Der hl. Robert von Turlande entstammte einer adligen Familie und war zunächst Kanoniker im Stift Saint-Julien von Brioude, das er zu einem unbekannten Zeitpunkt verließ, um ein eremitisches Leben zu führen. Nachdem sich ihm immer mehr Gleichgesinnte angeschlossen hatten, gab er die Einsiedelei auf und gründete um 1043 mit der Unterstützung seines Onkels, des Bischofs Renco von Clermont, das Kloster La Chaise-Dieu, in dem er 1067 starb und begraben wurde. Das Kloster in der Auvergne nahm unter den Nachfolgern Roberts einen rasanten Aufschwung und stand bald an der Spitze eines nach cluniazensischem Modell gebildeten Verbands abhängiger Klöster und Priorate, der schon vor der Jahrhundertwende auch nach Italien und Spanien ausgriff.
Nach der Gründungs- und ersten Expansionsphase erlebte La Chaise-Dieu seinen zweiten großen Moment kurz vor der Mitte des 14. Jahrhunderts, als Pierre Roger, Profess der Abtei, zum Papst Clemens VI. (1342–1352) gewählt wurde. Mit Gregor XI. (1370–1376), seinem Neffen, brachte die Abtei sogar einen zweiten Papst hervor. Clemens VI. sorgte für den gotischen Neubau von Kirche und Konventsgebäuden und ließ sich nach seinem Tod in La Chaise-Dieu bestatten. Die Abtei überstand auch die Epoche der Kommendataräbte nach 1518, als vom König ernannte Nicht-Professen das Kloster regierten. 1640 schloss sich La Chaise-Dieu den Maurinern an, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Konventsgebäude erneuerten, die gotische Kirche aber unverändert ließen.
Der Band vereint die 27 Beiträge einer Tagung, die der CERCOR (Centre européen de recherche sur les communautés, congrégations et ordres religieux) 2016 in der Abtei veranstaltete. Er ist dem Andenken an Pierre-Roger Gaussin (1922–1999) gewidmet, dessen 1962 erschienene Monografie über die auvergnatische Abtei die Forschung bis heute prägt. Auf die elf archäologischen und kunsthistorischen Beiträge und die zwei Beiträge zur Orgel kann nicht im Einzelnen eingegangen werden. Stellvertretend genannt seien hier nur der Beitrag von Damien Martinez und David Morel, »L’Ecclesia vetus de la Chaise-Dieu. Données textuelles et archéologiques«, S. 75–90, die dem romanischen Vorgängerbau Saint-Vital-et-Saint-Agricole nachspüren, der 1095 von Urban II. geweiht wurde.
Die 14 im engeren Sinne historischen Beiträge bieten chronologisch wie geografisch ein breites Spektrum: Sébastien Fray, »Les enjeux d’une fondation monastique en Auvergne au milieu du XIe siècle. Le cas du diplôme d’Henri Ier pour la Chaise-Dieu«, S. 261–280, beschäftigt sich, ausgehend von dem verfälschten Diplom Heinrichs I. von 1052, mit der Gründungsgeschichte der Abtei. Die nur in späten Abschriften erhaltene Urkunde wurde nach S. Fray kurz vor der Mitte des 13. Jahrhunderts »ergänzt«, um die custodia Alfonsʼ von Poitiers, des Bruders Ludwigs des Heiligen, abzuwehren. In den zwei Jahrhunderten davor hatte man die Urkunde weitgehend verschwiegen, da sie die bischöfliche Kontrolle über La Chaise-Dieu festschrieb, von der Abt Seguin (1078–1094) die Abtei durch ein Privileg Gregors VII. von 1080 (JL 5159) befreit hatte.
Auch im Beitrag von Cristina Andenna, »Memoria agiografica e istituzionalizzazione della congregazione della Chaise-Dieu. La Vita di Roberto di Turlande di Marbodo di Rennes«, S. 281–316, geht es um die Gründungsgeschichte und den Gründer, wie sie in der von Marbod von Rennes kurz vor 1123 verfassten Vita dargestellt werden. Das von Abt Seguin in Auftrag gegebene Werk basiert auf einer verlorenen Vorlage eines Schülers Roberts und erweist sich als eine réécriture der Kirchenreform, die den novus sanctus gegen Kritik des traditionellen benediktinischen Mönchtums verteidigt.
