Die im Freiburger Sonderforschungsbereich »Helden – Heroisierungen – Heroismen. Transformationen und Konjunkturen von der Antike bis zur Moderne« entstandene Arbeit geht mit der neueren Literatur (Philippe Contamine, Maurice Keen) von einer Kritik an der lange Zeit prägenden These vom trägen und innovationsunfähigen spätmittelalterlichen Adel aus, mit der Jan Huizinga vor nun einhundert Jahren das Rittertum als »eine exklusive ästhetische Spielerei höfischer Kreise« im notwendigen Konflikt mit der historischen Umwelt in einer Zeit des Niedergangs und Verfalls abgewertet habe (S. 17). Demgegenüber legt der Verfasser in überzeugender Weise dar, dass den von ihm untersuchten ritterlichen »Helden-Modellierungen« aus Frankreich und Deutschland am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ein nachweisbares Kalkül und wichtige Funktionen bei der Selbstbehauptung gerade des niederen Adels gegenüber der wachsenden Fürstenmacht zukam, wodurch die »Helden weniger Symptome einer Krise denn vielmehr Anzeichen und Ausdruck einer Phase der Anpassung und Neuorientierung waren« (S. 334f.).

Im Zentrum der Freiburger Dissertation von 2016 steht eine »Diskursgeschichte ritterlichen Heldentums«. Zunächst werden einige didaktische und politische Traktate als orientierende Grundlage herangezogen (aus dem französischsprachigen Raum etwa der »Livre de chevalerie« Geoffroy de Charnys, der europaweit modellbildend wurde – aus dem deutschsprachigen der »Ritterspiegel« Johannes Rothes, der in reformorientiertem Impetus statt persönlichem Ehrerwerb den Gemeinen Nutzen als Ziel für einen Ritter ausrief), dann aber vor allem adlige, zum Teil autobiografische Lebenszeugnisse analysiert (Bertrand du Guesclin, Jacques de Lalaing, Georg von Ehingen, Wilwolt von Schaumberg, Pierre de Bayard, Georg von Frundsberg).

Eingerahmt wird dieses materialreiche, mit 140 Seiten umfangreichste Kapitel einerseits von einer einleitenden recht knappen Betrachtung der wirtschaftlichen, sozialen und militärischen Situation des Adels im Spätmittelalter und des vor allem um den ritterlichen Zweikampf und den Begriff der Ehre kreisenden adligen Imaginariums, andererseits von einem zweiten längeren Teil, in dem an drei ausgewählten Beispielen der voraufgegangenen Diskursgeschichte (Guesclin, Lalaing, Frundsberg) die »Entstehungen und Verwendungen« der ritterlichen »Heldenkulte« verfolgt, mithin die Konstruktionen der Modellierungen und Absichten ihrer Urheber sowie deren Rezeption und Wirkungsgeschichte nachgezeichnet werden.

Es ist gerade die Rahmung des diskursgeschichtlichen Teils, die die stringent argumentierende Arbeit methodisch auszeichnet. Sie bleibt nicht bei einer formalen oder inhaltlichen Untersuchung von Texten stehen – deren Genese und Überlieferung auch nur am Rande interessieren –, sondern sie bettet diese in die allgemeinhistorischen Entwicklungen ein und verfolgt insbesondere deren teils weit über den Entstehungszeitraum hinausreichenden widerstreitenden Effekte. So kann der Verfasser etwa in einem Kapitel über »konkurrierende Deutungsansprüche um Begängnis und Grab Bertrands du Guesclin in St-Denis« nachweisen, dass die bisher einseitige Lesart des Helden als Paradebeispiel für die Einordnung des Adels in den Königsdienst zu kurz greift (S. 242–256). Diese Konstruktionen waren vielmehr »sowohl städtisch-lokal als auch in adligen, militärisch-professionellen Gruppen verankert und artikulierten sich teils neben, punktuell auch gegen den königlich-höfischen Zugriff auf die Helden-Memoria«; ähnliches gilt für die Heroisierungen des Ritters vom Tränenbrunnen Jacques de Lalaing, der vom herzoglichen »’Staatshelden’« zum Familienhelden mutierte, wodurch die Memoria »politische Umbrüche und Perioden sozialer Prekarität überstand«; oder des Landsknechtsführers Georg von Frundsberg († 1528), dessen postume Lebensbeschreibung aus der Feder Adam Reißners »die Situation des reichsfreien Niederadels um 1570« in Anlehnung an den Kaiser gegen fürstliche Vereinnahmungsversuche reflektierte (S. 335).

Die Arbeit ist ein gelungenes Beispiel dafür, dass das anwendungsorientierte Aufgreifen theoretischer Konzepte eines Forschungsverbundes bei komplexen Fragestellungen zu überzeugenden Ergebnissen führen kann – wenn dabei die genaue Quellenarbeit nicht zu kurz kommt. Hier werden die Texte grundsätzlich einem »close reading« unterzogen (S. 26), im Falle der Reißnerschen Biografie Frundsbergs die Abhängigkeit von Vorlagen auch in synoptischer Übersicht diskutiert (S. 320–330). Aus einem Teilprojekt heraus wurde ein kritischer Blick auf die schon oft traktierte These vom dekadenten Adel in der Spätzeit des europäischen Mittelalters gerichtet. Heroisierungen, die als vermeintliche Belege für diese offensichtlich zu einfache Deutung der Phänomene gehalten wurden, konnten so in neuer funktionsorientierter Sicht als geeignete Konstruktionen erkannt werden, mittels derer es »Heldenmachern und Verehrergruppen« vor allem im Angesicht einer Neuorganisation des Kriegswesens unter Anwendung von neuen »Techniken, Akteuren und Aktionsweisen« gelang, aus agonalen Traditionen neue Sinnangebote zu generieren (S. 333), d. h. im Angesicht militärischer sowie auch sozialer und ökonomischer Umbrüche »die Vitalität des adligen Standpunktes im historischen Wandel und gegenüber den ausgreifenden Machtansprüchen der Fürsten« und der Monarchie – aber auch gegenüber der Konkurrenz nichtadliger Akteure zu demonstrieren (S. 23f.).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Uwe Israel, Rezension von/compte rendu de: Gero Schreier, Ritterhelden. Rittertum, Autonomie und Fürstendienst in niederadligen Lebenszeugnissen des 14. bis 16. Jahrhunderts, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2019, 393 S. (Mittelalter-Forschungen, 58), ISBN 978-3-7995-4381-1, EUR 52,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66350