Welche Rolle spielte das Französische in der Expansionspolitik des napoleonischen Frankreich und wie reagierten Bevölkerung und lokale Eliten in den nicht französischsprachigen Gebieten auf die sprachlichen Zentralisierungsbestrebungen des Kaiserreichs? Stewart McCain untersucht in seiner an der Universität Oxford verfassten Dissertation den Umgang mit Frankreichs Vielsprachigkeit im Spannungsfeld zwischen Zentrum und Peripherie, frankophonem Staat und allophoner Population. Er geht von der These aus, dass die Französisierung der annektierten Gebiete dezidiertes politisches Ziel des Regimes und Bestandteil des napoleonischen Imperialismus gewesen sei und spricht demgemäß von »linguistic imperialism« und »Napoleonic language policy«.

In seiner quellenbasierten Studie geht er dabei besonders der Frage nach, welche Aushandlungs- und Anpassungsstrategien in den betroffenen Territorien angewandt wurden, um zwischen politischen Vorgaben und sprachlicher Realität vor Ort zu vermitteln. Der Fokus liegt dabei auf den italienisch-, deutsch- und niederländischsprachigen Territorien des Grand Empire, die nicht französischsprachigen Gebiete des alten Frankreich erfahren etwas weniger Beachtung. Unterteilt ist die Arbeit in sieben Kapitel, die nach der thematischen Einführung zunächst das Verhältnis von Staat und Administration zur Sprachenvielfalt Frankreichs (Kap. 2–3) und sodann konkrete Sprachpraktiken und Einstellungen der Akteure in wichtigen gesellschaftlichen Institutionen beleuchten: Schulsystem (Kap. 4), Militär (Kap. 5), Justizwesen (Kap. 6) und Kirche (Kap. 7).

Die Positionierung des Zentralstaats gegenüber den lokalen Sprachen und Dialekten untersucht McCain anhand der Regionalstatistiken der napoleonischen Präfekten und der ministeriellen Sprachenerhebung durch Charles-Étienne Coquebert de Montbret. Demnach sei der von der französischen Norm abweichende Sprachgebrauch als politisch und sozial markiert wahrgenommen worden, Regionalsprachen, Dialekte und Patois galten als rückständig und eine vom Staat betriebene Französisierungspolitik daher als legitimes Eingreifen im Interesse der Modernisierung der Gesellschaft. Kapitel 3 lenkt dann den Blick weg vom Zentrum hin zu den Regionen, wofür der Autor v. a. aus den Antwortschreiben aus der »Enquête Coquebert de Montbret« zitiert, um etwa die Bedeutung von Sprache als Marker regionaler Unterschiede und als Zeichen der Verbundenheit mit der eigenen lokalen Gemeinschaft zu veranschaulichen. Insgesamt basieren die Ausführungen mehr als in den nachfolgenden Kapiteln auf der existierenden älteren Literatur, die sich jedoch mehrheitlich mit der Revolutionspolitik befasst und vom Autor etwas wenig differenziert für seine eigene Fragestellung herangezogen wird.

Im Kapitel zum Schulsystem wird zunächst ein wichtiger Unterschied zur jakobinischen Erziehungspolitik deutlich: Die staatlichen Maßnahmen richteten sich nicht länger auf das Primärschulwesen, dessen Finanzierung sogar gestrichen wurde, sondern auf die Sekundarschulen und d.h. insbesondere die 1802 begründeten lycées. Diese dienten der Ausbildung einer administrativen und militärischen Elite und sollten auch in den annektierten Territorien Französisch lehren. McCain sieht darin ein Werkzeug des Kulturimperialismus, mit dem langfristig der frankophone Staat in den neuen Gebieten verankert werden sollte. Er zeigt aber auch die Widerstände und Anpassungsstrategien auf, die eine Durchsetzung dieses Ziels verzögerten oder abschwächten, so dass die tatsächlichen Unterrichtspraktiken die sprachlichen und kulturellen Unterschiede berücksichtigten. Seiner Schlussfolgerung, dass das Schulwesen unter Napoleon als Instrument zur sprachlichen Vereinheitlichung der Bevölkerung diente, ist also nur bedingt zuzustimmen, erfassten die Sekundarschulen doch nur eine soziale Elite, die das Rückgrat der napoleonischen Herrschaft in den annektierten Territorien stellen sollte und damit vielmehr der Herrschaftssicherung denn der allgemeinen Sprachvereinheitlichung diente.

