Festivals, Straßenumzüge, Public Viewing: Die Nutzung des Stadtraums als öffentlicher Ort, als Ort der Selbstinszenierung ist im beginnenden 21. Jahrhundert allgegenwärtig. Umso relevanter ist es, sich der historischen Traditionen der Wahrnehmung und Nutzung des städtischen Raums zur performativen Theatralisierung zu vergewissern. Notwendigerweise muss dies in interdisziplinärer Perspektive geschehen, durch einen Dialog zwischen Historikern und Historikern/Innen, Soziologen/Innen, Theaterwissenschaftlern/Innen und Architekten/Innnen. Der hier zu rezensierende Band stammt aus einem interdisziplinären Trio, unter dem neben der Soziologie und Geschichtswissenschaften auch die Cultural Studies vertreten waren. Lobenswert ist auch der dezidiert europäische Zugriff der Analyse, der sich in der Wahl der Fallbeispiele Rom, Paris und London ausdrückt.

In einer umfangreichen, verweisgesättigten Einleitung konstatieren die Herausgeber, dass Räume als Texte und Medien von Herrschaft zu lesen seien. Herrschaftssysteme würden sich die atmosphärischen Qualitäten von Orten zunutze machen, um ein Identitätsgefühl zu stiften, das wiederum ordnungserhaltend sei (S. 15). Damit formulieren sie zwei Vorannahmen, die dann auch die weiteren Exemplifizierungen strukturieren: Erstens gehen sie davon aus, dass es in der von ihnen untersuchen Epoche der Frühen Neuzeit eine regulär und ausschließlich top down verlaufende Kommunikation von Herrschaft gab. Zweitens postulieren sie »Atmosphäre« als eine ontologische Gegebenheit. Sie verschließen damit die Möglichkeit, darüber nachzudenken, welche kulturellen Differenzen zwischen heutigen und früheren Nutzern städtischer Plätze eigentlich existieren konnten.

Die erste Vorannahme führt dazu, dass alle drei Fallbeispiele weitgehend ohne eine Betrachtung der städtischen Bevölkerung als dem Publikum auskommen können, vor denen sich das Spektakel der Herrschaftsinszenierung abspielte. Damit blenden die Autoren souverän grundlegend wichtige Forschungen zum Zusammenhang zwischen Macht, Herrschaft und Raum aus, die gerade auf das kommunikative Wechselspiel zwischen Raum, unterschiedlichen Akteuren und Performanz abzielen. Daraus ergeben sich markante Schieflagen in der Interpretation einzelner Stadtgesellschaften.

Wer die Studien zum frühneuzeitlichen Rom und dem Papsthof als prägender Institution studiert hat, weiß, wie sehr das frühneuzeitliche Rom dank häufiger Herrscherwechsel zu einem Laboratorium sozialen Aufstiegs wurde, was sich nicht zuletzt auch in den baulichen Aktivitäten der jeweiligen Eliten ausdrückte. Wie sich hierzu das im Fazit geäußerte Diktum verhält, dass in Rom »die Päpste uneingeschränkt herrschten« (S. 375), bleibt rätselhaft. Vergleichbar kritisch ist die Einordnung der Repräsentation Ludwigs XIV. als »absolutistischer Prachtentfaltung« (S. 158) zu sehen: Wie Peter Burke herausgearbeitet hat, ist die öffentliche Darstellung Ludwigs XIV. auf den Pariser Plätzen in einen unmittelbaren Zusammenhang damit zu sehen, dass es dem König immer weniger gelang, Herrschaftsanspruch und physische Erscheinung vor einer kritischen Stadtbevölkerung in Einklang zu bringen.

Insgesamt stellen sich beim Lesen des Bandes immer grundlegendere Fragen zu einem methodischen Problem, nämlich der Interpretation öffentlicher städtischer Architektur ohne ein Hinzuziehen von Quellen, die die performative Nutzung deutlich machen. Einzige Ausnahme bleibt der Beitrag zu London, in dem allerdings die Interpretation der überlieferten Zeremonien aber auch nur zart angedeutet mit der ansonsten recht umfassend referierten sozialgeschichtlichen Entwicklung der Stadt verbunden wird (S. 365).

Eine aufschlussreiche These, die aber im Band nicht weiter ausgeführt wird, besteht in der zutreffenden Beobachtung, dass die Bautätigkeit in den Metropolen des 17. Jahrhunderts die Stadtentwicklung bis zum 20. Jahrhundert maßgeblich beeinflusst hat, die jeweiligen Plätze damit zu Nuklei städtischen Wachstums wurden. Dies wiederum hätte sinnvoll mit der Frage der Steuerung von Stadtentwicklung und den daran beteiligten Protagonisten verknüpft werden können, was aber notwendigerweise über den Horizont eines eher undeutlich bleibenden »Herrschaftssystems« hinaus geführt hätte.

Bedauerlich ist auch, dass nicht so recht erkennbar wird, worin die Begründung für die hier ausgewählten Fallbeispiele liegt: Venedig, Amsterdam aber auch Städte wie Hamburg und Bremen verfügten über eine ausgeprägte städtische Festkultur und hätten damit auch die Möglichkeit geboten, sich von der im Band immer wieder implizit und explizit ausgesprochenen Vorannahme einer europäischen absolutistischen Monarchie zu verabschieden. Richtig stringent erscheint außerdem nicht, dass nicht in Betracht gezogen wird, dass die jeweils an der Stadtplanung und den architektonischen Entwürfen Beteiligten ihre Erzeugnisse und Ideen europaweit wechselseitig über politische und konfessionelle Grenzen hinweg wahrnahmen. Last but not least erscheint in einer Publikation aus dem Jahre 2016 erklärungsbedürftig, dass nicht ein einziges Wort über die globale Dimension städtischer Plätze erläutert wird, die ja in London und Paris im 18. Jahrhundert eine gewisse Relevanz erhielt.

Insgesamt bleibt daher fraglich, worin der eigentliche wissenschaftliche Ertrag des Bandes besteht. In jedem Fall ist es den Autoren gelungen, umfassend und konzise zuspitzend bereits existierende Literatur zur Architekturgeschichte zu sichten und zusammenzutragen, so dass der Band künftigen Leserinnen und Lesern zu mindestens dann hilfreich sein könnte, wenn sie Quellen und Forschungsliteratur zu bekannten Pariser, Londoner oder römischen Plätzen suchen. In seiner Nutzbarkeit als architekturhistorischer Abriss wird der Band allerdings durch die durchweg mangelhafte Qualität der Abbildungen so geschmälert, dass er eigentlich nur dann richtig zur Geltung kommt, wenn man ihn vor Ort nutzt, als Cicerone für Leserinnen und Leser auf der Suche nach vergangenen »Atmosphären«.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ruth Schilling, Rezension von/compte rendu de: Werner Hennings, Uwe Horst, Jürgen Kramer, Die Stadt als Bühne. Macht und Herrschaft im öffentlichen Raum von Rom, Paris und London im 17. Jahrhundert, Bielefeld (transcript) 2015, 421 S. (Edition Kulturwissenschaft, 63), ISBN 978-3-8376-2951-4, EUR 39,99., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66373