Die vorliegende Publikation von Axelle Chassagnette basiert auf einer Dissertation, die im Rahmen des Zentrums für Renaissancestudien an der Universität Tours entstand und dort 2009 verteidigt wurde. Ziel der Arbeit ist es, den Status der Geografie als Disziplin in deutschen Ländern während des sogenannten konfessionellen Zeitalters in den Jahren von 1520 bis 1620 zu untersuchen. Dabei geht die Autorin von der Frage aus, ob geografisches Wissen eine besondere epistemische Formation insbesondere unter dem Einfluss der Reformation erhalten hatte. Genauer interessiert sie sich für die Rolle von protestantischen Geografen im Prozess der Disziplinierung dieses Wissensfeldes und seiner Auswirkung auf die Herausbildung des modernen Staats (S. 28). Sie unterteilt ihre Arbeit dazu in vier Teile, in denen sie die Geografie nach Aspekten der Theoriebildung (I), der Lehre an Universitäten und Schulen (II), der technischen Produktion von Karten (III) und schließlich ihrem Nutzen im Verhältnis zu religiösen und staatlichen Institutionen (IV) untersucht.

Im 16. Jahrhundert berief man sich gerne auf einen Topos, der die Geografie neben der Chronografie als eines der Augen der Geschichte (oculi historiae) darstellte. Spätere Autoren, wie etwa Jean Buache de la Neuville 1772, glaubten die Metapher auf antike Autoren wie z. B. Cicero zurückführen zu können; erwähnt wurde sie jedoch erst bei dem Rostocker Humanisten David Chytraeus, der noch von der Topografie und Chronologie sprach, und erlangte weite Bekanntheit durch das »Theatrum orbis terrarum« von Abraham Ortelius1.

Wie naheliegend es jedoch war, eine Idee des 16. Jahrhunderts auf die Antike zurückzuführen, das zeigt Chassagnette im ersten Teil ihrer Abhandlung, die die diskursive Formation eines »protestantischen« Epistems geografischen Wissens über mehrere Stationen rekonstruiert (S. 23). Sie argumentiert überzeugend, dass die bisherige Forschung die Bedeutung der Geografie in dieser Zeit unterschätzt hatte, wenn darin lediglich eine Hilfswissenschaft der Historia gesehen wurde. Geografisches Wissen war seit der Wiederentdeckung der »Geographia« des Ptolemäus (S. 46f.) und der lateinischen Übersetzung durch Jacopo d’Angelo 1406 ein wichtiger Bestandteil humanistischer Gelehrsamkeit (S. 54).

Die Autorin macht dabei in Absetzung von der mittelalterlichen Tradition der mappa mundi unter Einbezug der Geodäsie neue geografische Diskurse aus, die sich grob in einen der deskriptiven und einen der mathematischen Geografie unterteilen lassen. Diese finden sich nicht nur in den großen Kosmografien, wie jener von Sebastian Münster (S. 56), sondern auch in den enzyklopädischen Ordnungsentwürfen nach 1600 von Johann Heinrich Alsted oder Bartholomäus Keckermann wieder (S. 64).

Gleichwohl weist Chassagnette auf, dass es einen Beruf, Titel oder eine professionelle Identität des Geografen, die eine solche Neuformation des geografischen Wissens im 16. Jahrhundert kennzeichnen könnten, als solches noch nicht gab. Auf Porträts von Persönlichkeiten, die heute als Geografen schlechthin wahrgenommen werden – wie etwa Gerhard Mercator oder Abraham Ortelius – fehlen solche Bezeichnungen (S. 94), was zu der Vermutung Anlass gibt, dass Geografie noch kein »métier en soi« gewesen sei (S. 113), sondern nur eine Tätigkeit von Gelehrten, die hauptberuflich Mathematiker, Ärzte oder Theologen waren. Trotzdem gab es eine Praxis, die sich anhand sozial weniger angesehener Berufe, allerdings auch als Hofchargen, wie Feldmesser, Landmesser oder Markscheider, nachweisen lassen.