Im Militärwesen war die sprachliche Diversität während des Ancien Régime toleriert und wurde erst mit der Revolution politisch verdächtig. Den napoleonischen Beamten galt die Armee als ein Instrument, mit dem lokale Bindungen überwunden und die Soldaten in die nationale und sprachliche Gemeinschaft integriert werden konnten. Inwieweit dies tatsächlich zutraf, wird unter Historikern und Historikerinnen vielfach diskutiert. McCain arbeitet anhand konkreter Beispiele überzeugend heraus, wie sehr das napoleonische Regime in Wirklichkeit der sprachlichen Vielfalt in der Armee entgegenkam, wenn etwa in manchen Regimentern Deutsch oder Italienisch als Kommandosprache unumgänglich war oder weil Rekruten seltener desertierten, wenn sie Einheiten mit gleichsprachigen Soldaten zugeteilt wurden. Betont wird der resolut mehrsprachige Charakter der Grande Armée. Französischkenntnisse waren zwar für eine Karriere unabdinglich, Mehrsprachigkeit zählte aber zu den Merkmalen eines guten Offiziers und Fremdsprachenkenntnisse konnten sich für einfache Soldaten als überlebenswichtig erweisen.

Das Kapitel zu Sprache und Recht wirft einen detaillierten Blick auf die stark variierende Sprachpraxis in den verschiedenen Instanzen des Justizwesens sowie auf die Rolle der Amtsträger und verschiedener Helfer. Die Durchsetzung des französischen Rechtssystems in den annektierten Gebieten war ein zentrales Element des napoleonischen Imperialismus und ging einher mit einer Regulierung der Sprachverwendung. Diese galt jedoch in erster Linie für den schriftlichen Sprachgebrauch und war keine Erfindung des napoleonischen Regimes, denn bereits vor der Revolution war das Rechtssystem offiziell einsprachig französisch gewesen.

Vielschichtiger gestaltete sich der mündliche Sprachgebrauch, weil hier die Repräsentanten des Justizwesens und damit des Zentralstaats unmittelbar mit der einfachen Bevölkerung interagierten und ein großes Maß an Flexibilität und Kompromissfähigkeit an den Tag legen mussten. McCain zeigt dies anschaulich an Beispielen der Notare, der Amtsdiener in den Friedensgerichten, der Übersetzer und der Dolmetscher in Gerichtsverfahren, welche allesamt als wichtige kulturelle und sprachliche Mittler zwischen den frankophonen Institutionen des Staates und den lokalen Bevölkerungsgruppen fungierten. Dies betraf sowohl Gebiete im alten Frankreich als auch die neu integrierten Territorien. In letzteren war die sprachliche Distanz zwischen der Bevölkerung und dem frankophonen Justizapparat in der Praxis mitunter so schwer überbrückbar, dass Aufschübe bei der sprachlichen Neuausrichtung gewährt wurden (so in Ligurien) oder gar ein bilinguales Regime angedacht war, wie in der Toskana, Holland oder den Hanseatischen Departements.

Im Bereich der Religionsausübung ist die Sprachenfrage laut McCain nicht allein mit Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat zu deuten. Die Vorstellung von einer traditionell den Regionalidiomen verbundenen (katholischen) Kirche in Opposition zum säkularen Zentralstaat trifft erst im späteren 19. Jahrhundert zu. Um 1800 konnten Geistliche ihren Auftrag in den Gemeinden nur erfüllen, wenn sie die lokale Sprache verstanden und sprachen. Gleichwohl begriff der aufgeklärte Katholizismus des ausgehenden 18. Jahrhunderts seine Mission durchaus als Wirken zur Verbesserung der Gesellschaft, wozu die Französisierung der Bevölkerung beitragen sollte. Innerhalb der Kirche variierte der Sprachgebrauch und spiegelte die soziale Situation der Gläubigen einerseits und der Kleriker andererseits wider. So herrschte in den Städten die Verwendung des Französischen vor, auf dem Land die der jeweiligen vernakulären Sprache. Gemeindegeistliche beherrschten und bedienten sich der Dialekte und Regionalsprachen, während das Episkopat fast ausschließlich frankophon war. Der Staat übte zwar begrenzt Druck auf den Klerus aus, um das Französische als Sprache der Religionsausübung durchzusetzen, stieß damit aber auf den Widerstand der Bischöfe – so etwa im deutschsprachigen Metz und im italienischsprachigen Nizza. In den peripheren Reichsgebieten blieb der Einfluss des Zentralstaats auf die Sprachpraktiken des Klerus marginal.

