Die vorliegende Studie befasst sich mit dem (Siegel-)Bild hochadeliger Persönlichkeiten, das ergänzend zu den Texten eine wichtige Quelle darstelle, weil es Amt und Rang eines Fürsten deutlich machen solle (S. 15). Somit sei die Siegelführung an sich, wie die Bildproduktion darüber hinaus, als Ausübung von Macht anzusehen; dynastische Repräsentation und die Legitimation territorialer Herrschaft seien die wichtigsten Anliegen gewesen (S. 18). Das Siegel changiere darum zwischen Emanation einer Person und deren Charakter.
Von diesen Grundannahmen, die wichtige Forschungspositionen der letzten Jahr(zehnt)e kurz zusammenfassen, ausgehend, werden mit den Siegeln der Grafen von Toulouse des 12. und 13. Jahrhunderts die Siegel einer der bedeutendsten Familien des hochmittelalterlichen Frankreich erstmals einer gründlichen Untersuchung unterzogen. Dabei ist besonders hervorzuheben, dass nicht nur die die französische Siegelforschung in der Regel dominierende Siegel(abdruck)sammlung der Pariser Archives nationales konsultiert wurde, sondern Laurent Macé auch in großem Umfang die urkundliche Überlieferung in regionalen Archiven herangezogen hat und somit die Quellengrundlage insbesondere in der Frühzeit hochadeliger Siegelführung um bislang nicht bekannte Siegel bzw. -nachweise bereichert. Die Beobachtungen zu den Siegeln werden dabei immer vor dem historischen und urkundlichen Hintergrund interpretiert – für den Laurent Macé mit seinen verschiedenen Studien zu den Raimundinern ein ausgewiesener Kenner ist.
1156 ist erstmals das Siegel eines Grafen von Toulouse bezeugt, was im Verhältnis zu anderen südfranzösischen Fürsten verspätet scheint – ein Umstand, der in der französischen Forschung auch diskutiert wurde. Allerdings kann Macé die Siegelführung der Grafen von Toulouse durch seine Forschungen sehr viel früher ansetzen als bislang, wo man sogar noch vom Beginn des 13. Jahrhunderts ausging. Die frühen Besiegelungen wurden freilich nicht immer in den Urkunden angekündigt, sodass wir von ihnen nur wissen, wenn wenigstens Siegelfragmente erhalten sind, oder aber wie für einige Besiegelungen aus den 1170er und 1180er Jahren, frühneuzeitliche Siegelbeschreibungen existieren.
Zunächst wird ein chronologischer Überblick über die Siegel und Bullen der Grafen von Toulouse gegeben (Kapitel I, II und III). Die gesamte Überlieferung deutet daraufhin, dass Raimund V. (Graf 1148, † 1194) als erster Siegelführer unter den Grafen von Toulouse zwei Typare für Wachssiegel führte, die ihn als Münzsiegel auf der einen Seite reitend und auf der anderen Seite thronend darstellen; die Umschriften beider Seiten führen die Legitimationsformel und nennen ihn als Herzog von Narbonne, Graf von Toulouse sowie Markgraf der Provence. Dem – ungewöhnlichen – Vorbild, das sich kaum zufällig an den Münzsiegeln der englischen Könige mit Thron- und Reiterseite orientiert – hatte doch Heinrich II. für seine Ehefrau Eleonore Anspruch auf die Grafschaft Toulouse erhoben – folgt Raymund VI. Hinzu kommen im unteren Rhônetal verwendete Bleibullen, die auf der einen Seite einen nach rechts sprengenden berittenen Krieger mit gezücktem Schwert und einem Schild mit dem Kreuz der Raimundiner zeigen, welches die alleinige Darstellung des Revers ist.
Auch hier steht, wie Macé zeigen kann, Raimund V. am Anfang einer Tradition, welche die zunehmende Beherrschung dieser Regionen, darunter die Grafschaften Mauguio und Venaissin, begleitet und dokumentiert. Diese Abschnitte zeichnen sich durch eine akribische Durchsicht des Materials aus, bei dem nicht nur verschiedene Abdrucke eines Typars analysiert, sondern auch die urkundliche Überlieferung mitherangezogen wird; gerade dadurch wird der Zusammenhang zwischen Besiegelungspraxis, verwendeten Typaren und Herrschaftserfassung – sowohl bei der Übernahme neuer Gebiete als auch beim Herrschaftsübergang vom Vater auf den Sohn – deutlich. Der Schwerpunkt liegt auf den Siegeln in Verbindung mit dem sich immer stärker entwickelnden und differenzierenden Urkundenwesen als Herrschaftspraxis.
