Carola Föllers Untersuchung zweier Texte, die im Umfeld Ludwigs IX. von Frankreich (geb. 1214, reg. 1226/35–1270) für die Erziehung und (Aus)Bildung seiner Söhne entstanden, sowie der enseignements des Königs an seine erstgeborene Tochter Isabelle und den Thronfolger Philipp (III.) basiert auf ihrer 2011 in Frankfurt angenommenen Dissertation. Für den Druck 2018 wurde die neuere Literatur eingearbeitet und die Arbeit deutlich gekürzt. Letzteres erweist sich für die Lektüre nicht unbedingt als Glücksfall, denn einerseits entstehen dadurch Lücken (fehlende Kontexte, unvermittelte Anschlüsse) andererseits Redundanzen.

Die Autorin stellt die Frage nach den Erziehungsidealen und -konzepten am Hof Ludwigs und schlägt vor, in den von ihr untersuchten Texten ein Corpus zu sehen, das sich chronologisch parallel zur Entwicklung der Thronfolger (Ludwig, 1244–1260, Philipp, 1245–1285) lesen lässt.

Dazu erläutert sie kurz (Einleitung »Der erste Schritt«, S. 11–29) ihren Ansatz, der auf der Annahme basiert, dass mit der Analyse von Vorstellungen über Kindheit und Erziehung »kulturelle Eigenheiten« (S. 13) einer Gesellschaft erschlossen werden können. Den Rahmen für die Untersuchung bilden Forschungen zur Kindheit in der Vormoderne (seit Ariès) und zu Erziehung, Wissens- und Wissenschafts-, Bildungs- und Universitätsgeschichte sowie Analysen von Fürstenspiegeln.

Ein knapper Überblick über die Hofforschung leitet das 2. Kapitel (»Der König und seine Experten«, S. 30–57) ein. In der Folge diskutiert die Autorin die verschiedenen Schnittstellen, die der Hof Ludwigs mit anderen Orten der Wissensproduktion und -tradierung hatte: die Universität von Paris, zu der zumindest nach bisherigen Forschungen trotz der räumlichen Nähe erstaunlich wenig Kontakt bestand, und die Bettelorden, insbesondere die Dominikaner, zu denen Ludwig enge Beziehungen unterhielt. Mit Guillaume d’Auvergne, Robert de Sorbon, Eudes Rigaud, Guibert von Tournai und Vinzenz von Beauvais werden einige Autoren (und ihre Werke) vorgestellt, die am Hof bzw. für Ludwig eine wichtige Rolle spielten.

Vor die eigentliche Analyse schaltet die Autorin ein quellenkritisches 3. Kapitel (»Die Schriften für die Erziehung der Königskinder«, S. 58–97), in dem der Zusammenhang der untersuchten Texte anhand von vier Kriterien (Hofbezug, Datierung im Verhältnis zum Alter der Söhne, Identifizierung der Adressaten mit Mitgliedern der königlichen Familie, Charakterisierung als Erziehungsschrift) plausibilisiert wird. Querbezüge und Kontexte der – späteren – Handschriftenüberlieferung könnten dazu beitragen, die Argumentation zu festigen. Bei den Texten handelt es sich 1.) um den im Auftrag der Königin Marguerite de Provence entstandenen Erziehungstraktat »De eruditione filiorum nobilium« des Vinzenz von Beauvais (um 1250), 2.) um das Lehrbuch »Conseil à un ami« des Rechtsgelehrten Pierre de Fontaines (zwischen 1253 und 1261) und 3.) um die als »eigenhändig« überlieferten Ratschläge Ludwigs selbst an seine Tochter Isabelle und seinen Sohn Philipp (enseignements, zwischen 1255 bzw. 1260 und 1270). Zusammengenommen zeige sich in ihnen »das Erziehungsprogramm des ludowizianischen Hofes in seiner Gesamtheit und Stimmigkeit« (S. 97).

