Der 2017 erschienene Band ist eine facettenreiche Sammlung von Studien zum Verhältnis von Recht und Konsens in den verschiedenen Königreichen und Institutionen, die auf dem Boden des ehemaligen weströmischen Reichs im 5. und 6. Jahrhundert entstanden sind. Mit einer anregenden Einleitung von Christoph Meyer, der aus einem forschungsgeschichtlichen Überblick zum Verhältnis von Recht und Konsens einige Leitfragen entwickelt, und einer Zusammenfassung von Stefan Esders, der auf die Einleitung und den Beiträgen aufbauend einige dieser Fragen weiter diskutiert und neue Forschungsperspektiven entwickelt, bietet der Band als Ganzes wichtige neue Grundlagen und Ausgangspunkte zur Rechts- und Verfassungsgeschichte der Spätantike und des frühen Mittelalters.

Wie die Mitherausgeberin des Bandes, Verena Epp, in ihrer Einleitung ausführt, wollte man dabei vor allem zwei Fragestellungen verfolgen. Zum einen sollte das Verhältnis von Recht und Konsens mit einer Sichtweise auf die Umgestaltung der römischen Welt verbunden werden, die nicht von einem dramatischen »clash of cultures« zwischen der barbarischen oder germanischen Welt auf der einen Seite und der römischen Zivilisation auf der anderen verstanden wird, sondern als eine Vielzahl verschiedener sozialer, politischer und religiöser Veränderungen, die zur Etablierung recht unterschiedlicher Gesellschaften auf dem Boden des ehemaligen weströmischen Reiches führten. Zum anderen wollte man testen, ob und wenn ja, wie der von Bernd Schneidmüller geprägte Begriff der »konsensualen Herrschaft« für die sozialen und politischen Veränderungen von der Antike zum Mittelalter anzuwenden sei1. Die Antwort, die durch die in dem Band versammelten Beiträge auf diese Frage gegeben wurde, steckt schon im Titel: »Recht und Konsens«.

Wie Stefan Esders am Ende bemerkt, wurde »der Begriff der Herrschaft wieder durch den Begriff des Rechts ersetzt. [...] Erst vor diesem Hintergrund kann der Konsensbegriff sein eigentliches analytisches Potential entfalten, seine Ambivalenz sichtbar werden lassen und die eigentümliche Kraft verdeutlichen, die dieser besonderen Form der Herstellung von Legitimität im Mittelalter eigen war« (S. 474). In den meisten Beiträgen des Bandes wird dieses analytische Potential auch genutzt, um die Entstehung einer poströmischen Rechtslandschaft aus der Neugestaltung der spätrömischen und provinzialen zu untersuchen. Das führte in verschiedenen Kontexten zu unterschiedlichen Experimenten und Ergebnissen, wobei aber in allen Fällen diese Um- und Neugestaltung auf einen jeweils gut informierten und bewussten Umgang mit den überlieferten römischen Rechtstraditionen beruhte.

Besonders gut illustriert diese bewusste und reflektierte Auseinandersetzung mit und die Arbeit an den römischen Grundlagen der Beitrag von Detlef Liebs über die Lex Romana unter den Westgoten, Burgundern und Franken (»Geltung kraft Konsens oder kraft königlichem Befehl?«, S. 63–85). Seine Diskussion der verschiedenen Kodifikationen römischen Rechts in den Nachfolgereichen zeigt, dass die Umarbeitung römischen Rechts keineswegs eine barbarisierte oder vulgarisierte Form davon hervorbrachte. Wie Liebs an einigen Beispielen illustriert, ist etwa die kurz nach 500 im Westgotenreich entstandene Umarbeitung des Codex Theodosianus, die als Lex Romana Visigothorum herausgegeben wurde, nicht nur eine straffere, sondern auch eine an die veränderten Verhältnisse angepasste und in Manchem auch verbesserte Sammlung römischen Rechts. Wie Liebs ausführt, scheint das von Alarich II am Beginn des 6. Jahrhunderts erlassene Gesetzbuch in Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen des westgotischen Königreichs erarbeitet worden zu sein, darunter der Klerus und weltliche Berater am Hof, die Bischöfe, ausgewählte Vertreter der römischen Bevölkerung aus den Städten und als prudentes bezeichnete Rechtsexperten.

