Für die Geschichte der internationalen Beziehungen stellt unsere jüngste Vergangenheit, die Zeit von den 1980er Jahren bis heute, eine Phase fundamentalen Wandels dar: Zweiter Kalter Krieg, erneute Annährung und schließlich der sukzessive Niedergang des Ostblocks katapultierten das scheinbar so geordnete internationale Staatensystem in die 1990er Jahre, deren Herausforderungen bis heute anhalten. Wie aber reagierten Akteure und Institutionen auf diese weltpolitischen Umwälzungen? Als wie anpassungsfähig erwiesen sich deren Administrationen? Der vorliegende Sammelband, herausgegeben von Maurice Vaïsse, versucht, für den Quai d’Orsay und damit die französische Diplomatie auf diese Fragestellungen Antworten zu geben.

Der Band sieht sich in der Nachfolge des einschlägigen Klassikers von Jean Baillou1 und zeichnet sich sowohl durch Interdisziplinarität als auch eine enge Verknüpfung zwischen Wissenschaft und Praxis aus: An die 40 Archivare, Diplomaten, Historiker, Juristen und Politikwissenschaftler bieten unter­schiedliche Zugänge und Perspektiven auf den Forschungsgegenstand: die konkrete Darstellung der »l’organisation, du fonctionnement et du rôle du ministère des Affaires étrangères (MAE) et du réseau diplomatique« (S. 12) seit den 1980er Jahren. Als Zielgruppe werden sowohl die Fachwissenschaften als auch eine interessierte Öffentlichkeit identifiziert. Nach einer allgemeinen Einleitung des Herausgebers gliedert sich der Sammelband in fünf Teile, je mit einer eigenen, skizzenhaften Hinführung.

Auf einen institutionellen Einstieg, in welchem die für die französische Diplomatie relevanten Verfassungsorgane eingehend beleuchtet werden, folgt die zweite Sektion, »Le Département«, die mit ihren neun Unterkapiteln und gut 120 Seiten den umfangreichsten Teil des Sammelbandes darstellt; hier stehen der Quai d’Orsay mit seiner Zentrale im Mittelpunkt der Untersuchungen, bevor im dritten Teil gleichermaßen seine Außenstellen vorgestellt werden. Im vierten Teil werden die Entwicklung der finanziellen und personellen Mittel wie auch die Auswirkungen der fortschreitenden elektronischen Datenverarbeitung näher untersucht. Abschließend werden Handlungsfelder der französischen Diplomatie beleuchtet. Umfangreiches Zusatzmaterial in Form von Karten, chronologischen Listen von Mandats- und Funktionsträgern wie auch Organigrammen der Behörde ergänzt auf insgesamt rund 40 Seiten die Darstellung.

Vaïsse bezeichnet in seiner »Introduction générale« den Untersuchungszeitraum als »période de réformes incessantes« (S. 27), die er als Reaktion auf die sukzessive Wandlung der weltpolitischen Rahmen­bedingungen versteht. Erfreulicherweise stellt der Herausgeber bereits an dieser Stelle die kritische Frage nach der Notwendigkeit all dieser Reformen: Gerade in der Hoheitsdomäne der Außenpolitik könne man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Reformmanie sei vor allem ein »impératif en soi« (S. 42). Auf die einzelnen Beiträge wird leider nicht eingegangen, wohl aber werden zwei Grundproblematiken in der Entwicklung des Quai d’Orsay identifiziert: Personelle wie finanzielle Einsparungen, vor allem jedoch die präsidentielle Dominanz der Außenbeziehungen.

Angesichts dieser verfassungsrechtlichen Grundkonstante widmet der Sammelband seinen ersten Teil den für die französische Diplomatie maßgeblichen Entscheidungsinstanzen: Beiträge über den franzö­sischen Präsidenten wie auch sein Umfeld, den Premier- und den Außenminister samt Kabinett und schließlich das Parlament sind hier zu finden. Bereits in der kurzen Hinführung wird die herausragende Stellung des Staatspräsidenten für die französische Außenpolitik betont, die bis heute als »domaine réservé« (S. 45) gilt. Trotz vielfacher Versuche und Ansprüche, die Parlamentarisierung der Außenpolitik voranzutreiben, gilt somit nach wie vor: »La politique étrangère se fait donc à l’Éysée« (S. 45). Frédéric Bozo unterstreicht allerdings zu Recht, dass die Ausübung dieses Hoheitsrechts nicht nur von verfassungsrechtlichen Konstellationen, sondern auch von ihrer Auslegung durch de Gaulle herrühre, welche sich bis heute erhalten und durch den Übergang von der 7- zur 5-jährigen Präsidentschaft noch verstärkt habe. Dem Außenminister und seiner Behörde komme laut Vaïsse im Spannungsfeld der Verfassungsorgane lediglich eine Interpretationsfunktion der präsidentiellen Außenpolitik zu. Seine »missions essentielles d’information, d’analyse, de représentation, de négociation« (S. 45) hat der Quai d’Orsay im Zuge dieser Reformen jedoch verstanden zu verteidigen.