Sicher auch vor dem Hintergrund seiner bisherigen Forschungen werden Siegel und Siegelbilder nicht zuletzt als Ausdruck dynastischer Kontinuität und dies als dominierende soziale Praxis interpretiert, wobei die meist eher geringfügig erscheinenden Veränderungen äußerst sorgsam interpretiert werden. Im Kapitel IV. des ersten Teils werden auf der Grundlage von Arbeiten Jens Christian Moesgaards die Münzen mit einbezogen, die im Rhônetal nach der Rückkehr Raimunds V. vom Kreuzzug seit den 1150er Jahren entwickelt wurden. Auf der einen Seite werden Sonne und Mond dargestellt, auf der anderen Seite das spätere »Tolosanerkreuz«, für das Macé zurecht die Bezeichnung »Kreuz der Raimundiner« bevorzugt. Dies wird auf eine regionale Verehrung des wahren Kreuzes zurückgeführt und – wie bereits die Siegel – als Praxis interpretiert, die der visuellen Kommunikation von Herrschaft dient.
Mit den Abschnitten des zweiten Teils rücken die Siegelbilder in den Mittelpunkt der Betrachtung und werden als Ausdruck sich wandelnder Herrschaftsverhältnisse, aber auch sich wandelnder Herrschaftskonzeptionen interpretiert, wobei nun auch die Montfort als konkurrierende Herrschaftsträger, die sich in die Siegeltradition ihrer Gegner einzuschreiben versuchen, mit einbezogen werden. In den Kapiteln des dritten Teils werden hingegen stärker die Siegel einzelner Persönlichkeiten vor dem Hintergrund von deren Netzwerken analysiert; dabei finden auch einige der Frauen des Tolosaner Grafenhauses Berücksichtigung, angefangen bei Konstanze von Frankreich, Gemahlin Raimunds V. (Heirat 1154, Scheidung 1165) und Tochter Ludwigs VI., die wie ihr Mann ein Münzsiegel führte, welches sie auf dem Avers thronend und auf dem Revers im Damensitz reitend zeigt.
Zurecht weist Macé auf Konstanzes Verbindungen nach England hin, wo König Stephan, der Vater ihres ersten Mannes Eustache von Blois, wie seine Vorgänger ein Münzsiegel geführt hatte, das ihn auf dem Avers thronend und auf dem Revers reitend darstellt. Diese Vorbilder machen den Macht- und Ranganspruch deutlich, den Raimund V. und seine Frau in ihren Siegeln zum Ausdruck bringen.
Die Standarte auf der Reiterseite Raimunds V., die sich auch bei seinem Sohn noch findet, zeigt seine Stellung als fürstlicher Heerführer an. Auf die eigene Herrschaftsregion bezogen werden die Siegel der Raimundiner Grafen durch Attribute wie das Schloss von Narbonne in der linken Hand des thronenden Grafen und das Raimundiner Kreuz auf dem Schild und später auch die Pferdedecke des reitenden Grafen. Bei den Siegelbildern der Grafen von Toulouse ging es also um Rangfragen und nicht die Usurpation königlicher Machtansprüche. Hier wäre auf die Übernahme der Throndarstellung durch die Bischöfe im römisch-deutschen Reich um 1100 hinzuweisen, die nicht als Konkurrenz zu den Majestätssiegeln der salischen Herrscher gedacht war, sondern als Dokumentation des bischöflichen Machtbereichs als eigenständigen Herrschaftsraums. In diesem Sinne wird man auch die Münzsiegel der Grafen von Toulouse lesen können, die sich wie die englischen Könige als Wahrer des Rechts und wehrhafte Verteidiger ihres Landes präsentieren.
Im dritten Teil werden an den Beispielen der Johanna, Tochter Heinrichs II. von England, Raimunds VI. unehelichen Sohns Bertrand von Toulouse sowie Raimunds VII. Erbtochter Johanna und ihres Ehemanns Alfons, Sohn Ludwigs X., Graf von Poitiers und über sie auch Graf von Toulouse, Muster bei der Wahl von Siegelbildmotiven diskutiert, wobei das Raimundiner Kreuz und die Zuordnung zur Verwandtengruppe der Raimundiner als Leitmotiv dienen, das sich auch durch die beiden abschließenden Kapitel, in der einige Siegel raimundinischer Nebenlinien und Seitenverwandten vorgestellt werden, zieht. Tatsächlich wird hier ein Spannungsverhältnis deutlich, wo sich die neuaufkommende »Zeichensprache« der Heraldik und Siegelführung gegenseitig stabilisieren, dabei beide über genügend Variabilität verfügen, um auf sich verändernde Bedürfnisse unter Verwendung bekannter Zeichen und deren Kombination mit anderen Zeichen oder durch Einbettung in andere Bildzusammenhänge zu reagieren.