Solche Rechtsberater gab es allerdings nicht nur im tolosanischen Westgotenreich. Die reiche und vielfältige Überlieferung des Textes zeigt, dass es in den darauffolgenden Jahrhunderten genug Spezialisten gab, die kompetent und kreativ mit den römisch-rechtlichen Grundlagen ihrer Gesellschaft arbeiten konnten (siehe S. 76–83). Im römischen Recht gut ausgebildete Mitglieder der römischen Bevölkerung halfen sicherlich auch bei der Kodifikation römischen Rechts mit, die im Herrschaftsgebiet des burgundischen Königs Gundobad zusammengestellt wurde. Wie Ian Wood kürzlich überlegte, könnte sogar Sidonius Apollinaris einer der Rechtsberater der burgundischen Herrscher gewesen sein2.

Jedenfalls handelt es sich bei dieser Zusammenstellung im burgundischen regnum um eine weniger umfassende Sammlung römischen Rechts. Die darin veröffentlichten Konstitutionen sind wohl eher als Ergänzungen zu geltendem römischen Recht zu verstehen. Eine Sanktionierung durch eine öffentliche Instanz findet sich darin nicht. Liebs überlegt ein interessantes Szenario, in dem Mitglieder der römischen Rechtsgemeinschaft diese Sammlung zusammenstellten und diese daraufhin als Teil der gemeinsamen Rechtsordnung etabliert wurde. Das beschriebene Vorgehen, das ebenso zu Beginn der im Westgotenreich erlassenen Lex Romana dargestellt wird, erinnert sehr an die Idee einer Konsensgesetzgebung, die lange Zeit als charakteristisches Merkmal der als germanisch etikettierten Rechte des frühen Mittelalters gesehen wurde. In diesem Zusammenhang erscheint der Konsens der beteiligten Gruppen aber als eine wichtige Grundlage für die Kodifizierung römischen Rechts.

Liebs beantwortet damit eine der Fragen, die Verena Epp und Christoph Meyer in ihren Einleitungen ansprechen, indem er zeigt, wie sehr die Rechtslandschaften der nachrömischen regna von einem »den Römern als konstitutiv für jede Staatlichkeit erachteten Konsens eines Gemeinwesens über eine Rechtsordnung« geprägt wurden (S. 12). Wie wichtig die Untersuchung der Rolle und Veränderung dieser römischen Grundlagen von Recht und Konsens für die Rechts- und Verfassungsgeschichte der Nachfolgereiche ist, betont Christoph Meyer in seiner ausgezeichneten Einleitung, die in eindrucksvoller Klarheit das Konzept der Tagung und des Bandes entwickelt (S. 19–45). Darin erläutert er die große Bedeutung, die der Konsensbegriff in der älteren Forschung für die Interpretation der aus den Nachfolgereichen überlieferten Rechtskodifikationen als Zeugen einer germanischen Rechtstradition hatte; eine Annahme, auf deren Grundlage viele dicke Bücher über Gegenstände geschrieben wurden, »die es nie gegeben hat« (S. 39, mit einem Zitat von Sten Gagnér).

Nach der Demontage der Vorstellung eines germanischen Rechts durch Karl Kroeschell und seine Schüler, sieht Meyer in einem unkritischen Zugang zu Konsens und Oralität die Gefahr einer (oft auch unbewussten) Übernahme der alten Kontrastierung von römisch und germanisch als einer schriftlichen/römischen und mündlichen/germanischen Rechtstradition. Dagegen schlägt er vor, die diskursive Seite des Phänomens ernster zu nehmen und die erhaltenen Texte nicht auf Vorannahmen über die Rolle und Funktion von Konsens in einer bestimmten Rechtstradition zu untersuchen. Vielmehr sollte analysiert werden, wie die Abfassung der Texte selbst Teil der Bemühungen war, die Vorstellung und Funktion von Konsens zu gestalten und wie sich auch in der weiteren Benutzung der Texte, ihrer Rezeption in anderen Texten und ihrer handschriftlichen Überlieferung diese Bemühungen um den Text als weitere Arbeit an der Definition und Gestaltung von Konsens untersuchen lassen (S. 40–45).

