Es sei gleich gesagt: Ulrike Keuper hat eine innovative, kluge und auch sprachlich sehr sorgfältig abgefasste Studie vorgelegt. Die überarbeitete Dissertation, an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe angenommen, ist an den Schnittstellen von Kunstgeschichte, Übersetzungstheorie und Intermedialität angesiedelt. Sie untersucht das Verhältnis der Ähnlichkeit beziehungsweise Unähnlichkeit zwischen literarischer Übersetzung und bildkünstlerischen Verfahren. Dabei ist Übersetzung eine Metapher für nicht-mimetische Formen künstlerischer Repräsentation, sie ist keine bloße Kopie eines Originals. So übersetzt der Kupferstich farbige Malerei in ein schwarz-weißes Zweitwerk. Die Studie nimmt damit an der Aufwertung von sekundären künstlerischen Verfahren teil, die als solche bisher kaum durchleuchtet und vorschnell oft als reine Reproduktion abgewertet worden sind. Sie sind »Bilderfahrzeuge« (Aby Warburg) und damit Teil eines künstlerischen Prozesses.
Die Verfasserin verbindet die Medien Kupferstich und Fotografie dadurch, dass beide ein vorgängiges Kunstwerk (Malerei) nicht nur »abbilden«, sondern auch eine verändernde Beziehung mit ihm eingehen. Für diese Beziehung finden bereits Zeitgenossen der Werke den Begriff der Übersetzung. Keuper begreift diese Begriffsverwendung als Metapher. Für ihre Analyse folgt sie dann dem neueren Metapherbegriff nach Max Black – Metaphern schaffen erst Ähnlichkeit – und Hans Blumenberg – absolute Metaphern konstituieren Weltbilder.
Die Studie setzt einen Schwerpunkt auf den Kupferstich im Frankreich der Encyclopédie und dann auf die vergleichende Diskussion um die Fotografie und den Kupferstich. Die Verfasserin bezieht auch Kontexte aus Deutschland (Daniel Chodowiecki) und England mit ein. Sie kennt sowohl die einschlägigen Anthologien und die wissenschaftliche Literatur zu Übersetzungstheorien (Lieven d’Hulst, Nies), Kupferstich (Gramaccini, Brakensiep, Bryson) und Fotografie (Geimer, Talbot, Plumpe, Stiegler). Ein großer Vorzug ihrer Studie ist es, dass sie nie aus zweiter Hand argumentiert; Leser und Betrachter haben durch Zitate von Diderot, Watelet bis zu Blanc und die abgebildeten Beispiele (Rembrandt, Raffael, Tizian u. a. m.) einen direkten Zugang zu den Diskussionen wie auch zu den Werken der Zeit.
Für Diderot hat die prinzipielle Unübersetzbarkeit literarischer Texte eine Entsprechung im Kupferstich. Wenn er im Salonbericht vom Kupferstecher als Prosaübersetzer der poetischen Malerei spricht, hebt er die Einbußen im Kupferstich hervor. Der Kupferstecher muss im Sinne der belles infidèles eigene Mittel finden, um dem Genie des Originals zu entsprechen. Ein Jahrhundert später betont Charles Blanc, der geglückte Kupferstich erfasse das Wesentliche des Erstwerks. Glas und Spiegel sind situations- und zeitbedingte Metaphern jenes Verhältnisses.
Wie sich dann das neue Paradigma der treuen Übersetzung im 19. Jahrhundert auswirkt, zeigt Ulrike Keuper in einer Engführung mit der romantischen Übersetzungstheorie und -praxis, und zwar nicht mit den deutschen Frühromantikern (Ausnahme ist Schleiermacher), sondern mit der wörtlichen literarischen Übersetzung von Miltons »Paradise Lost« durch Chateaubriand. Diesem Ideal scheint die Fotografie zu entsprechen, sie ist eine Reproduktion, scheinbar ohne Menschenhand entstanden. Das Abfotografieren von Malerei demonstriert Keuper anhand einer Raffael-Fotografie von Negretti & Zambra (gegr. 1850). In der angelsächsischen Fotokritik kommt die Rede von der Fotografie als Dolmetschen einschließlich ihrer Fehler auf.
Die Verfasserin schließt mit dem »Nachspiel« der juristischen Auseinandersetzung über das Urheberrecht. Der gedruckte Text und das gedruckte Bild erlangen denselben Rechtsschutz. Je mehr der Fotografie eine eigene Schöpferkraft im Vergleich mit dem Kupferstich zugesprochen wird, desto mehr erlangt sie den Status der Kunst.
Ulrike Keuper breitet außerordentliche Kenntnisse der Kupferstecherei einschließlich verschiedener Techniken und ihre jeweiligen Ergebnisse aus. Die Abbildungen tragen zur Anschaulichkeit bei, so die Verwandlung von farbigen Rembrandt-, Raffael- und Tizianbildern in verschiedene Schwarz-Weiß-Realisierungen von Kupferstich und Fotografie. Die Studie zeugt von einer außerordentlichen Belesenheit, Sachkenntnis und Fähigkeit, Konstellationen analytisch zu durchdringen. Es bleibt schließlich eine offene Frage: Liegt es am Diskurs der Zeit, der die eigene Schöpfung oder die wörtliche Treue bevorzugt, oder auch am Medium selbst, wenn etwa der Kupferstich als kongenial und schöpferisch gerühmt wird und der fotografischen Abbildung der Malerei die Aura abgesprochen wird?
