Während sowohl die Königinnen des Ancien Régime wie auch einige ausgewählte Frauen aus dem engeren Machtkreis um den König schon länger im Fokus der historischen Forschung stehen, existieren erst vereinzelte systematische Studien zum erweiterten Kreis weiblicher Bediensteter am französischen Königshof. Der vorliegende, von zwei ausgewiesenen Kennerinnen herausgegebene Band setzt bei diesem Befund an und widmet sich einer breiten Palette von Chargen und Rollen, die Frauen am Hof übernahmen. Dabei zeigt er überzeugend, dass gerade ein Blick auf die unteren, von nicht- oder kleinadligen Frauen ausgefüllten Positionen neue Einblicke in die Funktionsweise des Hofes gewähren kann. Mit seinem weiten Betrachtungshorizont von ca. 1400 bis ca. 1820 lädt der Band außerdem zum Nachdenken über den Wandel der von Frauen eingenommenen Positionen am französischen Hof ein.
Zurückgehend auf ein Kolloquium der Vereinigung Cour de France.fr im Jahr 2015, versammelt der Band 13 französische und drei englische Beiträge. Sie sind in fünf thematischen Teilen angeordnet, welche in mehreren Fällen gleichzeitig auch einen epochalen Schwerpunkt bilden. Der erste Teil widmet sich dem institutionellen Rahmen weiblicher Präsenz am Hof: den maisons féminines. Die vier Beiträge heben hervor, dass die cour des Dames von Zeitgenossen als ein zentrales Element höfischen Glanzes wahrgenommen wurde, welches aber, wie Caroline zum Kolk in ihrem Beitrag zu dessen Entstehung zeigt, erst ab Ende des 14. Jahrhunderts vom hôtel des Königs getrennt war.
Mehrere Autorinnen – so etwa Aubrée David-Chapy in ihrer Studie zu Anne de France und Louise de Savoie und Fanny Giraudier in ihrem Beitrag zu Catherine de Bourbon – betonen, dass Frauen am Königshof des 16. Jahrhunderts mit der Rolle der Friedensstifterin verbunden wurden. Weniger präsent – eventuell aufgrund des Fehlens eines Beitrags zum 17. und 18. Jahrhundert? – ist in den Aufsätzen der Topos weiblicher Intrigen. Dass das Bild höfischer Frauen als Mediatorinnen, Beraterinnen und Virtuosinnen der Kommunikation um eher negativ besetzte Wahrnehmungen ergänzt werden könnte, zeigen allerdings die von Charles-Éloi Vial in seinem Beitrag zur maison der Kaiserin Marie‑Louise zitierten Aufzeichnungen Napoleons. Dieser bereute auf St. Helena, sich nicht öfters bei den Damen aufgehalten zu haben, denn: »C’eût été le meilleur espionnage« (S. 87).
Der zweite Teil widmet sich niederen Chargen am französischen Königshof. Die vorwiegend auf das 17. und 18. fokussierten Beiträge stellen den Leserinnen und Lesern die Chargen der première femme de chambre de la reine (Oliver Mallick), der demoiselles de la musique du roi (Youri Carbonnier) und der nourrice des enfants de France (Pascale Mormiche) vor. Diese wurden allesamt von bürgerlichen Frauen ausgefüllt, welche in manchen Fällen bei Eintritt in den Dienst einen niederen Adelstitel erhielten. Die Beiträge zeigen, dass auch die Inhaberinnen dieser Chargen ihre Karrieren am Hof zielstrebig verfolgten und sie überdies als ein Familiengeschäft betrachteten.
Viele von ihnen konnten durch ihre Präsenz am Hof einen beachtlichen sozialen Aufstieg realisieren. Als herausgehobene, in vielen Beiträgen wiederkehrende Position fällt dabei jene der Amme der Fürstenkinder auf. Diese Frauen, welche nicht durch eine besondere berufliche Qualifikation, sondern durch eine »situation conjoncturelle« (S. 144) in ihr Amt kamen, finden sich in manchen Fällen später im Amt der première femme de chambre de la reine wieder. Auch erhielten sie, wie Benoît Carré in seinem Beitrag über königliche Gunsterweise zeigt, zusammen mit den gouvernantes des enfants de France die höchsten Beträge aus der königlichen Schatulle.