In seinem Beitrag zu den Leges Langobardorum (»König Rothari begründet seine Gesetze«, S. 151–234) wendet er diesen Ansatz in einer detaillierten Studie zum Edikt Rotharis und den Novellen seiner Nachfolger aus dem 7. und 8. Jahrhundert an. Dabei zeigt er, wie fruchtbar es sein kann, Rechtsaufzeichnungen »mit dem Blick auf Recht und Konsens zu untersuchen, ohne überkommene Gewissheiten über den Ursprung der ›Leges barbarorum‹ aus dem Zusammenwirken von König, Großen und Volk und darauf gegründete verfassungsgeschichtliche Lehrgebäude oder rechtshistorische Theorien vorauszusetzen« (S. 230). Der fast 80-seitige Artikel ist nicht nur eine überzeugende Illustration der von Meyer in seiner Einleitung entwickelten Zugänge zu Recht und Konsens, sondern auch eine eindrucksvolle Studie zu Charakteristiken, Strategien und dem beachtlichen technischen Niveau der langobardischen leges.

Das trifft auch auf andere Artikel in dem Band zu, deren Potential sich möglicherweise leichter erschließen lässt, wenn man davor Meyers Beiträge zu dem Band gelesen hat. So ist Harald Siems Artikel zur Lex Baiuvariorum (wenig überraschend) eine hervorragende Studie zu dem Gesetz (»Herrschaft und Konsens in der Lex Baiuvariorum und den Decreta Tassilonis«, S. 299–361). Genauso wichtig scheint mir aber seine Diskussion der verschiedenen Redaktionen des Textes. Versuche, verschiedene Redaktionsstufen voneinander zu isolieren, hält Siems für vergebens, da in jeder Redaktion der ganze Text überarbeitet wurde. Möglich scheint es aber, verschiedene Themen bestimmten Zeithorizonten und Interessen zuzuordnen3, was wiederum die Textgeschichte der lex vom 7. bis zum Ende des 8. Jahrhunderts als komplexe, aber äußerst interessante Quelle für die Geschichte von Recht und Konsens in einer Grenzregion des Frankenreichs erschließt.

Ähnliches gilt für andere Beiträge, in denen nicht nur die Frage nach Konsens in den verschiedenen Staaten und Rechtsgemeinschaften selbst diskutiert wird, sondern die rhetorischen und praktischen Bemühungen um Konsens auch als Perspektive genutzt werden, um die Besonderheiten der jeweiligen Rechtslandschaft zu analysieren. So verbindet Wilfried Hartmann die Frage, ob man im Westgotenreich von einem Misslingen konsensualer Herrschaft sprechen kann, mit einer ebenso konzisen wie präzisen Studie zur Verfassungsgeschichte des Königreichs im 7. Jahrhundert (»Das Westgotenreich: Misslingen konsensualer Herrschaft?«, S. 87–115).

Fergus Kelly gibt einen interessanten Überblick über die irischen Rechtsquellen und diskutiert dabei vor allem Erwartungen an den König in den kleinteiligen Gesellschaften des frühmittelalterlichen Irlands (»The Evidence for Consensus in the Irish Law-texts of the Seventh to the Ninth Centuries AD«, S. 117–128). Wenn man die Frage nach der Rezeption und Verbreitung für die Erforschung von Recht und Konsens einbezieht, dann stellt sich mit dem großen Einfluss des normativen Diskurses aus dem frühmittelalterlichen Irland auf dem europäischen Festland die Frage, warum sich Ideen aus diesem Milieu, das keine römische Vergangenheit hatte, so schnell in den Gebieten des ehemaligen weströmischen Imperiums verbreiteten.

Die christlichen Laboratorien der irischen micro-Christendoms (Peter Brown) scheinen jedenfalls Antworten auf Fragen gefunden zu haben, die auch für überregional organisierte christliche Gemeinschaften und nicht zuletzt für das Christentum des karolingischen Imperiums wichtig waren und blieben. Den Einfluss des Christentums für die Etablierung gesellschaftlichen und politischen Konsenses betont auch John Moorhead in seinem Beitrag zum ostgotischen Italien (»The Making and Qualities of Ostrogothic Kings in the Decade after Theoderic«, S. 129–149). Die Aufrechterhaltung von Konsens zwischen den verschiedenen Gruppen in Italien war besonders nach dem Tod Theoderichs des Großen wichtig und wird auch in den Briefen Cassiodors, des römischen Beraters der amalischen Könige, aus dieser Zeit immer wieder betont. Dabei spielte der Treueeid, den ebenso wie die Angehörigen des exercitus Gothorum auch die römische Bevölkerung leisten sollte, eine wichtige Rolle.

