Bei dem von Guido Castelnuovo und Sandrine Victor herausgegebenen Buch handelt es sich um den ersten Band der Festschrift für den französischen Mediävisten Christian Guilleré, der von 1990 bis zu seiner Emeritierung an der Université de Savoie (heute: Université Savoie-Mont-Blanc) lehrte. In ihrem Vorwort lassen die Herausgeberin und der Herausgeber seine wissenschaftliche Karriere Revue passieren und schildern ihre persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen. Nach einer Mitgliedschaft an der Casa Velázquez (1980–1983) schloss Guilleré 1990 an der Universität Paris I-Sorbonne bei Georges Duby eine thèse d’État zur Geschichte Gironas im 14. Jahrhundert ab, die in Katalonien publiziert wurde1. Er blieb dieser Thematik weiterhin verbunden und weitete seine Studien zunächst auf das Umland dieser Stadt, dann auf das übrige Katalonien und auf die Krone von Aragón aus und edierte den »Llíbre Verd« von Girona (1144–1533)2.

In den letzten Jahrzehnten standen außer Katalonien auch Savoyen bzw. der Pyrenäen- und Alpenraum im Zentrum seiner Arbeiten zur Finanz-, Steuer-, Wirtschafts- und Verwaltungsgeschichte und zu Notaren. Innerhalb dieses durch intensive Archivarbeit charakterisierten reichen Lebenswerkes sind besonders innovative Pionierstudien zum Vergleich von Katalonien und Savoyen hervorzuheben. Wie in Festschriften üblich, enthält der Band auch ein Schriftenverzeichnis des Geehrten. Den Kern bilden jedoch 26, fünf Sektionen zugeordnete Beiträge von Schülerinnen und Schülern, wissenschaftlichen Weggefährten sowie Kolleginnen und Kollegen.

Die erste Sektion beschäftigt sich mit dem Schreiber, den von ihm produzierten Dokumenten und den zugehörigen Räumen, die zweite mit mittelalterlichen und zeitgenössischen Archiven, ihren Mitarbeitern und der dort geleisteten Gedächtnisbewahrung. Die Beiträge von Julien Coppier zur Biografie von Max Bruchet (1868–1929), Archivar des Departements Haute-Savoie, und von Jean Luquet spüren dem wechselvollen Schicksal der Archivbestände zur savoyischen Geschichte nach. Im Zuge politischer Ereignisse wurden sie immer wieder transferiert, umorganisiert und zuletzt zwischen Frankreich und Italien neu aufgeteilt. Die wichtigsten Bestände befinden sich heute in den Archiven der französischen Departements Haute-Savoie und Savoie und im Archivio di Stato di Turino in Italien.

Im Mittelpunkt des dritten Buchabschnittes stehen der Kaufmann, seine Aktivitäten und seine fürstlichen Herren. Der vierte Teil beschäftigt sich mit der Stadt, ihren Machtverhältnissen und ihren Dokumenten und der fünfte und letzte mit dem Gebirge, seinen Burgen und ländlichen Gebieten.

Mehrere Autorinnen und Autoren präsentieren kurze Texteditionen: Paolo Buffo zur Schenkung des Grafen Umberto I. von Moriana-Savoyen an die Kanoniker der Kathedrale und von S. Orso von Aosta, 1040 (S. 57–59); Laurent Ripart zu einem Verzeichnis von an die Abtei Saint-Maurice d’Agaune zu entrichtenden Abgaben vom Ende des 12. Jahrhunderts (S. 75–77); Jacques Paviot zu den Testamenten der Anne de La Palud (1431) und ihrer Tochter Philiberte (1474, S. 147–155); Manuel Sánchez Martínez zu Abgaben und zur Feuerstellenerfassung im Krieg zwischen der Krone von Aragón mit Kastilien (1356–1366) (Quellen von 1363 und 1367, S. 191–197); Lluís To Figueras zu einem Fragment des Inventars des Kaufmanns Joan d’Aldiard aus Perpignan (1307, S. 259–265); Luisa Gentile zu von Herzog Amadeus IX. von Savoyen 1468 verliehenen kaufmännischen Markenzeichen (S. 345f.); Fabien Lévy zu Quellen, die im Zusammenhang mit der grande enquête während der Regierungszeit Ludwigs XII. im neu erworbenen Ligurien entstanden (S. 452–456). Abbildungen und Faksimiles vermitteln an mehreren Stellen des Buches einen optischen Eindruck vom behandelten Material.

Andere Autorinnen und Autoren wenden sich Notaren, Schreibern und deren Tätigkeit zu. Carlos López Rodríguez stellt ihre Karrieren innerhalb der Kanzlei Jaimes I. von Aragón vor und beschreibt die Entwicklung und Organisation dieser Institution. Albert Rigaudière untersucht für Frankreich Eide von Notaren und tabellions im städtischen Milieu und die Frage der Übernahme von Bestimmungen königlicher ordonnances. Ilaria Taddei analysiert den Rückgriff auf die juristische Formel Quod omnes tangit in florentinischen Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts. Fabrice Mouthon präsentiert langwierige, seit dem 13. Jahrhundert immer wieder aufflammende Auseinandersetzungen um die Nutzung der Montagne du Lou (über Weiderechte, Almen usw.) zwischen Pfarrgemeinden in der Region Maurienne. Laure Verdon widmet sich der Rolle von Notaren in der Provence in der angevinischen Gesetzgebung des 13. und 14. Jahrhunderts. Daniela Cereia geht Abrechnungsverfahren zweier Schatzmeister zum hôtel des Philippe de Bresse, eines mit einer Apanage ausgestatteten jüngeren Sohnes des savoyischen Herzogshauses, nach (1468–1490). Jean-Louis Gaulin präsentiert Konten des als »Le Temple« bezeichneten savoyischen Besitzes in Lyon aus den Jahren 1320 bis 1326. Isabella Lazzarini untersucht anhand des sogenannten »liber FLU«3 die Besitzentwicklung der Dynastie der Gonzaga in Mantua (1346–1475). Élisabeth Crouzet-Pavan und Pascal Vuillemin setzen sich in Form von Fallstudien mit dem Rechnungswesen venezianischer Kirchengemeinden und dem – überwiegend harmonischen – Zusammenwirken von weltlichen Kirchenpflegern und Klerus auseinander.