Das größte Kapitel des Hauptteils beleuchtet die Zentrale in Paris und fragt nach Transformationen innerhalb der Behörde selbst. Der Generalsekretär, die dem Minister nachgeordneten wie auch die einzelnen Abteilungen und Akteure außerhalb des Ministeriums werden hier eingehend analysiert, Subgliederungen ausführlich betrachtet, einzelne Positionen in ihrer Bedeutung untersucht. So sieht sich die »direction politique« als eine der wenigen »Überlebenden« (S. 117) diverser Reformbestrebungen, ihre Stellung blieb weitgehend unangetastet. Im Gegensatz hierzu war der »service du protocole« massiven Umgestaltungen ausgesetzt: Seit den 1980er Jahren konnte dieser zwar sowohl personell als auch budgetär einen deutlichen Zuwachs an Mitteln verzeichnen, seine Kompetenzen wurden aber auch zunehmend zwischen unterschiedlichen Behörden aufgeteilt. Bemerkenswert ist ebenfalls die seit den 1990er Jahren verstärkte Auslagerung ministerieller Kompetenzen auf primär zivilgesellschaftliche, aber z. T. vom Staat unterstütze Organisationen mit öffentlichem Auftrag wie etwa das Institut français oder Campus France.

In den Teilen III bis V werden die Außenstellen, Instrumente diplomatischer Aktion wie auch diplomatische Handlungsfelder betrachtet. Am ausführlichsten werden hier erfreulicherweise nach einem doch sehr institutionenlastigen Teil die diplomatischen Handlungsfelder des Quai d’Orsay behandelt. Die Entwicklung des Netzwerks diplomatischer Vertretungen – eines der größten und dichtesten weltweit – sah sich ebenso einem stetigen Wandel unterworfen (was aber im Gegensatz zur Zentrale eine Neuerung für die bis dato von Reformen weitgehend verschonten Außenstellen bedeutete) wie die Rolle des Botschafters selbst, der ein ganzes Kapitel gewidmet ist. Veränderungen im Rollenverständnis wurden bis dato, wenn sie denn Erwähnung fanden, lediglich innerhalb der einzelnen Kapitel erwähnt. Kurzzusammenfassungen über das »réseau culturel« (S. 272) oder aber über die französischen Botschafter in Bonn und Berlin geben kompakte Zusatzinformationen.

Der vierte Teil des Sammelbandes geht auf personelle und finanzielle Rahmenbe­dingungen ein und beleuchtet neben den Veränderungen in der Rekrutierungspraxis auch die sozialstrukturelle Seite des diplomatischen Korps. Die Quintessenz hier scheint jedoch der Verweis auf ein fortbestehendes Forschungsdesiderat zu sein, das durch mangelnde Daten oder deren beschränkte Zugänglichkeit bedingt ist. Der Abschlussteil fokussiert sich schließlich auf die (aus geschichtswissenschaftlicher Sicht mit am interessantesten) diplomatische Praxis: Sechs diplomatische Handlungsfelder von der Sicherheits- und Europapolitik hin zur Kulturdiplomatie, heute »les politiques d’influence« (S. 381), werden hier identifiziert und in ihrer Entwicklung und mit ihren Herausforderungen für den Quai d’Orsay betrachtet.

Fazit: Ein gut lesbares, detailreiches Werk, welches die aktuellen Entwicklungen der Präsidentschaft Emmanuel Macrons bereits miteinbezieht und durchaus auch zum Nachschlagen für Fachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sowie für Laien geeignet ist. Die Entwicklung des Quai d‘Orsay schreibt sich in die globalen Tendenzen der untersuchten Zeit ein. Zusätzlich stellen sich ihm genuin französische Herausforderungen, bedingt durch politische Kultur und verfassungsrechtliche Vorgaben. Beide Linien werden gekonnt herausgearbeitet.

Wünschenswert wäre lediglich eine deutlichere Akzentuierung intraministerieller Entscheidungswege wie auch generell des Zusammenspiels der einzelnen Abteilungen untereinander gewesen. Fragen zu verwaltungskulturellen Aspekten finden ebenfalls kaum Berücksichtigung. Die Abfassung einer »histoire administrative du ministère des Affaires étrangères« (S. 417) ist trotz allem gelungen. Der Tenor der sich im Grunde seit der Etablierung der »new diplomacy« in Bedrängnis befindenden Diplomaten schließt auch diesen Sammelband durch die Erkenntnis, dass es trotz oder gerade angesichts von Rationalisierung und Digitalisierung keine »grande diplomatie sans diplomates« (S. 425) geben kann. Mit Sicherheit keine falsche Einschätzung.

1 Jean Baillou, Les Affaires étrangères et le corps diplomatique français, Bd. 2, 1870–1980, Paris 1984.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Yvonne Blomann, Rezension von/compte rendu de: Maurice Vaïsse (dir.), Diplomatie française. Outils et acteurs depuis 1980. Préface de Jean-Yves Le Drian ministre de l’Europe et des Affaires étrangères, Paris (Odile Jacob) 2018, 494 p., ISBN 978-2-7381-4483-6, EUR 27,00., in: Francia-Recensio 2019/3, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.3.66605