Mit Johann Chapoutot und Christian Ingrao unternehmen zwei ausgewiesene Spezialisten zur Geschichte des Nationalsozialismus das Wagnis, eine Hitler-Biografie auf knapp 200 Seiten zu verfassen. Damit bietet sich die Möglichkeit, dessen bisweilen noch immer mysteriös anmutende Lebensgeschichte in einem handlichen Format einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die sich nicht in umfassende Standardwerke mit Hunderten von Seiten vertiefen will. Doch der biografische Ansatz verliert sich bereits nach dem ersten Kapitel.

Das Buch gliedert sich chronologisch in zehn Kapitel, von denen sich das erste der Kindheit und Jugendzeit Adolf Hitlers in den späten Jahren der k. u. k.-Monarchie widmet. Besonders prägend sind für ihn dabei seine Wiener Jahre zwischen 1908 und 1913, bei denen er die Multiethnizität der Donaumetropole kennenlernt, um sie sogleich vehement abzulehnen.

Im Anschluss daran behandeln die Autoren den Ersten Weltkrieg, der für Hitler als Soldat ein einschneidendes Erlebnis darstellte. Deshalb erstaunt es, wenn an dieser Stelle die politische Geschichte im Vordergrund steht und weniger die Person Hitlers. Zwar nehmen die Autoren ein fast einseitiges Zitat Hitlers zu seinen Kriegserlebnissen im Schützengraben auf (S. 39), nennen jedoch weder dessen Herkunft noch nehmen sie eine quellenkritische Einordnung vor. Beides wäre hingegen geboten gewesen, weil Hitler als Meldegänger viel Zeit beim Stab verbrachte und nicht als Soldat über Wochen in vorderster Linie stand. Es ist nur eine von zahlreichen Stellen, an denen der Leserschaft der völlige Verzicht auf einen kritischen Apparat unangenehm aufstößt. Denn ebenso wenig erklären die Verfasser, wie sie zu der Feststellung gelangen, dass Hitler den Dienstgrad eines Unteroffiziers innehatte (S. 55 u. 71) – eine Erkenntnis, die sich bei keinem der anerkannten Hitler-Biografen findet1.

Die Kapitel 3, 4 und 5 behandeln die Zeit der Weimarer Republik und Hitlers rasanten Aufstieg als Politiker. Dabei entfernt sich das Buch zusehends vom Genre der Biografie und verschiebt seinen Schwerpunkt auf die rassisch-völkische und von Judenhass durchdrungene NS-Ideologie und deren Anhänger, die Hitler als talentierter Redner mitzureißen wusste. Es ist unstrittig, dass die NSDAP von den Wirtschaftskrisen der Weimarer Republik profitierte. Warum die Autoren allerdings ohne Nachweis mit einer Zahl von 20 Mio. Arbeitslosen in Deutschland operieren (S. 100), die also je nach Bezugsjahr um das dreieinhalb- bzw. zehnfache über der offiziellen Statistik2 liegt, erschließt sich nicht. Stammt diese Zahl aus einem Wahlkampf der NSDAP?

Die zweite Hälfte des Buches umfasst den Zeitraum von 1933 bis 1945. Im Fokus stehen dabei die Entwicklungsgeschichte der NSDAP mit ihren Parteigliederungen sowie das Reichssicherheitshauptamt und das SS-Wirtschafts- und Verwaltungshauptamt als die tragenden Machtsäulen des NS-Regimes und der von ihm betriebenen Gleichschaltung. Inwieweit das Militär (Reichswehr bzw. Wehrmacht), die Industrie oder Personen wie Hermann Göring, Albert Speer, Wilhelm Keitel oder etwa Roland Freisler als erbitterter Verfechter einer nationalsozialistischen Rechtspflege zur Festigung Hitlers als Reichskanzler und zu seinem Machtzuwachs beitrugen, bleibt indes vage.

Die Autoren umreißen nur kurz die außen- und innenpolitischen Erfolge Hitlers in den Jahren 1935 und 1936. Zu diesen gehören die zugunsten Deutschlands ausfallende Abstimmung über den Verbleib des Saarlands, die Wiedereinführung der Wehrpflicht oder die Remilitarisierung des Rheinlands. Die beiden letzteren verstießen eindeutig gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags und fanden deshalb großen Rückhalt in der Bevölkerung, die darin mehrheitlich eine berechtige Auflehnung gegen den »Diktat- und Schandfrieden« sah. Stattdessen stellen die Verfasser die Olympischen Spiele im Sommer 1936 in Berlin und deren perfekte propagandistische Inszenierung in den Vordergrund. Eine sehr fragwürdige Gewichtung, zumal wenn für wichtige politische Geschehnisse wie den Anschluss Österreichs, das Münchner Abkommen oder die Annexion des Sudetenlandes die gleiche Seitenzahl angesetzt wird wie für das 14-tägige Sportereignis. Ohne erkennbaren Grund verzichten die Autoren darauf, die Reichspogromnacht zu erwähnen, obwohl die NS-Ideologie im Mittelpunkt des Buches steht.

