Die Verfasserin hat sich vorgenommen, die viel diskutierte Frage: Bleibt die Witwe Königin? für das Hochmittelalter zu beantworten. Die Breite der von ihr hierfür untersuchten Quellentexte sowie der zu diesem Thema vorhandenen Literatur ist enorm, zumal nicht nur Königinnenwitwen des deutschen Reichs nach ihrer Rolle als Herrscherin und aus der Position der Witwe heraus behandelt werden, sondern auch die Bedeutung der Königinnen-Witwen am englischen Königshof. Inwieweit Königinnen nach dem Tod des Gemahls weiterhin oder zumindest für eine Übergangszeit die Funktionen der Königsherrschaft wahrnehmen konnten oder gar zu einer Art Leitfigur aufstiegen, um Herrschaftskontinuität zu garantieren, ist aus den Quellen nicht immer eindeutig zu ermitteln. Schrieben die Chronisten doch meist aus theologischer Perspektive und orientierten sich an weiblichen Handlungsmustern und »Lebensentwürfen« solcher Personen in der Bibel.
Die Vorstellungswelten der Chronisten sind also zu beachten und kritisch zu hinterfragen. Daher stellt die Autorin die großen Werke der angelsächsischen Geschichtsschreiber, deren Texte sie in ihre Auswertung einbezieht, zu Beginn des Buches vor; es sind vor allem die Werke von Matthäus Parisiensis und weiterer Historiographen aus der Schule des Benediktinerklosters St. Albans nahe London; für die Königinnen des deutschen Reichs stützt sich die Arbeit auf die historiografischen Werke Thietmars von Merseburg, Wipos und des Investiturstreits, u.a. Lampert von Hersfeld.
Den drei Hauptteilen des Buches – den Abschnitten III–V – hat die Verfasserin das Wagnis vorangestellt, eine Königin definieren zu wollen, also inwieweit die Gemahlin eines Königs dieser Zeit anderen verheirateten Frauen des Hochadels gleicht und wo die Unterschiede liegen, etwa durch Krönung, Weihe und »reginales« Handeln, wobei bekanntlich auch die mittelalterlichen Quellen die Herrscherin einerseits biologisch als Frau mit der Erwartung von Fertilität zur Sicherung der Dynastie bewerten und andererseits im sozialen Umfeld als handelnde Personen »gendern«.
Ein Problem der Historiografie ist die Billigung von Eigenschaften, die männlich definiert sind, für die Königin, etwa wenn nun doch vom Chronist gesagt werden muss, dass Blanka von Kastilien consilio mascula gehandelt habe. Über etwa 70 Seiten werden im Abschnitt III die verschiedenen möglichen Rollen, die Herrscherinnen dieser Zeit nach dem Tod des Königs/Kaisers einnehmen konnten, detailreich anhand der Quellenbelege gezeigt und analysiert. Die beste Position konnte eine Königinwitwe dann erreichen, wenn sie für ihren Sohn regierte und zu diesem in positivem Verhältnis stand. Als zentrale Figur der Orientierung nach dem Verlust der Person des Königs war seine Witwe sogar dazu aufgerufen, das Reich zu lenken und den inneren Frieden zu wahren. Anders jedoch als im deutschen Reich verfügte die Königin in England wohl bereits seit dem 8. Jahrhundert über eigene Finanzen und eine eigene Kanzlei – queens gold. Damit waren der Königinwitwe aufgrund ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und der Partnerschaft zwischen König und Königin, auch was die Finanzen betraf, ganz andere Möglichkeiten in die Hand gelegt – das Beispiel von Aliénor als Witwe handelnd für ihre Söhne Richard Löwenherz und Johann ohne Land ist berühmt.
Der Witwe Kaiser Heinrichs V., Mathilde, Tochter König Heinrichs I. von England, blieb ihr Kaisertitel auch als eigenständig regierender Königin von England nach ihrer Rückkehr erhalten, und er war die vorrangige Bezeichnung für sie. Den Titel imperatrix behielt sie auch in ihrer zweiten Ehe mit dem Grafen Gottfried von Anjou bei, und zwar als deutliches Zeichen ihrer höheren Stellung. Einen Status beanspruchen konnten Witwen, wie die Autorin an vielen Beispielen zeigt, durch eigene Siegelführung und eigenständige Verwaltung.
Eine besondere Bedeutung kam dabei im deutschen Reich natürlich Kunigunde, der Gemahlin Heinrichs II., Gisela, Gemahlin Konrads II., und Agnes, Gemahlin Heinrichs III., während ihrer Witwenschaft zu, aber auch Richenza von Nordheim und Konstanze von Sizilien, Gemahlin Kaiser Heinrichs VI., die etwas blass in der Beschreibung erscheint. Im Abschnitt V erörtert die Autorin Handlungsfelder und Machtgrundlagen königlichen Handelns einer Königinwitwe anhand der behandelten Quellen und Personen sowie die Frage nach der Wirkung einer Königin – ihre soziale Magie auf ihr Umfeld, aber auch als Figur für königliches Prestige.
Das Buch glänzt vor allem durch den der Autorin gelungenen Vergleich zwischen England und dem deutschen Reich. Freilich sollte man sich dessen bewusst sein, dass das Hochmittelalter noch keine Trennung nach Nationen kannte und England fremd regiert wurde. Ob man von »in den Chroniken beschriebenen Lebensentwürfe(n)« (S. 145) von Witwen und Herrscherinnen sprechen kann, steht dahin, da Herrscherinnen meist mit dem Tod des Mannes nicht rechnen konnten. Bei der schmalen Gradwanderung zwischen dem Tod des Königs und der Regentschaftsübernahme durch die Witwe war äußerte Sorgfalt angesagt – eine Eigenschaft, die die Verfasser der Chroniken den Königinnen stets zugesprochen haben.
Die Autorin hat mit ihrem Werk gezeigt, dass die Geschichte des Mittelalters gerade in Hinblick auf die traditionell maskulin ausgerichtete Verfassungsgeschichte auch aus der Perspektive der Königinnen geschrieben werden kann. Die heikle Frage nach deren Handlungsfähigkeit als Witwen nach dem Tod des Königs oder kaiserlichen Gemahls hat sie positiv und detailreich beantwortet. Es lohnt sich, das Buch zu lesen. Wünschenswert wäre allerdings eine Tabelle gewesen, die die behandelten Witwen in Kurzbiografien den Leserinnen und Lesern nahebringt, und auch genealogische Skizzen würden die Orientierung erleichtern, vor allem für Studierende der Mittelalterlichen Geschichte.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Adelheid Krah, Rezension von/compte rendu de: Anne Foerster, Die Witwe des Königs. Zu Vorstellung, Anspruch und Performanz im englischen und deutschen Hochmittelalter, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2018, 352 S., 11 farb. Abb. (Mittelalter-Forschungen, 57), ISBN 978-3-7995-4376-7, EUR 49,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66327