Darüber hinaus wurde dieser mathematische Zweig der Geografie durch eine Anknüpfung an die aristotelische Naturphilosophie durch Philipp Melanchthon, Georg Rheticus und Caspar Peucer für das gelehrte Milieu weiter aufgewertet. In Melanchtons Gedicht »De tabulis geographicis« von 1557 sieht er in geografischen Tafeln eine Möglichkeit, die göttliche Ordnung auf Erden zu untersuchen, was die Geografie in den Dienst der Mediation der Providenz stellt (S. 146f.). In Keckermanns »Systema geographicum« (1612) erscheint die Geografie als Instrument, um die göttliche Schöpfung »wie auf einer Karte« darzustellen (S. 163).

Ein kleiner Exkurs über den Jesuiten Antonio Possevino legt dann kurz dar, dass es sich nicht um eine speziell protestantische Eigenart handelt, der Geografie einen solchen Platz in der religiös fundierten Wissensordnung zuzuweisen, sondern dass der Gedanke durchaus überkonfessionelle Reichweite besaß (S. 168f.).

Chassagnette wendet sich dann im zweiten Teil der spannenden Frage zu, ob Geografie, wenn nicht im gelehrten Diskurs, so doch aber in der Lehre an Universitäten und Schulen einen Platz als eigenständige Disziplin fand. Um die Antwort vorwegzunehmen: Es finden sich auch für diese Vermutung recht wenige Belege. Trotzdem wertet die Autorin eine Reihe von Traktaten aus, in denen Geografie gleichsam als Subdisziplin der Mathematik einen wichtigen Platz in den pädagogischen Systemen des 16. Jahrhunderts einnahm. Modell für die didaktische Neukonzeption der Universitätslehre war die Leucorea in Wittenberg.

Hier führte Melanchthon, so legt die Autorin dar, die Geografie schrittweise ein, wobei Quellen mit geografisch genauen Informationen, wie etwa bei Peucer in »De dimensione terrae« eingefordert, das Wissensfeld als Teil der mathematischen Wissenschaften etablierten (S. 194). Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch an anderen Universitäten im protestantischen Deutschland nachweisen, die weitgehend dem Modell Wittenbergs folgten. In Tübingen, Altdorf, Helmstedt und Strasbourg veröffentlichten Professoren Traktate und Lehrbücher über Geografie. Nur an der Academia Iulia in Helmstedt erwähnten die Statuten die Geografie auch als Unterrichtsstoff, wenngleich nicht als eigenes Fach im Curriculum (S. 229f.). Noch weniger Evidenz für eine Disziplinierung geografischen Wissens im 16. Jahrhundert findet sich in den Quellen der Visitationen, Schulordnungen und Lehrplänen der protestantischen Schulen. Lediglich Lehrbücher von Johannes Honter und Michael Neander geben Hinweise darauf, dass Geografie durchaus im Bewusstsein der Lehrkräfte vorhanden war.

Auch hier führt die Autorin in einem kurzen Kapitel aus, dass es sich bei diesen Befunden um keine konfessionell zu differenzierende Phänomenologie handeln kann. Denn ein sehr ähnliches Bild bietet sich in den Quellen zu katholischen Lehrorten in Wien, Köln, Ingolstadt, wo immerhin mit Conrad Celtis und Philipp Apian zwei eminente Geografen des 16. Jahrhunderts lehrten, sowie in Dillingen und Würzburg dar. Für Mainz findet sich sogar ein bemerkenswerter Studienplan, der auf 26 Seiten die Geografie im Unterricht als Wissensfeld eigenständig darlegt (S. 287).