Die detailreichen und in der Regel überzeugenden Überlegungen hätten allerdings durch die Einbeziehung von Konzepten wie Gender und Rang – neben denen von Dynastie und Territorium – durchaus noch profitieren können. Zeigte sich schon beim Siegel der Konstanze von Frankreich eine Ausrichtung auf die repräsentativen Interessen des Ehemanns, so wird dies noch deutlicher beim Siegel der Johanna Plantagenêt, Tochter Heinrichs I. von England und Königinwitwe von Sizilien und von 1196–1199 dritter Ehefrau Raimunds VI., deren Siegel keineswegs sizilische oder byzantinische Bildmuster übernimmt, sondern eine Verschmelzung englischer Königinnensiegel (spitzovales Münzsiegel ihrer Mutter Eleonore, deswegen auch eine Seite mit dem stehenden Bildnis mit Krone und Lilie) und tolosaner Siegel (thronende Seite, die sie ohne Krone und mit dem Raimundiner Kreuz zeigt) darstellt.
In der Bezugnahme auf ihren verstorbenen Vater Heinrich II. folgt sie einer Praxis ihrer Großmutter Mathilde, die sich in ihren englischen Urkunden auf Heinrich I. berief, um ihren eigenen Herrschaftsanspruch in England zu dokumentieren. Im konkreten Fall wird man hierin einen Ranganspruch und aus diesem auch abgeleiteten politischen Anspruch gegenüber ihrem Bruder Richard I. sehen dürfen, der zugunsten seiner Schwester auf von ihm erhobene Ansprüche auf Toulouse verzichtet hatte. Zwischen ihren Rollen als (ehemalige, aber geweihte) Königin und als Gräfin von Toulouse wird auf den beiden Seiten des Münzsiegels deutlich unterschieden.
Zwischen Rang und Machtanspruch changiert auch das Siegel der Erbtochter Johanna, die nach den Pariser Absprachen von 1229 im Jahr 1241 Alfons, einen Sohn Ludwigs VIII., heiratete. Während dieser in die Tradition der Münzsiegel sowie Bleibullen eintrat und dabei die Lilie der Kapetinger dem Kreuz der Raimundiner und der Burg von Narbonne unterordnete, also sich siegelbildlich als Raimundiner Graf von Toulouse präsentierte, wird das Siegel seiner Frau deutlich abgeändert. Diese führt nun ein spitzovales stehendes Bildnissiegel, das sie mit dem Titel ihres Mannes als Gräfin von Poitiers bezeichnet, wobei ihr zwei französische Lilien und zweimal das Schloss von Narbonne als frei im Siegelfeld schwebende heraldische Zeichen zugeordnet werden. Erst das kleinere Gegensiegel zeigt das Raimundiner Kreuz und nennt sie als Gräfin von Toulouse. Johannas Erbansprüche werden geradezu in den Hintergrund gedrängt, um den Ehemann als direkt legitimiert erscheinen zu lassen. Das Aufeinanderbezogensein weiblicher und männlicher Repräsentation hätte also neben der Einbeziehung von Rangfragen als wesentlicher Aussagekategorie für Siegelbilder und -umschriften noch stärker hervorgehoben werden können.
Dies sind aber nur kleinere Ergänzungsvorschläge zu einer gut lesbaren, detailreichen Studie, die die Siegel der Raimundiner Grafen von Toulouse konsequent als historische Quelle auswertet und dabei nicht nur als bildliche Ergänzung zu den Textquellen versteht. Deutlich wird die Verortung der Siegelführer in einem komplexen Geflecht aus familiären Zusammenhängen, territorialen Bezügen, aber auch religiösen Verflechtungen. Das einzige echte Manko ist die teilweise geringe Qualität der Abbildungen. Beschlossen wird der Band durch eine genealogische Übersicht, eine Tabelle zu den Münzsiegeln und Bleisiegeln der Grafen von Toulouse, ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Register der Personen- und Ortsnamen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Andrea Stieldorf, Rezension von/compte rendu de: Laurent Macé, La majesté et la croix. Les sceaux de la maison des comtes de Toulouse (XIIe–XIIIe siècle), Toulouse (Presses universitaires du Midi) 2019, 389 p., nombr. fig. en coul. et en n/b (Tempus), ISBN 978-2-8107-0588-7, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66341