Anlässlich des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs erschien eine große Zahl an neuen Publikationen, die sich mit den langfristigen Auswirkungen der »Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts« und der zentralen Frage nach der Errichtung einer neuen internationalen Nachkriegsordnung beschäftigten. Der Rolle des Völkerrechts wird dabei verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt, und rechtshistorische Fragestellungen nehmen in den internationalen Forschungsdebatten zunehmend einen wichtigen Platz ein.

Das neue Werk aus der Feder des renommierten kanadischen Völkerrechtlers William A. Schabas, der an der Middlesex University in London und an der Universität Leiden lehrt, gehört in dieser Kategorie zweifellos zu den bedeutenden Publikationen der jüngsten Zeit. In seiner bei Oxford University Press im Jahr 2018 mit dem Titel »The Trial of the Kaiser« erschienenen Monographie beschäftigt sich Schabas ausgiebig mit den alliierten Bestrebungen, den ehemaligen deutschen Kaiser Wilhelm II. für seine persönliche Verantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs und den in dessen Verlauf von deutschen Truppen begangenen Kriegsverbrechen vor einem internationalen Tribunal zur Rechenschaft zu ziehen.

Auf der Basis umfangreicher Quellenrecherchen in einer großen Zahl von Archiven und Bibliotheken aus fünf verschiedenen Ländern gelingt es Schabas, die Geschichte eines juristischen Verfahrens – zum dem es wohlgemerkt letztlich nie kam – in den größeren Kontext der Entwicklung der internationalen Strafgerichtsbarkeit eindrucksvoll einzuordnen und scharfsinnig zu analysieren. Zentrale, bis heute relevante Aspekte wie die Fragen nach der Immunität von Staatsoberhäuptern und dem Verbrechen der Aggression thematisiert er dabei genauso wie Herausforderungen der internationalen Strafverfolgung.

Schabas vertritt in diesem Zusammenhang insgesamt die These, dass das auf Basis von Artikel 227 des Versailler Vertrags angestrebte Verfahren gegen Wilhelm II. und vor allem die damit verbundenen intensiven juristischen wie politischen Debatten bereits einen Entwicklungsschritt auf dem historischen Weg zur internationalen Strafgerichtsbarkeit markierten, wie sie dann nach 1945 mit den internationalen Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio zum ersten Mal in die Tat umgesetzt wurde: »Although the tribunal promised by Article 227 was never established, the provision is an important waymark in the development of international criminal justice. The reference in the Treaty of Versailles, and the debates and discussions that surrounded it, constitute the first real consideration of an international criminal court at the official level.« (S. 298).

Das Buch folgt einer weitgehend chronologischen Erzählstruktur und gliedert sich insgesamt in 18 Einzelkapitel. Methodisch geling es Schabas – und das ist eine von vielen Stärken dieser Monographie – völkerrechtliche und historische Perspektiven gekonnt miteinander zu verbinden, wodurch »The Trial of the Kaiser« für Forschende sowohl der Völkerrechtswissenschaft als auch der Geschichtswissenschaften zu einer gewinnbringenden Lektüre wird. Dabei fördert der Autor auch so manch interessante Episode zu Tage, wie zum Beispiel den gescheiterten Versuch einer Gruppe von US-Soldaten, den ins niederländische Exil geflüchteten Wilhelm II. auf eigene Faust zu entführen, um ihn den in Paris versammelten Staatsmännern als »a Christmas present« (S. 83) überreichen zu können.

Mit großem Detailwissen schilderte der Autor die auf alliierter Seite vor allem von Großbritannien und Frankreich initiierten Bemühungen für eine internationale Anklage des deutschen Kaisers, die bereits während des Krieges begannen, dann aber vor allem nach Kriegsende auf der Pariser Friedenskonferenz enorm an Dynamik gewannen. So nahm im Februar 1919 das eigens gegründete Expertengremium der Commission on the Responsibility of the Authors of the War and on the Enforcement of Penalties ihre Arbeit auf, um ein Strafverfahren gegen den ehemaligen deutschen Kaiser vorzubereiten. Die kontroversen Debatten mündeten schließlich in die Formel von Artikel 227 des Versailler Vertrags, wonach Wilhelm II. aufgrund »supreme offence against international morality and the sanctity of treaties« (S. 201) von einem Spezialtribunal bestehend aus jeweils einem Richter der fünf alliierten Hauptmächte Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan und den Vereinigten Staaten von Amerika angeklagt werden sollte. In der Entwicklung des Völkerstrafrechts war dieser Schritt, ein Staatsoberhaupt für im Namen seines Landes begangene Verbrechen zur juristischen Verantwortung zu ziehen, ein revolutionärer Einschnitt.

Schabas zeichnet dabei aber ein sehr nuanciertes Bild und macht deutlich, dass auf alliierter Seite keineswegs Übereinstimmung über eine mögliche internationale Anklage herrschte, sondern vor allem von Seiten der USA große Bedenken vorgebracht wurden. Letztlich scheiterte der angestrebte Prozess im März 1920 eben nicht nur an der strikten Weigerung der niederländischen Regierung, den in ihr Land ins Exil geflohenen deutschen Ex-Kaiser an die Alliierten auszuliefern, sondern auch an der fehlenden Geschlossenheit auf alliierter Seite – allen voran an der ablehnenden Position der USA gegenüber einem internationalen Strafprozess und den in Paris getroffenen Vereinbarungen.

Mit »The Trial of the Kaiser« legt Schabas ein überaus lesenswertes Buch über die Anfänge der internationalen Strafgerichtsbarkeit vor. Als Kritik ließe sich an dieser Stellen anführen, dass der Leser sich an mancher Stelle gerne eine stärkere Kontextualisierung zu bereits früheren Ansätzen in Richtung einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, wie sie bereits im 19. Jahrhundert aufkamen, wünschen würde. Auch mögliche weiterführende Bezüge zu den ab 1921 auf nationaler Ebene vor dem Reichsgericht in Leipzig durchgeführten Prozessen gegen deutsche Kriegsverbrecher könnten zusätzlich interessante Perspektiven auf den Umgang mit Kriegsverbrechen im Ersten Weltkrieg eröffnen; diese kommen aber kaum vor. Dies schmälert den sehr positiven Gesamteindruck des Buches allerdings, wenn überhaupt, nur marginal. Das neue Buch von William A. Schabas kann – weit über den Kreis von Historikern und Völkerrechtlern hinaus – als spannende Lektüre nur empfohlen werden.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Fabian Klose, Rezension von/compte rendu de: William A. Schabas, The Trial of the Kaiser, Oxford (Oxford University Press) 2018, X–410 p., 1 map, 8 ill., ISBN 978-0-19-883385-7, GBP 24,99., in: Francia-Recensio 2019/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66601