Der dritte, mit etwa 80 Seiten kürzeste Teil, widmet sich dann der Produktion geografischen Wissens selbst. Chassagnette stellt hier recht isoliert von den anderen Teilen die Frage, wie geografische Beschreibungen, insbesondere Karten, überhaupt gemacht wurden. Das Ergebnis dieses Exkurses über Zeichner, Kolorierer, Stecher und Drucker ist im Wesentlichen die paradoxe Feststellung, dass Kartenproduktion zwar als eine solitäre Tätigkeit im Humanisten-Milieu erscheint, dabei aber auf die Kollaboration mehrerer Berufe angewiesen war (S. 336).

Sie unterscheidet verschiedene Genres, in denen geografisches Wissen auftaucht, wobei einmal mehr die Nähe zur Historiografie auffällig ist. Geografie taucht in Werken auf, die als Chorografien oder als Chroniken betitelt sind (S. 337). Sie belegen, dass die theoretische Forderung der Nähe zwischen Geografie und Historiografie, etwa im Sinne von Bodins geographistorici, auch in der Praxis ihre Entsprechung fand (S. 341). Im abschließenden Kapitel geht Chassagnette dann auf drei Geografen bzw. Landmesser ein, die im Dienst von Fürsten Vermessungen von Territorien vornahmen und so die sozial-politische Einbindung dieser geografischen bzw. chorografischen Praxis in den Förderungskontext der Fürsten und Stadträte darlegen (S. 394).

Das Kapitel führt in den Teil über, der sich genau dieser Frage nach dem Gebrauch der Geografie in dieser Zeit widmet. Hier finden sich die vielleicht originellsten Detailstudien des Buches, die mitunter auch überraschende Ergebnisse der Untersuchung zu Tage fördern. Zunächst kehrt die Autorin zu dem im ersten Teil schon behandelten humanistischen Großprojekt des 16. Jahrhunderts, der Germania illustrata, zurück (S. 397). Sie verfolgt die Frage, welchen Beitrag Geografen und Kartografen zur territorialen Erfassung eines protonationalen Gebiets, das sie hier als »Reich, Germania, Deutschland« (S. 410) bezeichnet, geleistet haben.

Spannend ist festzustellen, dass es nicht nur das Projekt des Conrad Celtis gab, ein positiv konnotiertes und modernes Bild der von Tacitus beschriebenen Germania zu schaffen. Auch der in Diensten des Herzogs Johann Albrecht I. von Mecklenburg stehende Geometer Tilemann Stella entwarf in seiner »Methodus, quae in chorographica et historica totius Germaniae Descriptione observabitur« von 1566 ein Porträt von Deutschland, das in seiner politischen Organisation kein konfessionell gespaltenes Gebilde, sondern durchaus ein gemeinsames Reichsprojekt darstellt (S. 408). Andere territoriale Erfassungen des Reichs auf Karten zeigen weniger die tatsächlichen Grenzen des Reichs – das sollte erst in späterer Zeit üblich werden –, sondern besitzen eher eine institutionelle, dynastische und genealogische Funktion (S. 424). Die osmanische Bedrohung in dieser Zeit rückt die geostrategische Bedeutung Ungarns ins Zentrum der politischen Aufmerksamkeit, was sich in einer Reihe von Kartenwerken auch in der geografischen Wissensformation bemerkbar macht. Karten der kaiserlichen Kartografen Wolfgang Lazius (1552), Tilemann Stella (1600) und des in Diensten des Landgrafen von Hessen-Kassel stehenden Wilhelm Dilich (1600) weisen Ungarn die Bedeutung als Frontstaat des Reichs zu (S. 437).