In die Zeit der frühen Expansion führen auch Patrick Demouy, »La réforme de Saint-Nicaise de Reims par la Chaise-Dieu«, S. 491–502, und Thomas Lecaque, »La piété de l’Auvergne, la piété de la Croisade. La Chaise-Dieu, Raymond de Saint-Gilles et la Première Croisade«, S. 503–522. Pierre-Yves Laffont, »Les dépendances de la Chaise-Dieu sur les contreforts est du Massif central (diocèses de Vienne, Valence et Viviers). Les éléments d’un réseau (XIe–XIIIe siècle)«, S. 317–354, untersucht das Ausgreifen der Abtei in die Diözesen Vienne, Valence und Viviers, wo die Konkurrenz mit anderen Abteien, insbesondere Saint-Chaffre, dem Verband von La Chaise-Dieu trotz laikaler Förderung Grenzen setzte.
Francisco Javier Peña Perez, »Monasterio de San Juan de Burgos, Priorato de Casa Dei (1091–1436) «, S. 355–367, stellt einen frühen Außenposten in Spanien vor, Francesco Panarelli, »La presenza dei monaci della Chaise-Dieu in Italia meridionale«, S. 369–392, das von Roger II. nach 1139 übertragene Priorat S. Maria di Juso (Montepeloso). Emmanuel Moureau, »Des chanoines bénédictins. Le passage des moines de Montauban d’une abbaye casadéenne à un chapitre cathédral«, S. 547–561, behandelt die Abtei Saint-Théodard de Montauriol, die seit 1079 La Chaise-Dieu unterstand und 1318 dann von Johannes XXII. zum Sitz eines neuen Bistums (Montaubun) erhoben wurde.
Der Beitrag von Martin de Framond, »Le déclin des Rogier Beaufort Canillac. Relations de la Chaise-Dieu avec une grande famille laïque (XVe siècle)«, S. 417–444, gilt der Familie Clemensʼ VI. unter den nachfolgenden Generationen. Sylvain Excoffon, »L’ordre de la Chaise-Dieu et ses établissements (fin XIVe–début XVe siècle)«, S. 393–416, gibt eine Bestandsaufnahme des zum Orden mutierten Verbands an der Wende zum 15. Jahrhundert, während Philippe Racinet, »Autour d’une congrégation puissante, ordre de Cluny et sentiment clunisien (XIIIe–XVe siècle)«, S. 523–545, komparatistischen Wert besitzt.
Die Beziehungen zu den Bettelorden analysiert Ludovic Viallet, »Les religieux mendiants entre le Rhône et l’Auvergne. Présence et influence autour de la Chaise-Dieu (début XIVe–début XVIe siècles)«, S. 563–589. Die Beiträge von Bertrand Marceau, »Pouvoir politique et autonomie monastique à la Chaise-Dieu au temps de la commende (XVIe–XVIIe siècles)«, S. 445–460, und Philippe Castagnetti, »L’histoire au prisme de la liturgie. La mémoire de la congrégation de la Chaise-Dieu dans le Proprium de 1765«, S. 461–488, gelten der neuzeitlichen Epoche, die für La Chaise-Dieu keine Zeit des Niedergangs war.
Der Band wird durch zwei Namensregister erschlossen und enthält Kurzzusammenfassungen der Beiträge in verschiedenen Sprachen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Beate Schilling, Rezension von/compte rendu de: Frédérique-Anne Costantini, Daniel-Odon Hurel, Thierry Pécout (dir.), La Chaise-Dieu. Communauté monastique et congrégation (XIe siècle–fin de l’Ancien Régime), Limoges (Pulim) 2019, 638 p., 27 n/b, 46 ill. en coul. (CERCOR. Congrégations, ordres religieux et sociétés, 26), ISBN 978-2-84287-735-4, EUR 38,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68298