In diesem Zusammenhang weist Moorhead aber auch auf Ähnlichkeiten der Formulierungen bei der Ordination von Bischöfen hin. Das Ineinandergreifen, aber auch die Spannungen zwischen kirchlichem und weltlichem Recht diskutiert Thomas Noble in seinem Beitrag zu »Theological Perspectives on Law and Consensus in the Writings of Gregory the Great« (S. 47–62). Dabei stellt uns Noble Gregor als einen Vertreter einer spätrömischen Elite vor, der auf der Basis seiner hervorragenden Ausbildung souverän zwischen den verschiedenen Rechtsbereichen manövrierte, um die Interessen der Kirche zu verfolgen. Allerdings zeigt Noble auch, dass Gregors Umgang mit Recht mindestens ebenso stark von seinem Bewusstsein geprägt war, dass die Lösung von Fragen nach Recht und Gerechtigkeit in dieser Welt keineswegs Aufschluss über die Urteilsfindung des letzten Gerichts geben.

Eine andere Herausforderung für die vom römischen Imperium ererbte Auffassung eines für eine staatliche Ordnung konstitutiven Konsenses über eine Rechtsordnung diskutiert Roland Steinacher in seinen »Betrachtungen zu Recht und Konsens im vandalischen Nordafrika« (S. 363–386). In Nordafrika, wo religiöse und christlich theologische Unterschiede schon eine konfliktreiche Geschichte hatten, ging es vor allem um das Zusammenleben verschiedener christlicher Gemeinschaften. Trotz zahlreicher und unterschiedlicher Versuche gelang es den arianischen, vandalischen Herrschern nie, eine politische Lösung oder einen Ausgleich zu finden. Wie Steinacher betont, lag das aber nicht an einem Festhalten der vandalischen Eliten an den eigenen religiösen und rechtlichen Traditionen, sondern eher an der Geschwindigkeit, mit der sich ihre Mitglieder die römisch-rechtlichen Ressourcen und die Erfahrungen der römischen Religionspolitik aneigneten und weiterentwickelten.

Steffen Patzold überlegt in seinem Beitrag, wie sich der Begriff der »konsensualen Herrschaft«, den Bernd Schneidmüller für die Zeit nach 751 entwickelte, zur Erforschung merowingischer Machtverhältnisse und Politik anwenden lässt (»›Konsens‹ und ›consensus‹ im Merowingerreich«, S. 235–263). Während nach Patzold der Begriff von Schneidmüller von diesem vor allem als »rhetorisches Seziermesser« zur Zerlegung einer nationalen deutschen Meistererzählung verwendet wurde (S. 272), will Patzold in seinem Beitrag erproben, den Begriff als analytisches Instrument weiter zu entwickeln. Dafür schlägt er eine genauere Definition vor, die es erlaubt festzustellen, »wann eine ›konsensuale Herrschaft‹ denn eigentlich vorliegt« (ibid.). Darauf aufbauend kann er einige äußerst interessante Entwicklungslinien von der Merowingerzeit bis ins Karolingerreich des 9. Jahrhunderts ziehen. Besonders in merowingischen Kirchenkonzilien identifiziert er Formulierungen, in denen »fast alles vereint ist, was ein karolingisches Herz begehrt« (S. 286), während er in erzählenden Texten, Kapitularien und Urkunden eher magere Belege für einen Konsensdiskurs findet.

Ein etwas anderes Bild ergibt sich aus dem Beitrag von Wolfgang Haubrichs zu volkssprachigen Bezeichnungen für einige am Konsenshandeln beteiligte Gruppen (S. 235–263). Dabei diskutiert er in charakteristisch eindrucksvoller Beherrschung des vielfältigen und reichen Quellenmaterials, wie Begriffe wie leudes, fara, faramanni und farones mit Vorstellungen von Verträgen, Gemeinschaft und Konsens verbunden wurden. Darauf aufbauend argumentiert Haubrichs, dass Autoren im Merowingerreich ganz bewusst mit dieser Semantik der volkssprachigen Wörter in ihren lateinischen Texten operierten.

