii (Teil IV, 4. Abt.) zu Lucius III., Urban III., Gregor VIII., Clemens III. und Cölestin III.

Hoffentlich erkennt die Mediävistik, welche vielfältigen Möglichkeiten Bartletts hervorragende Neuausgabe für weitere Forschungen bietet, etwa bei der Diskussion der Eigenart der englischen Königsherrschaft unter den Plantagenets: War deren Herrschaft als Monarchen wirklich so anders – Giraldus Cambrensis hätte gesagt: tyrannisch – als die kapetingische oder staufische? Ältere Arbeiten, beispielsweise jene von John Edward Austin Jolliffe, (»Angevin Kingship«, 2., verb. Aufl., London 1963), haben dazu klar formulierte Thesen vorgelegt, die zu überprüfen durchaus lohnt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Rolf Köhn, Rezension von/compte rendu de: Robert Bartlett (ed./transl.), Gerald of Wales, Instruction for a Ruler (De Principis Instructione), Oxford (University Press) 2018, LXX–801 p. (Oxford Medieval Texts), ISBN 978-0-19-873862-6, GBP 125,00., in: Francia-Recensio 2019/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.2.63020