Gegenstand der Darstellung von Alexandra Beauchamp sind die Reisen des Infanten Joan von Aragón in den Jahren 1351–1355 – und damit ein bisher von der Historiografie wenig behandeltes, aber sehr vertiefenswertes Thema: Reisen hochadelig-königlicher Erben im Kleinkindalter. Wirtschaftsgeschichtliche Aufsätze im engeren Sinn bilden einen weiteren thematischen Schwerpunkt.

In zwei der Artikel spielen die wirtschaftliche Konjunktur Kataloniens und die Entwicklung seiner Märkte eine wichtige Rolle: bei Claude Denjean (zu jüdischem und christlichem Kredit und Wucher und ihrem Verhältnis zu den Unsicherheiten der Marktentwicklung am Ende des Mittelalters) und bei Pere Benito i Monclús/Joan Montoro i Maltas zur Darstellung von Hungerkatastrophen in der katalanischen Annalistik des Spätmittelalters. Besonders in Barcelona führte man damals bemerkenswerterweise diese Ereignisse weniger auf klimatische Faktoren als auf die Markt- und Preisentwicklung und auf Probleme bei der stark über den Seeweg erfolgenden Versorgung mit auswärtigem Getreide zurück.

Juan Vicente García Marsilla präsentiert die mittelalterliche Textilverarbeitung in Valencia, insbesondere Färbeverfahren, verwendete Farben und die damit zusammenhängenden Wege der Kreditbeschaffung und der Gründung von (oft kurzlebigen) Handelsgesellschaften. Antoni Riera i Melis untersucht, vor allem mit Hilfe von constituciones cibarie, die Speisegewohnheiten katalanischer Regularkanoniker in der Mitte des 12. Jahrhunderts, besonders in Urgell, Lleida und Àger. Diese Kleriker verfügten über enge Verbindungen zu städtischen Oberschichten. Sie hatten kein Armutsgelübde abgelegt, und ihre Ernährung wies erhebliche Parallelen zu der des Adels auf. Der sehr interessante Artikel von Flocel Sabaté widmet sich Konflikten zwischen dem von seinem Bischof und dem König von Aragón unterstützten Girona mit Castelló d’Empúries bzw. dem Grafen von Empúries. Letztere versuchten im 14. Jahrhundert erfolglos, das westgotische, im 8. Jahrhundert untergegangene Bistum Empúries wiederzubeleben. Nicolas Carrier bietet einen reizvollen und sehr anregenden Vergleich der Leibeigenschaft in Savoyen und Katalonien (8.–13. Jh.).

Der Band schließt mit einem Beitrag von Matthieu de la Corbière zu Savoyen und topographischen und historischen Aspekten der Befestigung und Siedlung von Château-Gaillard, Haute-Savoie, einer Ortschaft, die wegen ihrer strategischen Bedeutung immer wieder zum Spielball der Auseinandersetzungen ihrer Nachbarn und besonders zwischen Savoyen und Genf bzw. mit benachbarten Adligen wurde.

Insgesamt gesehen bietet der Band eine Reihe von ausgesprochen interessanten Artikeln zu den verschiedensten Themen. Dabei stehen sehr spezielle Aspekte und Miniaturen zu einzelnen kürzeren Quellentexten aus den Interessengebieten des Geehrten neben Aufsätzen von allgemeinerem Interesse und innovativen Vergleichen. Es handelt sich um ein buntes und sorgfältig zubereitetes sehr ansprechendes Menü à la carte, aus dem sich der Leser bzw. die Leserin in Funktion der eigenen Interessen das Passende heraussuchen kann. Entsprechend den Arbeitsgebieten Guillerés gilt dies besonders für die Geschichte Savoyens und Kataloniens.

1 Christian Guilleré, Girona al segle XIV, 2 Bde., Barcelona 1993–1994.
2 Christian Guilleré (ed.), Llíbre Verd de la ciutat de Girona (1144–1533), Barcelona 2000.
3 Der Name bezieht sich auf die Anfangsbuchstaben der Namen dreier Mitglieder dieser Dynastie (Filipinus, Ludovicus, Ugolinus de Gonzaga).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Guido Castelnuovo, Sandrine Victor (dir.), L’Histoire à la source: acter, compter, enregistrer (Catalogne, Savoie, Italie, XIIe–XVe siècle). Mélanges offerts à Christian Guilleré. Vol. 1, Chambéry (Éditions de l’université Savoie-Mont-Blanc) 2018, 538 p. (Sociétés, religions, politiques, 36), ISBN 978-2-919732-60-9, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66319