Der mittelalterliche Kaufmann ist eine der am besten untersuchten Figuren des Mittelalters. Sein Wirken ist Thema zahlreicher Untersuchungen zu Formen mittelalterlicher Wirtschaftspraktiken, zu vormodernem Handel oder zu den Ursprüngen moderner Institutionen. Weniger Aufmerksamkeit wurde hingegen der Rolle der Frau innerhalb der mittelalterlichen Wirtschaft eingeräumt, wenngleich es hier zu beachtlichen Fortschritten innerhalb der Forschung in den letzten drei Jahrzehnten gekommen ist.

Die Studie von Kathryn Reyerson über Martha de Cabanis, eine Frau aus einer reichen Kaufmannsfamilie des mittelalterlichen Montpellier, reiht sich in die Historiografie über die Rolle der Frau als Witwe ein (S. 1). In »Mother and Sons, Inc.« wird die Geschichte der verwitweten Martha beschrieben, die nach dem Tod ihres Mannes Guiraudus 1326 die Vormundschaft für ihre drei unmündigen Söhne (Jacobus, Guiraudus und Johannes) übernimmt und die Familiengeschäfte weiterführt. Die Ereignisse werden über mehr als zwei Jahrzehnte anhand von Primärquellen, die mehrheitlich aus den Registern der Notare Jean Holanie und Guillelmus Nogareti bestehen, geschildert1. Der Fokus liegt dabei immer auf der Rolle von Martha, die erst als Vormund und später als Geschäftspartnerin ihrer Söhne in Erscheinung tritt.

Die Autorin ist eine auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte Montpelliers ausgewiesene Expertin. Seit über 40 Jahren erforscht sie die mittelalterliche Geschichte der Stadt anhand von Notariatsakten. Von ihrer langjährigen Beschäftigung mit dem Thema zeugen zahlreiche Studien. Im Mittelpunkt früherer Arbeiten stand nicht zuletzt die Rolle von Frauen in Montpellier2. Die hier vorgelegte Studie bildet eine Erweiterung ihrer älteren Abhandlungen zu Montpellier. Bereits in ihrer 2001 erschienenen Monografie »Art of the Deal« untersuchte sie die Entourage mittelalterlicher Kaufleute und legte dar, mithilfe welcher Personen (Notare, Verwandte, Broker) Geschäfte zustande gekommen sind3. Dies geschah hauptsächlich anhand der Geschäftsakten der Cabanis-Brüder, deren Mutter Martha nun im Mittelpunkt dieses Buchs steht. Eine Kenntnis der früheren Studie ist für die Lektüre des vorliegenden Werkes nicht notwendig, wenngleich es für den breiteren Kontext hilfreich ist.

In dem Buch geht es um die rechtliche Stellung der Witwe Martha und ihr faktisches Handeln während der Zeit ihrer Vormundschaft für ihre Söhne. Reyerson nennt die Ziele ihres Buches in der Einleitung (S. 7). Sie will erstens das »realisierte Potenzial« von Martha als Witwe und als handelnde Person beschreiben, zweitens der Leserin und dem Leser die Welt einer mittelalterlichen Kaufmannsfamilie aus den 1330er und 1340er Jahren nahebringen und drittens das Leben einer Frau aus einer gehobenen Schicht in einer mittelalterlichen Großstadt veranschaulichen. Dazu bezieht sich die Autorin auf vergleichbare Studien über die Rollen von Frauen und Witwen in europäischen Gesellschaften und fragt danach, wie sehr Recht, politisches System und Ideologie die Rolle der Frau bestimmt haben (S. 1–8).

Demnach war der Handlungsrahmen von Frauen sehr stark von ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihrem Vermögen abhängig. Eine Sonderstellung hatten jedoch Witwen, denen sich nach dem Ableben ihres Ehegatten neue gesetzliche Handlungsräume öffneten. Wie sehr diese von den Frauen ausgefüllt werden konnten, variierte stark. Während einige Forscherinnen wie Marie Kelleher und Judith Bennet ein weitgehend negatives Bild von weiblichen Gestaltungsfreiräumen zeichneten, ist Kathryn Reyerson im Falle der Aktivitäten von Martha de Cabanis optimistischer (S. 148)4.