Die zwei nächsten Teile des Bandes nähern sich den Rollen von Frauen vermittels einer Betrachtung räumlicher Arrangements. Im Teil III stehen spezielle höfische Räume im Fokus. Elisabeth Narkin widmet sich dem Kinderzimmer am Hof von Henri IV und zeigt, wie die Nähe zum dynastischen Nachwuchs sowie die zu dieser Zeit noch wenig restriktiven Zugangsregelungen zu den Appartements der Mitglieder der Königsfamilie Frauen unterschiedlichen Standes die Möglichkeit gab, ihre Beziehung zur Dynastie zu vertiefen.
Pauline Ferrier-Viaud zeigt in ihrer Analyse die Wichtigkeit der appartements des ministres in Versailles als höfische Interaktionsräume. Die Autorin verweist auf die zentrale Rolle der Minister-Ehefrauen als Gastgeberinnen in diesen Räumen, können diese doch, so Ferrier-Viaud, als »vecteur[s] d’intégration du couple à la société de cour« verstanden werden (S. 212). Im vierten Teil verschiebt sich der Fokus weg vom Hof in die Peripherie. Drei Beiträge zum 15. und 16. Jahrhundert beleuchten die Rolle von hochadligen Frauen als Bindeglied zwischen dem Königshof und den Hochadelsfamilien in den Provinzen. Sowohl Daniela Cereia in ihrem Beitrag zu Marguerite de Bourbon (1438–1483), einer direkten Nachfahrin von Louis IX, wie auch Kathleen Wilson-Chevalier in ihrem Beitrag zu Jeanne de France, duchesse de Bourbon (1438–1482), einer Tochter von Charles VII, verweisen auf die engen Beziehungen hochadliger Frauen zum Königshaus sowie auf die mit Bedacht gestaltete Inszenierung dieser Nähe. Brian Sandberg beleuchtet seinerseits die aktive politische Rolle der Madeleine de Savoie, duchesse de Montmorency (1510–1585), während der Religionskriege.
Der letzte Teil des Bandes versammelt schließlich drei Beiträge zu einer ambivalenten höfischen Rolle: jene der Mätressen. Die Studien zeigen, dass das nach zeitgenössischen moralischen Standards irreguläre Mätressenwesen am französischen Hof durchaus sozialen Regeln unterlag. So galt nach Pascal Firges in der höfischen Gesellschaft die eheliche Untreue adliger Frauen unter bestimmten Voraussetzungen – etwa der Fortsetzung der ehelichen Kooperation, der Vermeidung von Liaisons mit Männern aus tieferen Statusgruppen und der Zurschaustellung eines gewissen Desinteresses des Ehemanns an der Ehefrau und deren Eskapaden – durchaus als akzeptabel.
Von Seiten des Königs gab es außerdem gemäß Flavie Leroux klare Signale, welche dem Hof zu verstehen gaben, wie seine Beziehung zu den Frauen, mit denen er außereheliche Kontakte pflegte, zu deuten war. In der Erinnerungskultur überwiegen freilich negative, moralisierende Bilder von Mätressen. Wie sich diese auf zum Teil sehr schmaler Quellenbasis zu ausgeschmückten Erzählungen auswachsen konnten, zeigt der abschließende Beitrag von Véronique Garrigues zu Françoise de Foix, Mätresse von François Ier, beispielhaft.
Sowohl in der Einleitung (Caroline zum Kolk und Kathleen Wilson-Chevalier) wie auch im Nachwort (Caroline zum Kolk) betonen die Herausgeberinnen des Bandes die starke Präsenz und beachtliche Handlungsmacht von Frauen am französischen Hof und kontrastieren diese mit der Position von Frauen etwa im Alten Reich. Auch wenn die in der Einleitung beschworene »liberté de parole et d’action« der Frauen am Hof (S. 11) nach sozialem Stand differenziert werden muss, zeigen die Beiträge zum Band doch deutlich, dass der französische Königshof Frauen von unterschiedlichster Herkunft – von der Hochadligen bis zur Bürgerlichen – Möglichkeiten zur Statusakkumulation bot. Für hochadlige Frauen ist dies kein neuer Befund. Ein besonderes Verdienst des Bandes ist es aber, dies auch für weniger privilegierte Statusgruppen zu zeigen, leuchtet dieser Fokus doch neue Facetten des Hofes als großes Spielfeld sozialen Auf- und Abstiegs aus.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Nadine Amsler, Rezension von/compte rendu de: Caroline zum Kolk, Kathleen Wilson-Chevalier (dir.), Femmes à la cour de France. Charges et fonctions (XVe–XIXe siècle), Villeneuve-d’Ascq (Presses universitaires du Septentrion) 2018, 404 p., 18 ill. (Histoire et civilisations), ISBN 978-2-7574-2361-5, EUR 32,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66379