Der Rezensent möchte lediglich zwei Desiderata ansprechen. Der Zusammenhang von Zweitmedialität und Zweitkulturalität ist sowohl in Personen als auch in Werken repräsentiert. Auffällig ist, wie zahlreich Wanderer und Migranten unter den angeführten Personen sind, so die Kupferstecher Schmidt, Johann Martin Preißler und Wille, so der Übersetzer Michael Huber. Der überaus erfolgreiche Einwanderer Wille ist in unterschiedlicher Weise »sekundär«: Er kann nicht als auf Französisch schreibender Schriftsteller Anerkennung finden, wohl aber als Kupferstecher, der für Vorbilder aus Natur und Malerei Entsprechungen findet. Keuper hat sich wohl bewusst allen Biografismus, der auch in Transferstudien vorherrscht, enthalten. Das ist eine nachvollziehbare Entscheidung, die der Bündigkeit der Studie zugute kommt. Dass die Verfasserin kein Wort über die zweisprachige und transmediale Publikation »Contes moraux et Nouvelles Idylles de Diderot et Salomon Gessner« von 1772/3 verliert, mag daran liegen, dass hier kein Erstmedium Malerei vorliegt. Aber Übersetzungen finden statt: Neben die jeweils übersetzten konträren Texte von Diderot und Gessner treten Gessners »übersetzende« Kupferstiche und Reflexionen über Künstler, die mit Feder wie mit Grabstichel arbeiten. Es handelt sich um ein frühes Beispiel dafür, wie sich Transkulturalität und Transmedialität verschränken.
Damit ist das zweite Desideratum angesprochen, das sich auf die Reichweite des Metapherkonzepts in Hinblick auf transkulturelle Transmedialität bezieht. Die Rede von der Übersetzung als Metapher beruht auf Feststellungen von Ähnlichkeit und Äquivalenz, die in Diskursen zeitgleich zu den Werken und in heutigen Theorien vorliegen. Abgesehen von der Passage zur Metapherntheorie zu Anfang kommt Keuper erst in der Conclusio auf die Dekonstruktion des Ähnlichkeitsparadigmas, etwa von Derrida oder auf das Stichwort »Übergänge«, verfasst von Kurt Röttgers, zu sprechen. Sie demonstriert dies eindrucksvoll mit modernen Kunstwerken (etwa Klaus Mossetig, Lavender Mist), bezeichnet dies zugleich als »vorgebildet« in den von ihr analysierten Diskussionen des 18. und 19. Jahrhunderts.
Da stellt sich dann doch die Frage, inwieweit ältere Auffassungen von Metaphern sich mit den Einsichten der Dekonstruktion verbinden können, ob letztere bereits die Konstellationen des 18. und 19. Jahrhunderts aufschlüsseln können. Man kann sich fragen, ob das Bild von der »toten bzw. verblassten Metapher« (Ricœur), hier diachron konkretisiert (auf die nicht-mimetische Übersetzung im Kupferstich scheint im 19. Jahrhundert die sklavische Reproduktion in der Fotografie zu folgen), nicht den Blick dafür verstellt, dass im 18. Jahrhundert ein Bewusstsein für Nicht-Identität existiert, das erst im dekonstruktiven Ansatz wieder eingeholt wird.
Nun sind verschiedene Wege denkbar, um der grundsätzlichen Unübersetzbarkeit von Werken gerecht zu werden: so kann das Ähnlichkeitsparadigma produktiv in die Relation vom Ungefähren überführt werden1. Auch kann die tropische Dimension so verschoben werden, dass »Übersetzung« mehr als eine bloße Metapher ist. Die Verfasserin nähert sich diesem Sachverhalt zuweilen indirekt, so als sie auf Aby Warburgs Begriff vom »Bilderfahrzeug« oder auf den Vorzug zu sprechen kommt, dass im Unterschied zum räumlich fixen und unzugänglichen Original die Druckgrafik Flügel habe, sprich: durch Transport, Verschiebung, Benachbarung sowie De- und Rekontextualisierung auch metonymische Eigenschaften hat. Die Formel von der Metapher der Übersetzung kommt hier an eine Grenze, die übertragende Medien wie der Kupferstich oder die Fotografie indes mühelos überschreiten. Sie bilden nicht nur ab und transformieren, sondern erzeugen auch eine eigene Bewegung und einen eigenen Raum. Das sekundäre Objekt wird Mittel und Mittler – auch dies eine Bedeutungskomponte von Übersetzen bzw. translation. Die damit verknüpfte Perspektive auf materiale Kultur (sie ist in der Beschreibung der Drucktechniken präsent) bleibt insofern unterbelichtet. Dass die Verfasserin die Ausweitung zu transkulturellen und medientheoretischen Fragen gescheut hat, dürfte auf ihre bewusste Entscheidung für Einheitlichkeit zurückgehen: Sie bändigt die Stoffmasse ja erfolgreich mit einem Terminus, eben der »Übersetzung«, wie sie ihn in der fraglichen Epoche selbst auffindet und heute wieder produktiv einsetzt.
Diese abschließenden Bemerkungen solle die außerordentliche Qualität dieser Studie nicht schmälern; sie verbinden sich mit der Erwartung und Neugier auf weitere Forschungen von Ulrike Keuper. Sie hat eine bewundernswerte Arbeit vorgelegt, die hoffentlich viele Leser finden wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Thomas Keller, Rezension von/compte rendu de: Ulrike Keuper, Reproduktion als Übersetzung. Eine Metapher und ihre Folgen – vom Salonbericht bis zur frühen Fotokritik, Paderborn (Wilhelm Fink Verlag) 2018, VI–249 S., 6 farb. Abb., ISBN 978-3-7705-6311-1, EUR 49,90., in: Francia-Recensio 2019/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66589