Um die in der Forschung eine Zeitlang recht zentralen Gottesfrieden ist es in den letzten Jahren eher ruhig geworden. Das ist aber auch eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. In seinem kleinen Bändchen in der Reihe »Past Imperfect« betont Geoffrey Koziol einleitend, wie kontrovers und aus welchen verschiedenen Perspektiven (Gewalt, Volksbewegung, Millenarismus, Strukturwandel um 1000 und Territorialisierung der Herrschaft) der Gottesfriede betrachtet worden ist, und sucht eine neue Gesamtschau der gegen Ende des 10. Jahrhunderts in Aquitanien entstandenen und sich von hier aus schnell ausbreitenden »Bewegung«, deren ursprüngliches Ziel der Schutz bestimmter Personengruppen und Orte war, die, je nach Region und Zeit, jedoch mehrfach ihren Charakter änderte. Insgesamt betrachtet auch Koziol sie als eine der bedeutendsten Erscheinungen des Mittelalters und als Neuerung: Trotz mancher Einflüsse konnten sich die Gottesfrieden nicht als Ganzes auf bestimmte Traditionen stützen.

Folgerichtig befasst sich das erste Kapitel mit der Zeit »Before the Peace of God«. Koziol erinnert an die berühmte Friedensdefinition Augustins (De civitate Dei 19,13) und die Bedeutung des Paktes im Merowingerreich und des Friedens auf merowingischen Konzilien. Die Dreiheit von Friede, Eintracht und Einmütigkeit und die enge Verbindung von Frieden und Liebe unter allen Christen in den Konzilsakten Karls des Großen und vor allem in der von Alkuin beeinflussten »Dionysio-Hadriana« wurde unter Ludwig dem Frommen durch die Formel pax et iustitia abgelöst und damit von der Christenheit auf das Reich gelenkt und zugleich konkretisiert: als Friede zwischen Bischöfen und Grafen oder zwischen den Teilreichen (in den Teilungsverträgen).

Vorläufer zum Gottesfrieden sieht Koziol (dezidiert vor allem gegen Élisabeth Magnou-Nortier) darin umso weniger, als die spätkarolingischen Frieden gerade die coniurationes verboten haben, die ihrerseits schon eher auf die Gottesfrieden vorauswiesen (was ich allerdings bezweifle). Ähnlich verworfen wird die Deutung der Gottesfrieden als Mittel gegen die Gewalt im Zuge der politisch-sozialen Umwälzungen um 1000: Es gab kein »Chaos«, auch wenn die Macht der Fürstentümer und die Größe und Bedeutung der erst seit der Zeit Karls des Kahlen entstehenden Burgen – auf das sogenannte »incastellamento« geht Koziol nicht näher ein – nicht überschätzt werden dürfe: Nicht Gewalt an sich, sondern das Fehlen politischer und gerichtlicher Einheit sei das Problem.

Folgerichtig sieht Koziol das erste Aufkommen der Gottesfrieden in Aquitanien rein politisch-rechtlich in der fehlenden Herrschaft in der Auvergne begründet, wo Bischof Stephan von Clermont auf Versammlungen versuchte, Ordnung zu schaffen, und wo um 975 in Le Puy unter dem dortigen Bischof Wido eine Versammlung den Frieden herstellen wollte und gegen das Plündern von Kirchengut einschritt. Der ganze Abschnitt setzt sich demnach kritisch mit einigen (früheren) Thesen auseinander, mit dem Ergebnis, dass der Gottesfriede selbst eine neue Erscheinung gewesen ist. Dem ist zuzustimmen. Doch wird man hinsichtlich anderer Elemente: der Formen, der Synodalbeschlüsse und auch des Willens, Ordnung zu schaffen, vielleicht nicht ganz so strikt auf Innovation folgern können.

Das zweite Kapitel ist den Gottesfrieden selbst gewidmet und beginnt mit dem Hintergrund wichtiger, aber problematischer Quellen (wie Rodulf Glaber, dessen Darstellung der Frieden als millenaristische und als Massenbewegung einen zwar existenten, aber keineswegs allgegenwärtigen Charakter überbetone). Traditionell lässt Koziol den Gottesfrieden mit dem Konzil von Charroux 989 und seinen drei fortan zentralen Grundbestimmungen beginnen. (Der entscheidende Sachverhalt, dass das Anathem jeweils keineswegs schon den Friedensbruch, sondern erst dessen mangelnde Wiedergutmachung ahnden sollte, wird erst später kurz erwähnt.)

Nach einem Überblick über die – immer spezifischer werdenden – Friedenskonzilien (mit Zweifeln etwa an der Existenz von Poitiers 1000/1014 und Limoges 1031), die sich keineswegs kontinuierlich, sondern in Phasen (mit einer langen Pause nach 1000) fortsetzten, bezweifelt Koziol keineswegs einen gemeinsamen Gesamtcharakter, führt Unterschiede aber auf die – wieder durchweg politischen – regionalen Hintergründe zurück: das Fehlen eines strukturierten Forums für politische Entscheidungen im Süden, herzogliche Unterstützung in Aquitanien oder lokales Regieren in Burgund, das erst kürzlich unter die (ferne) königliche Kontrolle geraten war.