Die drei Kapitel zum Zeitraum des Zweiten Weltkriegs kreisen um dessen Ereignisgeschichte und vor allem die Shoah, der die Autoren unter der Überschrift »L’instauration des politiques génocidaires« ein eigenes Kapitel widmen. Ganz unvermutet findet sich darin die Feststellung, dass Hitler den Bewegungskrieg als Strategie abgelehnt und deshalb im Mai 1940 den militärisch sinnlosen Haltebefehl vor Dünkirchen gegeben hat3. Haben also seine Generäle gegen den Willen ihres Oberbefehlshabers mit ihren Panzerarmeen Polen und Frankreich überrannt, bevor sie dann im Sommer 1941 tief in die Sowjetunion vorstießen? Weit interessanter wäre es gewesen zu erfahren, wie Hitler und sein persönliches Umfeld auf die zunehmenden militärischen Rückschläge an der Ostfront reagierten, die spätestens seit der Niederlage von Stalingrad im Februar 1943 unverkennbar waren. Dass sich an diese militärisch aussichtslose Lage an der Ostfront – und nach der Landung der Alliierten in der Normandie auch an der Westfront – der Kampf bis in den Untergang anschloss, liefern die Autoren als bloße Feststellung. Erklärungsansätze, warum so viele Menschen Hitler bis zum bitteren Ende folgten, liefern sie mit Ausnahme des Treueides auf Hitler nicht.

Stolpert man bei der Lektüre schon über die zahlreichen inhaltlichen Ungereimtheiten, wird der Lesefluss zusätzlich durch die unzähligen deutschen, ideologisch hoch belasteten Begriffe wie »Blutfahne«, »Rassenschande«, »deutscher Volkskörper«, »Ostmark« und »Friedenskanzler« unterbrochen4. In Anbetracht einer so kompakt angelegten Darstellung stellt sich die Frage, wie erkenntnisreich es ist, solche Termini zu verwenden, zumal wenn deren Übersetzung wie bei »Rassenschande« mit »la honte noire« unzutreffend ausfällt, weil der zutiefst antisemische Aspekt verloren geht5.

Sieht man vom ersten Kapitel ab, das Hitlers Kindheit und Jugend biografisch in der gebotenen Kürze durchaus gekonnt darstellt, entfernt sich die Darstellung danach vom Genre einer Biografie. Sie richtet stattdessen ihr Hauptaugenmerk auf den Nationalsozialismus als einer menschenverachtenden, völkisch-rassistischen Staatsideologie die schließlich im Zweiten Weltkrieg und dem Genozid an den Juden gipfelte. Wer sich dem Phänomen Hitler biografisch nähern will, findet mit diesem Buch keine bereichernde Lektüre. Als Fazit bleibt leider nur: Thema verfehlt und mit unübersehbaren handwerklichen Mängeln behaftet.

1 Ian Kershaw , Hitler 1889–1936, München 2013, S. 130; Volker Ullrich, Adolf Hitler. Biographie. Die Jahre des Aufstiegs, Frankfurt am Main 2013.
2 Für das Jahr der Weltwirtschaftskrise 1929 weist die offizielle Statistik 1,9 Mio. Arbeitslose aus, für 1932 sind es 5,6 Mio. Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/weimarer-republik/industrie-und-wirtschaft/weltwirtschaftskrise.html, abgerufen am 11.4.2019.
3 Eine Übersicht der verschieden Thesen, warum Hitler am 24.5.1940 diesen Befehl zum Halt der deutschen Truppen vor Dünkirchen gegeben hat findet sich bei Karl-Heinz Frieser, Blitzkrieg-Legende. Der Westfeldzug 1940, München 21996 (Operationen des Zweiten Weltkrieges, 2), S. 380–393.
4 Die Begriffe finden sich auf den Seiten 87, 96, 129, 133, 136, 142. Die Auflistung ist nicht erschöpfend.
5 Vgl. Alexandra Przyrembel, »Rassenschande«. Reinheitsmythos und Vernichtungslegitimation im Nationalsozialismus, Göttingen 2003 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 190).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Corinna von List, Rezension von/compte rendu de: Johann Chapoutot, Christian Ingrao, Hitler, Paris (Presses universitaires de France) 2018, 213 p. (Biographies), ISBN 978-2-13-080029-3, EUR 13,00., in: Francia-Recensio 2019/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66580