Das vorliegende Werk verspricht eine verhältnismäßig umfassende Darstellung über ländliches Dienstpersonal vom späten Mittelalter bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Im Effekt, so die Herausgeberin in ihrer Einleitung (S. 1–18), geht es um die Verflechtungen der europäischen Wirtschaft und Gesellschaft, die bis zum Ende des betrachteten Zeitraums überwiegend ländlich geprägt war. Der räumliche Fokus liegt, entgegen dem Titel, auf den Teilen (Nord-) Westeuropas, der durch das Europäische Heiratsmuster charakterisiert wurde, wobei diese Fokussierung u.a. durch dessen Existenz, wenn auch tautologisch anmutend, erklärt wird (S. 2–3). Das Ziel der vorliegenden Beiträge ist es, die vorliegenden Studien um neue Forschungen zum ländlichen Dienstpersonal zu ergänzen (S. 9–10).
In zwölf dichten Aufsätzen, die weder chronologisch noch räumlich geordnet sind und zudem auch einige geografische »Lücken« aufweisen, stehen die folgenden Beiträge und Themen im Fokus: Flandern und die Niederlande werden von Lies Vervaet (S. 19–35), Thijs Lambrecht (S. 37–55) und Richard Paping (S. 203–226) abgedeckt. Jane Whittle (S. 57–76), Charmian Mansell (S. 77–94) und Sarah Holland (S. 183–202) widmen sich England, Skandinavien wiederum steht im Fokus von Cristina Prytz (S. 95–111), Hanne Østhus (S. 113–130) und Caroline Uppenberg (S. 167–182). Diesen drei relativ gleich stark bearbeiteten Regionen sind die Studien von Christine Fertig zum Münsterland, (S. 131–148), Jeremy Hayhoe zu Ostfrankreich (S. 149–165) und Raffaella Sarti zu Italien (S. 227–253) zur Seite gestellt. Ausgesprochen hilfreich sind zudem die Auswahlbibliografie (S. 255–267) und der daran anschließende Index (S. 268–271), der den Nutzen des Sammelbandes eindeutig unterstreicht.
Hinsichtlich der Einheitlichkeit, immerzu ein Problem derartiger Unterfangen, sei auf jeden Fall auf die konzeptionell-thematische Untersuchung in der Tradition des Europäischen Heiratsmusters verwiesen. Inhaltlich stehen, von einigen allgemeinen Charakteristika abgesehen (S. 13–14), vor allem die Themenbereiche Mobilität, Löhne und Lebensverläufe ländlichen Dienstpersonals im Mittelpunkt, die in dieser oder jener Form in allen Beiträgen diskutiert werden und so für ein gewisses Ausmaß an Konsistenz sorgen. Besonders spannende Aspekte des Lebens ländlichen Dienstpersonals finden sich in den Untersuchungen von Lambrecht, dessen Studie auf bislang nicht untersuchten Steuerquellen beruht; ähnlich sind auch die Beiträge von Mansell und Fertig, die auf kürzlich erarbeiteten Qualifikationsstudien beruhen, als konzise Überblicke neuer Forschungen zu betrachten. Synthetisierend, wenn auch ungleich umfangreicher hinsichtlich Raums und Zeit, sei auch spezifisch auf Sartis Aufsatz über Italien hingewiesen.
Neben den vielen, an dieser Stelle unerwähnt verbleibenden interessanten und positiven Aspekten müssen jedoch auch einige Problemstellen angeführt werden. Weder die iberische Halbinsel noch weite Teile Frankreichs, Dänemarks und Zentraleuropas westlich der Hajnal-Linie haben Eingang in den Band gefunden, und auch die chronologische Gewichtung ist nicht immer eindeutig nachvollziehbar. Zudem weisen einige Beiträge nicht unerhebliche Mängel in der Kontextualisierung auf, so fällt etwa Vervaet ein Urteil über die Ursprünge des »agrarian capitalism« in Flandern ohne mit einem Wort auf die einschlägige »Brenner-Debatte« einzugehen (S. 21)1.
Mansells Hinweis über die zeitgenössischen Beschwerden über unverheiratete Frauen und deren »independent lifestyles« (S. 79) lesen sich, nicht zuletzt unter Verweis auf die reduzierten Möglichkeiten von Frauen in Westeuropa und Nordamerika um 1900 (und deren heutiger Situation in beispielsweise Saudi-Arabien2) ironisch bis anachronistisch. Der Band steht klar in der Tradition der Familien- und Demografieforschung, doch wurde den Angaben zu den Abbildungen und Tabellen kaum Beachtung geschenkt; man vergleiche beispielsweise die stark voneinander abweichenden Angaben in den Beiträgen von Hayhoe (S. 157, 161) beziehungsweise Holland (S. 186–187).
Das weitaus größte Problem aber findet sich von Anfang an ausgelassen, nämlich: Was ist »Europa«? In ihrer Einleitung weist Jane Whittle auf das »europäische Heiratsmuster« hin, das bekanntlich auf – im Vergleich zu Osteuropa, das jedoch unerwähnt bleibt, – späterer Eheschließung basiert (S. 2). Wie in vielen vergleichbaren Publikationen, so fällt auch in dieser die »andere« Hälfte Europas unter den Tisch3. Nun lässt sich dieser Umstand durch den erklärten Fokus auf die nordwestlich der Hajnal-Linie gelegenen Regionen verstehen, eine sinnvolle Erklärung für das Auslassen ostmittel- und osteuropäischer Fälle ist dies jedoch nicht, liegen doch gerade aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Fülle agrar-, sozial- und wirtschaftshistorischer Studien und jüngere Synthesen und Vergleiche vor4.
Zweifelsfrei sind der Band und die darin befindliche Beiträge ein wichtiger Bestandteil einschlägiger Forschungsdebatten, die eine Fülle von weiterführenden Denkanstößen bieten. Dennoch verbleibt, gleichsam den irreführenden, auf der Rückseite des Buchumschlags formulierten Anspruch (»This is the first book to survey the experience of servants in rural Europe from the fifteenth to the nineteenth century«) konterkarierend, letzten Endes der Eindruck der Einseitigkeit und Unvollständigkeit.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Stephan Karl Sander-Faes, Rezension von/compte rendu de: Jane Whittle (ed.), Servants in Rural Europe. 1400–1900, Woodbridge (The Boydell Press) 2017, XIV–271 p. (People, Markets, Goods: Economies and Societies in History, 11), ISBN 978-1-78327-239-6, GBP 19,99., in: Francia-Recensio 2019/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66397