In insgesamt neun Kapiteln über Montpellier im Mittelalter (Kap. 1), Marthas Familie (Kap. 2), ihre Hochzeit mit Guiraudus und seine Familie (Kap. 3), über Marthas Haus und Besitzungen (Kap. 4), Guiraudus Tod und frühes Witwentum (Kap. 5), rechtliche Schwierigkeiten als Vormund ihrer Kinder (Kap. 6), geschäftliche Aktivitäten als Vormund (Kap. 7), Immobiliengeschäfte (Kap. 8) und schließlich über ihre Rolle als Geschäftspartnerin ihrer Söhne (Kap. 9) zeichnet Reyerson ein detailreiches Bild von Marthas Haushalt. Ihre Ausführungen beschränken sich dabei nicht nur auf die faktische Rekonstruktion von Rechtsgeschäften, sondern sie stellt auch kritische Überlegungen über Marthas Beweggründe an und warum sie sich für oder gegen bestimmte Aktionen entschieden hat – bspw. bei der Wahl von Gesellschaftspartnern für sich oder ihre Söhne (S. 92–95) oder im Falle von Immobiliengeschäften (S. 124–126).

Besonders hervorzuheben ist der methodische Umgang der Autorin mit den Quellen. Einleitend stellt sie fest, dass normative Quellen wie Rechtstexte und Gesetze ein recht negatives Bild davon zeichnen, was Frauen erlaubt war und was nicht (S. 2). Daher stützt sich Reyerson auf Quellen alltäglicher Geschäfte, nämlich Notariatsregister, die in Montpellier in großer Zahl vorhanden sind. Vor allem bei den Notaren Jean Holanie und Guillelmus Nogareti finden sich zahlreiche Geschäfte der Cabanis-Familie aufgezeichnet (S. 155f.). Nun sind Notariatsregister keine einfach handhabbaren Quellen. Auch in Montpellier gibt es immer wieder Lücken in der Überlieferung, und so kommt es, dass zu Martha und ihrer Familie zwar sehr viel Material existiert, aber eben auch ein großer Teil fehlt (S. 94).

Der Autorin gelingt es dennoch, das Geschäftsleben von Martha und ihrer Familie weitgehend zu rekonstruieren. Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen. Die Tatsache, dass Martha häufig alleine Geschäfte tätigte, zeigt, dass sie die volle Verantwortung für ihr wirtschaftliches Handeln trug. Ihren Geschäften wohnten, ebenso wie den Geschäften ihrer Söhne, bestimmte Personen aus ihrem näheren Umkreis als Zeugen bei (S. 91, 117). Dies waren teils Verwandte, teils Geschäftspartner, die in unterschiedlichen Beziehungen zu Martha standen. Ihre Bedeutung erschließt sich erst aus dem Studium der Quellen. Auch Geschäftsreisen können indirekt aus den Quellen abgeleitet werden. So schließt Reyerson aufgrund des Erscheinens bzw. Nicht-Erscheinens von Jacobus Cabanis vor dem Notar auf mögliche Abwesenheiten aus Montpellier und Geschäftsreisen (S. 137). So plausibel diese Argumentationen auch sein mögen, so sind sie doch immer mit einem Konjunktiv versehen.

Die Studie über Martha de Cabanis ist ein wertvoller Beitrag zur Erforschung der Handlungsmöglichkeiten von Witwen im Mittelalter und birgt Überlegungen zu wichtigen Themen wie Rechtsgeschichte, materieller Kultur oder dem europäischen Heiratsmuster. Positiv hervorzuheben sind die hilfreichen Handreichungen wie Glossar, Index, Karten und Abbildungen sowie drei Appendizes zu den Quellen, Namenspraktiken und Geld. Das Buch besticht durch seine präzise Sprache sowie seine mikrohistorischen Untersuchungen über mittelalterliches Wirtschaften. Gerade der vorbildhafte Umgang mit den Notariatsquellen lässt hoffen, dass auch zukünftige Studien aus dem Reichtum der notariellen Überlieferung schöpfen werden.

1 Das Geschäft (hospitium) der Cabanis wird bereits 1301 in der Imbreviatur von Jean Grimaud erwähnt. Archives municipales de Montpellier, BB 2, fol. 38r.
2 Kathryn Reyerson, Women’s Networks in Medieval France. Gender and Community in Montpellier, 1300–1350, Cham 2016.
3 Kathryn Reyerson, The Art of the Deal. Intermediaries of Trade in Medieval Montpellier, Leiden 2001.
4 Judith Bennet, History Matters. Patriarchy and the Challenge of Feminism, Philadelphia 2006; Marie Kelleher, The Measure of Woman: Law and Female Identity in the Medieval Crown of Aragon, Philadelphia 2010.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Stephan Köhler, Rezension von/compte rendu de: Kathryn L. Reyerson, Mother and Sons, Inc. Martha de Cabanis in Medieval Montpellier, Philadelphia (University of Pennsylvania Press) 2018, VIII–256 p., 5 fig., 4 maps (The Middle Ages Series), ISBN 978-0-8122-4961-3, GBP 50,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66347