In den drei Hauptkapiteln »Der disputierende Prinz» (S. 98–126), »Der rechtsgelehrte Sohn« (S. 127–165), »Der würdige Nachfolger« (S. 166–194) werden die Texte – trotz der Corpus-Annahme – getrennt analysiert und nur recht allgemein aufeinander bezogen (was könnte sich z. B. in den enseignements in Verbindung mit Vinzenz lesen lassen, das nicht auch aus vielen anderen Quellen/Traditionen stammen kann?). Gefragt wird jeweils nach den Adressaten bzw. Rezipienten, nach Erziehungskonzept und -ziel sowie nach den Bildungsinhalten und Methoden der Vermittlung. »De eruditione filiorum nobilium« gibt den Lehrern, Eltern und Ratgebern/Freunden der zum Abfassungszeitpunkt etwa sechs- bis zehnjährigen Prinzen Richtlinien für die Gestaltung von doctrina (»intellektueller Ausbildung«, S. 124) und disciplina (»moralischer Unterweisung«, ibid.) an die Hand, in deren Zusammenspiel selbständig denkende, moralisch gefestigte Königssöhne heranwachsen sollten. An mendikantischen Idealen orientierte Frömmigkeit war dabei integraler Bestandteil des Herrschideals, das vermittelt wurde.

Demgegenüber bietet der »Conseil à un ami« – bei dessen vermutlicher Abfassung Ludwig und Philipp etwa 8–14 Jahre alt waren und entsprechend schon eine grundlegende Bildung besaßen – eine rechtspraktische Unterweisung in den coutumes (hier des Vermandois) und den lois (dem römischen Recht). In einer dialogischen Struktur wird den Schülern, die hier direkt angesprochen werden, u. a. durch Fallbeispiele, das praktische Wissen vermittelt, mittels dessen sie dem Ideal des Königs als gutem Richter gerecht werden können.

Die enseignements schließlich, die als direkte Vater-Sohn- bzw. Vater-Tochterkommunikation überliefert werden (allerdings nach dem Tod Ludwigs, ein Autograf ist nicht überliefert), richten sich an bereits erwachsene Kinder. Die Ratschläge und Anweisungen fassen in einer Art Vermächtnis die für Ludwigs Königtum handlungsleitenden Ideale des rex christianissimus und des rex iustus zusammen, die auch bereits in den beiden anderen Werken eine wichtige Rolle spielen.

Die Autorin hat mit ihrer Arbeit eine gute Grundlage für weitere Forschungen im Fragenkomplex von Erziehung, Bildung und »Ausbildung« am französischen Hof geschaffen, die sie in ihrem zusammenfassenden Schlusskapitel »Ein gekrönter Esel?« (S. 195–205) andeutet, zumal mit »De eruditione filiorum nobilium« und dem »Conseil à un ami« Werke erschlossen werden, die bisher in der deutschsprachigen Forschung kaum im Fokus standen.

Die Ergebnisse inspirieren zu weiteren Fragen: Wie etwa lassen sich die einzelnen Texte über die Manuskriptüberlieferung, ikonographische Formeln und ihre Tradierung am Hof verfolgen und miteinander (und weiteren Erziehungsschriften sowie Fürstenspiegeln) in Verbindung bringen? Wie fügen sie sich in die anderen Produkte der höfischen – künstlerischen, religiösen, wissenschaftlichen – Kultur ein, welches Gesamtbild von Ludwigs Hof ergibt sich? Kann die Rolle Blancas von Kastilien genauer beschrieben werden? Welche Bedeutung hat der Kanonisierungsprozess Ludwigs für die Einordnung der Texte und ihre Deutung im späten 13. und frühen 14. Jahrhundert? Welche Rolle spielt die Kategorie »Geschlecht« bei der Konzeptualisierung und Realisierung von Erziehung und der Tradierung der Texte, insbesondere der enseignements, die im Verlauf des 14. Jahrhunderts in unterschiedlichen Kontexten für Mitglieder des Hofes kopiert werden und als Vorbild für ähnliche Texte dienen? Inwieweit lässt die Materialität der Überlieferung (Größe, Ausstattung, Layout, Zusammenstellung der Manuskripte) Rückschlüsse auf die Erziehungs- und Nutzungskonzepte zu? Und etwas weiter gefasst: Wie ist das Verhältnis zwischen Individuen (Autorinnen/Autoren, Ludwig, …) und »Hof« zu verstehen, wenn nach Erziehungs- und Bildungsidealen gefragt wird?

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Anja Rathmann-Lutz, Rezension von/compte rendu de: Carola Föller, Königskinder. Erziehung am Hof Ludwigs IX. des Heiligen von Frankreich, Wien, Köln, Weimar (Böhlau) 2018, 252 S. (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte, 88), ISBN 978-3-412-50014-6, EUR 50,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66326