Andere regionale Landeserfassungen heben lokale Besonderheiten hervor, wie etwa die Chorografie der Oberlausitz von Bartholomäus Scultetus (1593), die die linguistischen Grenzen zur sorbischen Minderheit auf seiner Karte verzeichnet (S. 446). In der Karte der Grafschaft Mansfeld von Johannes Mellinger (1571) erkennt Chassagnette einen Ausdruck einer spezifisch »lutherischen Geografie«, die die Neuordnung des Territoriums nach konfessionellen Gesichtspunkten beabsichtige (S. 451f.). Zum Ende setzt sich die Autorin dann mit der »Geographia sacra«, der kartografische Darstellung des heiligen Landes im historischen Palästina auseinander. Auch hier erkennt sie zwar protestantische Akteure als Initiatoren dieser theologischen Anwendung der »mathematischen« Geografie, doch weist sie ihnen kein Monopol zu (S. 486).

So bleibt dem Kapitel mit den Schlussfolgerungen eigentlich nur, die zwei Leitfragen der Studie, ob die Geografie im Untersuchungszeitraum eine Disziplin wurde und ob diese im besonderen Zeichen der Reformation stand, mit einem eher negativen Befund zu beantworten. Es spricht zwar einiges dafür, das geografisches Wissen eine wichtige Rolle spielte und auch Akteure sich bewusst für seine Relevanz zeigten. Doch fehlen konkrete Indikatoren, wie Berufe, Titel und schlicht das spezifische Vokabular, um von einer Herausbildung einer neuen Wissenschaft sprechen zu können. Dasselbe gilt auch für die Frage nach der protestantischen Besonderheit des geografischen Wissens.

Die kurzen Exkurse zum Ende des ersten und des zweiten Teils zeigten bereits, wie auch Altgläubige sich der Funktionen, die geografisches Wissen bereitstellte, bedient haben. Man kann indes durchaus darauf bestehen, dass die Wittenberger Reformen, angestoßen vom Praeceptor Germaniae, der Geografie eine besondere epistemische Form verliehen haben, die, so Chassagnette, bis zu den lutherischen »Gründern« der Geografie, Philipp Clüver (»Introductionis in universam Geographiam«, 1624) und Bernard Varenius (»Geographia generalis«, 1650), fortgewirkt hat (S. 515).

Allerdings verhindert das chronologische Ende des Untersuchungszeitraums eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Kontinuitätslinie. Diese Darlegung war aber auch nicht Aufgabe dieser Arbeit, die eben die dem 16. Jahrhundert eigene Dynamik des geografischen Wissens im Zusammenspiel mit konfessioneller Pluralisierung, territorialer Staatsbildung und der Herausbildung von akademischen Institutionen zu erfassen anstrebt.

Dieses Vorhaben wird vollständig und mit einer überaus reichen und dichten Kenntnis der Epoche eingelöst. Die Geschichte der Geografie als Disziplin wird damit um ein bislang kaum beachtetes Kapitel erweitert. Die Behauptung, dass die Geografie lediglich das helfende Auge der Geschichte gewesen sei, darf die Leserin bzw. den Leser nach der Lektüre dieser Studie nur noch zum Teil überzeugen. Stattdessen ist der Autorin zuzustimmen, dass die Kategorie des Raumes und der des geografischen Wissens eine deutliche Spur im protestantischen Deutschland zurückgelassen hat, die sich als überaus folgenreich auf die Geschichte der nachfolgenden Jahrhunderte im Zeichen der europäischen Expansion erweisen sollte.

1 David Chytraeus, De Ratione discendi, et ordine studiorum in singulis artibus recte instituendo, Wittenberg 1564, S. L2r; J. N. Buache de Neuville d‘Houry, Géographie élémentaire moderne et ancienne, Paris 1772, Bd. 1, S. VII; Abraham Ortelius, Theatrum orbis terrarum, Antwerpen 1603, S. C1v.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Benjamin Steiner, Rezension von/compte rendu de: Axelle Chassagnette, Savoir géographique et cartografie dans l’espace germanique protestant (1520–1620), Genève (Librairie Droz) 2018, 624 p. (Travaux d’Humanisme et Renaissance, 583), ISBN 978-2-600-04768-5, CHF 105,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66364