Insgesamt liegt die Stärke der vorliegenden Arbeit in der detaillierten und ausgewogenen Analyse der unterschiedlichen sprachlichen Anpassungs- und Aushandlungsmechanismen, mit denen die untersuchten sozialen Gruppen auf die Anforderungen des Zentralstaats reagierten. Der Autor spricht in diesem Zusammenhang von »cultural brokers« und erfasst damit zutreffend die Rolle der bilingualen oder polyglotten Eliten in der asymmetrischen Sprach- und Kulturkontaktsituation, die durch die Expansion Frankreichs und des Französischen entstanden war. Weniger überzeugt am Ende der Lektüre die Schlussfolgerung, dass die Sprachvereinheitlichung im Sinne einer Französisierung aller Bevölkerungsteile eine klare Priorität des napoleonischen Regimes gewesen sei, wie der Autor zusammenfassend hervorhebt (vgl. S. 273).

Hierfür fehlt nach Ansicht des Rezensenten eine ausführlichere Untersuchung des politischen Diskurses und der konkreten Maßnahmen, die die Sprachpolitik Frankreichs unter Napoleon – auch in Abgrenzung zu früheren oder späteren Regimen – klarer definieren könnte. Stattdessen veranschaulicht der Autor ja gerade die beachtenswerte Flexibilität und Kompromissfähigkeit des napoleonischen Regimes bei der Durchsetzung des Französischen in der Bevölkerung. Das beschriebene Ziel der Etablierung einer monolingual frankophonen Herrschafts- und Verwaltungsstruktur in den allophonen Territorien reicht nach Ansicht des Rezensenten nicht aus, um ein spezifisch napoleonisches Moment in der Geschichte der französischen Sprachpolitik und Sprachexpansion auszumachen, weil das Kaiserreich hier lediglich einen schon vor der Revolution bestehenden Anspruch des französischen Zentralstaats fortführte.

Den Begriff des Sprachimperialismus hat maßgeblich Robert Phillipson (1992) geprägt, von dem McCain seine Definition übernimmt. Andere für die Fragestellung wichtige Begriffe aus den Sprachwissenschaften – etwa Diglossie, Standardsprache, Sprachstatus – werden eingangs kurz erläutert, kommen dann aber nicht mehr zum Tragen. Die geo- und soziolinguistische Situation Frankreichs wird nur knapp und schematisch umrissen, die selbst in sprachlich verwandten Regionen wie Piemont und Ligurien oft sehr unterschiedlichen Voraussetzungen für eine Französisierungspolitik werden nicht näher erörtert. Eine etwas stärkere Berücksichtigung der sprachwissenschaftlichen Literatur – etwa zur Geschichte der einzelnen Sprachen Frankreichs oder zur historischen Ausbreitung des Französischen – wäre sicher bereichernd gewesen.

Letztlich bleibt der Autor einem rein geschichtswissenschaftlichen Ansatz verpflichtet. Er verortet seine Studie in der Literatur zur Nationsbildung und knüpft mit dem Konzept des Kulturimperialismus besonders an die Arbeiten von Michael Broers an. In der verwendeten Literatur dominieren englischsprachige Publikationen, die gut 60% der Bibliographie ausmachen. Besonders auffällig ist das Fehlen von italienisch-, niederländisch- und deutschsprachiger Literatur zur regionalen (Sprach-)Geschichte (mit Ausnahme einer deutsch- und einer italienischsprachigen Publikation), obschon gerade diese Sprachregionen die Mehrzahl der Fallbeispiele liefern. Dies gilt in ähnlicher Weise für die benutzen Archivalien und das zeitgenössische Schrifttum, die bis auf wenige Ausnahmen nur französische Quellen umfassen.

Hier wäre nach Meinung des Rezensenten zu prüfen gewesen, ob nicht die Sprachenfrage in den betroffenen Idiomen ganz anders diskutiert wurde als in den oft amtlichen französischen Schriftstücken. Die Quellenzitate sind sämtlich ins Englische übersetzt, leider ohne Mitgabe der originalsprachlichen Texte. Trotz dieser wenigen Kritikpunkte ist Stewart McCains Buch ein willkommener Beitrag zur Literatur über Frankreichs Kultur- und Sprachpolitik im Kontext der napoleonischen Eroberungen ebenso wie zur Sozialgeschichte seiner Regionalsprachen vor der allgemeinen Durchsetzung des Französischen. Über die historische Fragestellung hinaus liefert es außerdem eine gelungene Fallstudie zum Verhältnis von Sprache und Herrschaft in mehrsprachigen Gesellschaften.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sven Ködel, Rezension von/compte rendu de: Stewart McCain, The Language Question under Napoleon. War, Culture and Society, 1750–1850, Cham (Palgrave Macmillan) 2018, XVI–307 p., 3 col., 3 b/w fig., 9 tabl., ISBN 978-3-319-54935-4, EUR 93,59., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66384