In dem vorletzten Beitrag zu dem Band gibt Chris Wickham einen vergleichenden Überblick über »Consensus and Assemblies in the Romano-Germanic Kingdoms« (S. 390–426) von den britischen Inseln über Skandinavien bis nach Italien und Spanien. Dabei möchte Wickham – anders als Timothy Reuter in seinem einflussreichen Artikel zu »assembly politics«4 – auch die Kontinuitäten in den Blick nehmen »which stretched from the small face to face politics of the North right up to very large, hierarchical and potentially anonymous ones such as Carolingian Francia« (S. 392). Damit könnte Wickham eine Spur gelegt haben, um manche Fragen weiter zu verfolgen, die im Beitrag von Fergus Kelly aufgeworfen wurden: Warum fanden manche religiösen, sozialen und politischen Vorstellungen, die in den kleinteiligen irischen Gemeinschaften entstanden sind, so große Resonanz in den Nachfolgereichen des römischen Imperiums auf dem Kontinent? Wickham konzentriert sich in seinem Beitrag vor allem auf gemeinsame Muster, die für ihn zeigen, wie sich eine Versammlungskultur von kleineren, lokal organisierten Gemeinschaften im Laufe des frühen Mittelalters in den Nachfolgereichen bis hin zum karolingischen Imperium etablierte. Doch lässt der vergleichende Ansatz und Überblick die Vielfalt und das Panorama der Möglichkeiten erahnen, in denen sich lokale Strategien der Konsensbildung, Entscheidungsfindung und Konfliktlösung mit älteren römischen, aber auch neuen überregionalen Strukturen und Institutionen verbanden, was wiederum die teilweise signifikanten Unterschiede in verschiedenen post-römischen Regionen und Reichen erklären helfen kann.

Diesen Zugang wählt in seinem den Band abschließenden Beitrag Stefan Esders (»Zwischen Historie und Rechtshistorie: Der consensus iuris im frühen Mittelalter«, S. 427–474), der weniger nach einer gemeinsamen Wurzel frühmittelalterlicher Konsensvorstellungen sucht, sondern deren Vielfalt in Spätantike und Frühmittelalter zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen nimmt. Esders sieht im Gegensatz zu Wickham auch keinen Grund »mit dem Blick auf das Thema Konsens die Abgrenzung gegenüber dem römischen Reich allzu weit zu treiben« (S. 434), und diskutiert einige Beispiele, in denen man die Institutionalisierung von Konsens auf lokaler Ebene aus der Zeit des spätrömischen Imperiums beobachten kann (S. 434f.). Als einen wesentlichen Faktor für die Veränderungen von der Spätantike zum frühen Mittelalter sieht er die »Militarisierung von Verwaltung und Gesellschaft«, die »in Verbindung mit einer zunehmenden Regionalisierung dazu (führte), dass in Gallien wenigstens die Versammlungen auf lokaler Ebene ein anderes Gewicht und auch einen anderen Charakter erhielten« (S. 435).

Die vielfältigen Formen und Entwicklungen des Konsensgedankens von der Antike zum Mittelalter sind für Esders eine Chance, den komplexen Vorgang »des Aufbrechens der relativen Rechtseinheit des römischen Imperium, die Verselbständigung und Aufsplitterung seiner provinzialen Rechtskulturen und deren Integration in neue politische Formationen« differenzierter zu untersuchen (S. 445). Aufbauend auf dem reichen Material der vorangegangenen Beiträge und der nicht weniger reichen Grundlage seiner eigenen Arbeiten skizziert Esders diesen Zugang zur Umgestaltung der römischen Welt in aufeinanderfolgenden Abschnitten zu 1. Consensus iuris und Kodifikation, 2. Konsens und Konsensualvertrag im »Privatrecht«, 3. Konsens bei der Bischofsbestellung, 4. Konsens bei der Verfügung über Kirchengut, 5. Konsens auf Konzilien, 6. Konsens auf weltlichen Versammlungen.

Mit der in diesen Abschnitten gezeigten Vielfalt der Formen von Vorstellung und Herstellung von Konsens stellt Esders die Frage, ob es für »die Vielfalt dieser Phänomene überhaupt einen einheitlichen – antiken, frühmittelalterlichen oder modernen – Konsensbegriff gibt«. Als methodischen Zugang greift er auf Überlegungen von Dietrich Böhler und Boris Rähme zurück, die vorgeschlagen haben, zwischen einem theoretischen Wahrheitskonsens und einem praktischen Kompromiss- oder Richtigkeitskonsens zu unterscheiden. Darauf aufbauend diskutiert Esders noch einige Forschungsperspektiven, die sich aus einem solchen methodischen Zugang zur Geschichte von Konsensbildung und -vorstellungen zwischen den Idealtypen von Wahrheitskonsens und Kompromisskonsens ergeben.

