Der vorliegende Band stellt die vom Verfasser im Sommersemester 2017 an der Universität Jena eingereichte Dissertation dar. Er ist zugleich Teil und Produkt des unter der Leitung von Uwe Schirmer durchgeführten Forschungsprojekts »Thüringen im Jahrhundert der Reformation«, in dessen Rahmen fünf voluminöse Dissertationen sowie zahlreiche Tagungsbände erschienen sind. Ohne Übertreibung darf man das Jenaer Projekt schon jetzt als eine der herausragendsten und ertragreichsten Unternehmungen des Reformationsjubiläums 2017 bezeichnen. Der mitteldeutsche, seit dem Beginn des Spätmittelalters wettinisch dominierte Raum, gilt nicht nur als »Mutterland der Reformation«, von dem aus die neue Lehre in die Welt getragen wurde, sondern bietet aufgrund des noch umfangreich vorhandenen Quellenmaterials optimale Voraussetzungen zur Erforschung spätmittelalterlicher Kirchen- und Frömmigkeitsgeschichte sowie der Reformationsgeschichte.

Dass die Reformation keine Reaktion auf eine etwaige »Krisenhaftigkeit« des Spätmittelalters war, sondern im Gegenteil grundlegend in mittelalterlichen Frömmigkeitsvorstellungen und -praktiken wurzelte, dürfte heutzutage communis opinio der Forschung sein. Nachzuvollziehen und zu erklären, wie sich dieser langgestreckte Transformationsprozess mit seinen eigentümlichen Phasen der Disruption konkret vor Ort gestaltete, ist eines der dringendsten Aufgaben der Forschung.

Die bisherige Reformationsforschung hat sich, zumal aufgrund günstiger Überlieferungslage bzw. Überlieferungschance, gerne auf die Bereiche der Stadt wie der Fürsten konzentriert. Sladeczek kritisiert zurecht, dass das Land in der Reformationsgeschichte Thüringens (und nicht nur Thüringens) meist nur in Form des Bauernkrieges eine Rolle spielte, weniger jedoch im Hinblick darauf, wie sich die Durchsetzung der Reformation auf den Dörfern gestaltete. Zugleich stellt er fest, dass sich das von Peter Blickle in die Forschung eingebrachte Konzept der »Gemeindereformation« nicht ohne weiteres auf andere Regionen als den süddeutschen Raum verallgemeinern lässt.

Der Verfasser will daher auch nicht untersuchen, was die Bauern der thüringischen Dörfer unter evangelischer Theologie und Frömmigkeit verstanden, sondern wie sie danach handelten. Denn grundsätzlich gilt für die Gesellschaften der Vormoderne ohne Ausnahme: »Religion war das allesbestimmende Motiv des Handelns« (S. 244). Dabei kann Sladeczek auf einen wie auch immer gearteten theoretischen Überbau weitestgehend verzichten, sondern schöpft stattdessen aus einer beeindruckend breiten Quellengrundlage. Konkret stehen neben den Schriftquellen (Visitationsprotokolle, Suppliken, Kirchenrechnungen etc.) vor allem materielle Zeugnisse im Blickpunkt, also Kirchenbauten, Kirchengerät, Kunstwerke usw. Die interdisziplinäre Verknüpfung unterschiedlichster Überlieferungen unter Zuhilfenahme des gesamten dem Historiker bzw. der Historikerin zur Verfügung stehenden Methodeninstrumentariums, begrenzt auf einen bestimmten Raum und eine bestimmte Zeit, macht eben gute vergleichende Landesgeschichte aus.

Nach der Einleitung (S. 11–36), die insbesondere Einblick in die Quellenlage gibt, widmet sich der Verfasser der Entwicklung kirchlicher Verhältnisse thüringischer Dörfer des 15. und 16. Jahrhunderts in drei großen Kapiteln, korrespondierend mit den gewählten Zeitabschnitten 1. der Vorreformation (1470–1520, S. 37–246), 2. der Frühreformation (1520–1526, S. 247–310) und 3. der Zeit der Visitationen (1526–1570, S. 311–541). Auf das konzise Fazit (S. 543–554) folgen zudem noch tabellarische Überblicke zu den einzelnen Stiftungen, Bruderschaften, Hospitälern und Pfarrkirchen im gewählten Untersuchungsraum (S. 556–619). Zwar wird ein Ortsregister (S. 706–720) geboten, doch auch ein Personenregister wäre bei der Fülle an Informationen, die diese Arbeit bereithält, wünschenswert gewesen. Umfangreich fällt der Abbildungsteil mit insgesamt 67 Farbabbildungen aus, deren Qualität allerdings nicht immer optimal ist.