In einem Abschnitt »Legislation and Lordship« betont Koziol, dass der frühe Gottesfriede weder Gesetzgebung noch gegen den Krieg an sich, sondern gegen malae consuetudines gerichtet sei, während die Bestimmungen ständige Ausnahmen von den Verboten zuließen. Sie hätten sich – und dem ist vorbehaltlos zuzustimmen – keineswegs gegen die herrschaftlichen Rechte gerichtet. Der Abschnitt über die Friedensmilizen setzt sich zunächst mit Tom Bissons Zwei-Phasen-Modell eines »sanctified« und eines »instituted« oder »organized peace« auseinander. Friedensmilizen als solche seien zwar nicht an sich neu, während geistliche Sanktionen auch auf eine gesellschaftliche Wirkung abzielten. Dennoch entstand eine neue Art des Friedens, und zwar, wie Koziol betont, kontinuierlich und nicht nach einer längeren Pause nach 1050 (mit Belegen für eine fortgesetzte Friedenspolitik).

Mit diesem »institutionalisierten Frieden« (pax und treuga) befasst sich das dritte Kapitel. Begrifflich scheint mir das missverständlich, da auch (und gerade) synodale Frieden »institutionelle« Frieden sind. Es kommt vielmehr auf die Art des Wandels zu einer neuen, in der Forschung weit weniger beachteten Phase der Königs-, Fürsten- und Stadtfrieden an – wobei die geringere Beachtung eher für die französische als für die deutsche Forschung gilt –, und genau dem geht Koziol im Folgenden nach: Den Unterschied zur früheren Phase sieht er in der Dauerhaftigkeit und der führenden Rolle der Fürsten, deren Kriege nicht als Friedensbruch galten, wie auch in den Sanktionen. Der beschworene Friede bezog die Eidleistenden ein, und die im späten 11. und frühen 12. Jahrhundert häufig bezeugten Friedensmilizen boten dem König (Ludwig VI.) die Möglichkeit, über den Frieden in Regionen Fuß zu fassen, in denen er ansonsten wenig Rechte hatte.

Auch in Deutschland ist die »Institutionalisierung« des Friedens (seit den Frieden von Lüttich 1082 und Köln 1083 hin zu den folgenden Landfrieden) deutlich zu beobachten. Die Entwicklung vom Gottes- zum Land- und Reichsfrieden, die von den Fürsten akzeptiert wurden, sieht Koziol als eine geradlinige Entwicklung, greift allerdings die ältere rechtsgeschichtliche Lehre auf, dass erst der Landfrieden deutsches Recht schuf. In Südfrankreich (1064/1066) wurde der Friede, intensiviert durch allgemeinen Eid, Friedenssteuern und Friedensrichter, zum Fürstenfrieden und sogar zum Königsfrieden, seit der Graf Ramón Berenguer von Barcelona König von Aragón wurde. Erst dieser Wandel vom Gottesfrieden zum Fürstenfrieden führte zu allgemeinen Erfolgen, während die Kernelemente sämtlich erhalten blieben.

In seiner Zusammenfassung betont Geoffrey Koziol noch einmal, dass nicht eine Krise (so Bisson), sondern ein »Problem« der Herrschaft, nämlich die Fragmentierung öffentlicher Macht in der späten Karolingerzeit und somit der fehlende politische Rahmen für die Lösung von Konflikten, Ursache der Gottesfrieden waren, und er erklärt deren Erfolg damit, dass sie Gewalt nicht verboten, sondern kodifiziert und Herrschaft im Inneren nicht beschnitten haben, solange sie nicht Dritten schadete. Wenn Koziol die Frieden allerdings als »Europe’s first true legislation« (S. 132) betrachtet, dann misst das (wie in der früheren Rechtsgeschichte) zu sehr am modernen Begriff. Sie als Beginn einer andersgearteten Gesetzgebung zu sehen, wäre angemessener. Auch die innere Dynamik, die sich nicht auf die zwei »Stufen« des Gottes- und des Landfriedens beschränkt, ließe sich noch stärker herausstellen.

Weniges in dem Buch ist wirklich neu, aber Koziol hat gerade die strittigen Punkte (jetzt mit etwas Abstand) noch einmal einer kritischen Betrachtung unterzogen. Das macht den Gesamtüberblick zu einer engagierten, quellengemäßen Stellungnahme, die manche überzogene These in ihre Schranken verweist und zu (älteren) Deutungen zurückkehrt, die stärker Wortlaut und Rechtsgehalt der Friedensbestimmungen beachtet hatten. Dadurch werden die Gottesfrieden besser in ihren jeweiligen Kontext eingeordnet, wird vor allem auch die Praxisbezogenheit der Bestimmungen (voller Bedingungen und Ausnahmen) betont. Damit verbunden ist allerdings auch ein Zurücktreten der (jüngeren) kulturellen zugunsten vorwiegend politischer (und rechtlicher) Aspekte, das die Gefahr einer einseitigen Betrachtungsweise in sich birgt. Mit diesen Einschränkungen ist Geoffrey Koziol aber eine hilfreiche Zusammenschau der sich seit Langem eher in Einzelphänomene auflösenden Gottesfriedensforschung gelungen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Hans-Werner Goetz, Rezension von/compte rendu de: Geoffrey Koziol, The Peace of God, Leeds (Arc Humanities Press) 2018, X–141 p., 2 maps (Past Imperfect) ISBN 978-1-94240-137-7, GBP 11,95., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66339