Zum einen lenkt ein solcher Ansatz die Aufmerksamkeit auf Konsens als Anspruch, Behauptung und Legitimationsgrundlage und nicht auf seine erfolgreiche oder nicht erfolgreiche Durchsetzung oder Etablierung. Das erlaubt aber nicht nur einen differenzierteren Blick auf die Prozesse, in denen der Begriff zu einer zentralen Kategorie der Legitimation und der Begründung von Recht wurde, sondern auch auf die Entstehungsbedingungen und weitere Geschichte eines darauf aufbauenden Rechtspluralismus in seinen spezifischen historischen Zusammenhängen (S. 466). Konsensfindung als Ergebnis von Kommunikationsprozessen zu untersuchen, wie es Esders (aber auch andere Autoren wie Steffen Patzold oder Harald Siems) in ihren Beiträgen vorschlagen, verlangt aber auch, alle an dem Kommunikationsprozess Beteiligten zu berücksichtigen und damit die verfassungsgeschichtliche Fixierung auf das Zusammenwirken von König und Großen beziehungsweise Adel aufzugeben.

Esders zeigt am Beispiel der Selbstbindung durch Eide, wie Konsens manchmal schrittweise, also auf verschiedenen Ebenen in unterschiedlicher Weise hergestellt wurde Dabei ist laut Esders manchmal ein Ineinandergreifen von autoritären und konsensualen Elementen und auch verschiedenen Formen von Konsens zu beobachten. Eindrucksvoll zeigt er an dem Beispiel der Selbstverpflichtung im frühen Mittelalter, wie Herstellung von Konsens als Teil einer Handlungskette zu verstehen ist, die namentlich im Bereich dessen, was wir als Politik und Verwaltung zu trennen geneigt sind, über mehrere verschiedene Stufen und Ebenen ablief.

Wie Esders ebenfalls betont, gehen die Überführung von Fremdbestimmung in Selbstverpflichtung (oder umgekehrt) und die damit zusammenhängende Einengung der Begründbarkeit alternativer Handlungsweisen als der konsentierten auch Hand in Hand mit der Einengung diskursiver Spielräume. Damit greift Esders am Ende seines abschließenden Beitrages auch diesen Vorschlag von Christoph Meyer am Anfang des Bandes auf, die Texte und die Prozesse von ihrer Niederschrift zu ihrer Wiederschrift als Quellen für die Kommunikationsprozesse zu nutzen, in denen man versuchte, Konsens zu etablieren.

Ich habe am Beginn dieser Rezension den Band als facettenreich bezeichnet. Das soll nicht als Kritik verstanden werden, sondern die Leserinnen und Leser eher auf die Reichhaltigkeit des Bandes vorbereiten, die auch die eindrucksvolle Zusammenfassung der Beiträge und den aus oder in Reaktion auf sie entwickelten Forschungsperspektiven von Stefan Esders erschließen hilft. Zwischen diesem abschließenden Beitrag und den Einleitungen, und vor allem den Perspektiven, die Christoph Meyer am Beginn des Bandes ebenso umsichtig wie kritisch aus der Forschungsgeschichte entwickelt, dokumentiert jede Facette des Bandes, wie die Historisierung von Konsens »zwischen Historie und Rechtshistorie« uns grundlegend neue Einblicke in die Umgestaltung der römischen Welt und die Entstehung des mittelalterlichen Europas geben kann.

1 Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig (Hg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53–87.
2 Ian N. Wood, Burgundian Law Making, 451–534, in: Italian Review of Legal History 3 (2017), S. 1–27.
3 Siehe dazu auch Stefan Esders, Spätrömisches Militärrecht in der Lex Baiuvariorum, in: Fabio Botta, Luca Loschiavo (Hg.), Civitas, iura, arma. Organizzazioni militari, istituzioni giuridiche e strutture sociali alle origini dell’Europa (sec. III–VIII). Atti del Seminario internazionale Cagliari 5–6 ottobre 2012, Lecce 2015, S. 43–78.
4 Timothy Reuter, Assembly Politics in Western Europe from the Eighth Century to the Twelfth, in: Peter Linehan, Janet L. Nelson (Hg.), The Medieval World, London 2001, S. 432–450.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Helmut Reimitz, Rezension von/compte rendu de: Verena Epp, Christoph H. F. Meyer (Hg.), Recht und Konsens im frühen Mittelalter, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2017, 487 S. (Konstanzer Arbeitskreis für Mittelalterliche Geschichte. Vorträge und Forschungen, 82), ISBN 978-3-7995-6882-1, EUR 54,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66324