Diachron analysiert Sladeczek ein enormes Bündel unterschiedlichster Themenbereiche, das hier nur angerissen, nicht vertiefend behandelt werden kann: das Verhältnis von Gemeinde und Pfarrer und die Pfarrsituation zu Zeiten der Visitationen, Kirchenfabrik und Einfluss der Gemeinde, Stiftungswesen durch Landadel und Bauern und Umwandlung des Stiftungsgut nach der Reformation, Hospitäler und Bruderschaften, Formen der Frömmigkeit (Prozessionen, Wallfahrten etc.), bauliche und bildliche Ausstattung der Dorfkirchen und der Umgang mit diesen (Stichwort »Bildersturm«), landesherrliches Kirchenregiment, reformatorische Bewegung und Bauernkrieg, die Rolle des Niederadels, das Spannungsverhältnis von altem und neuem Glauben, die Langlebigkeit von Formen vorreformatorischer Frömmigkeit und der sichtbare Wandel in und an den Kirchengebäuden (u. a. auch der Pfarrbibliotheken).

Jedes der drei großen Kapitel wird von einer Zusammenfassung beschlossen, welche die wesentlichen Ergebnisse auf den Punkt bringt. Der Verfasser setzt die so gewonnen Erkenntnisse durch regionalen Vergleich und Abgleich mit dem aktuellen Forschungsstand in eine größere Perspektive, ganz im Sinne guter vergleichender Landesgeschichte. Von großem Gewinn sind für den Rezensenten vor allem die Ausführungen zur Kirchenfabrik und zu den Frömmigkeitspraktiken ländlicher Pfarrgemeinden des späten Mittelalters, die eine willkommene Ergänzung zum bisher doch vor allem durch städtische Quellen geprägten Bild der Forschung liefern. Auch die Offenheit der Frühreformation in Fragen des Glaubens und der Frömmigkeit und die tiefgreifenden gesellschaftlichen Veränderungen, die mit der Reformation einhergingen und insbesondere das Land und seine Leute betrafen, kann der Verfasser durch die Fülle an angeführten Belegen und Beispielen aus den Quellen äußerst dicht beschreiben.

Martin Sladeczek betont im Einklang mit der modernen Reformationsforschung die langlebigen Kontinuitäten zwischen spätmittelalterlicher Frömmigkeit und frühneuzeitlichem Reformationsgeschehen. Grundlagen zur schnellen Verbreitung der neuen Lehre waren auch auf dem Land durch (landesherrliches) Kirchenregiment und von der Gemeinde kontrolliertem Kirchenvermögen gegeben. Für den Verfasser war die Reformation ein Katalysator bereits bestehender Entwicklungen. Er weist daher zu Recht auf den grundlegenden situativen Charakter der Reformation hin, welche nicht von langer Hand geplant wurde. Zugleich will er eine Profanisierung des religiösen Lebens im Vergleich zur vorreformatorischen Frömmigkeit erkannt haben, was freilich an einer von externen zu internen Formen gewandelten Religiosität gelegen haben dürfte. Sladeczek spricht sich entschieden dagegen aus, dass die Bauern willig dem landesherrlichen Vorgehen gefolgt seien, sondern spricht diesen ausdrücklich aktives und eigenständiges Handeln zu. Gerade die Reformation bot den Dorfgemeinden Räume der Emanzipation von geistlichen Gewalten und Gerichtsbarkeiten. So rückt der Verfasser die Bauern selbst (weniger den Landadel) in den Mittelpunkt des Geschehens. Martin Sladeczek hat mit dieser hervorragenden Arbeit eine eklatante Forschungslücke der thüringischen Kirchen- und Reformations-, aber auch der Agrar- und Kulturgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts geschlossen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Alexander Sembdner, Rezension von/compte rendu de: Martin Sladeczek, Vorreformation und Reformation auf dem Land in Thüringen. Strukturen – Stiftungswesen – Kirchenbau – Kirchenausstattung, Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2018, 720 S., 67 Abb. (Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 9), ISBN 978-3-412-50810-4, EUR 100,00., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66394