Der auf eine 2012 in England organisierte Konferenz zurückgehende Sammelband macht die bereits 2013 veröffentlichten Beiträge nun als Paperback verfügbar. Im Zentrum der Untersuchungen steht die männliche Identität frommer Männer, eine Kategorie, die Heilige, Kleriker und fromme Laien umfasst. Abgesehen von zwei zeitlichen Ausreißern liegt der Fokus eindeutig auf dem 11. bis 16. Jahrhundert. Auch regional ist die Reichweite durch einen nicht weniger deutlichen Schwerpunkt auf Nordfrankreich und England beschränkt. Die dritte Beschränkung liegt in der Quellenauswahl. Fast alle Studien gehen von normativen, bewusst gestalteten Texten aus, die sich an die geistliche und weltliche Oberschicht richten. Damit steht der Band quer zur sozialgeschichtlich orientierten Geschlechtergeschichte, die den deutschen Forschungshorizont prägt.
Ein zentrales Thema des Bandes ist die zur geschlechtsspezifischen Qualität erhobene geistliche Stärke frommer Männer, die je nach Standpunkt und Zeit mehr oder weniger aggressiv und mehr oder weniger sexualfeindlich interpretiert wird. Während in der Torah-Exegese des 3. Jahrhunderts der Schwerpunkt auf der Kontrolle des bösen Willens liegt, nimmt diese Stärke, so Michael L. Saltow, ein Jahrhundert später die weit dramatischere Form eines Kampfs gegen das Böse an. Eine ähnliche Verlagerung wird in den normannischen Streitschriften des 11. und 12. Jahrhunderts sowie in den historischen Schriften Heinrichs von Huntingdon greifbar. Jennifer D. Thibodeaux und Kirsten A. Fenton legen dar, dass die Befürworter der Priesterehe (zu denen Heinrich von Huntingdon zählte) nicht die Ziele der Reformer, sondern lediglich den von ihnen eingeschlagenen Weg zu ihrer Umsetzung infrage stellen. Die Kritiker des Pflichtzölibats erkennen also durchaus sexuelle Reinheit als Ziel an, aber sie deuten sie nicht als Verzicht auf Sexualität, sondern beziehen sie auch auf eine im Rahmen der Ehe ausgelebte, »männliche« Kontrolle verlangende Sexualität.
Ein zweites Leitthema des Bandes stellt der Kontrast zwischen dem Anspruch klerikaler Überlegenheit und der gesellschaftlichen Realität dar. In den Briefen Hinkmars von Reims wird dieser, so Rachel Stone, mit Hilfe des Konzepts von Demut und Buße auf Erden »aufgehoben«, bis die klerikale Überlegenheit dann im Jenseits zur vollen Entfaltung kommt. Ähnlich zeigt Matthew Mesleys Darstellung der Rolle Ademars von Le Puy in der Untersuchung der Kreuzzugschroniken, dass es den Autoren um die nachträgliche Begründung der spirituellen Autorität des Bischofs ging. Beide Studien beziehen sich zwar auf den geschlechtergeschichtlichen Ansatz, allerdings stellt sich die Frage, ob hier nicht lediglich der alte Wein der Klerusforschung in den neuen Schlauch der Männlichkeitsforschung gegossen wird. Das gilt tendenziell auch für James G. Clarks Studie zu den Motiven für den Ordenseintritt von Männern im spätmittelalterlichen England. Clark zufolge weist die vornehmliche Rekrutierung von jungen Männern mit Vorbildung aus den Nachgeborenen des Niederadels und dem Bürgertum auf eine Professionalisierung. Die Entscheidung für eine fast sichere Karriere, die in der Besetzung von weltliche Autorität verleihenden Stellen mündete, verlieh den Ordensangehörigen dann, so Clark, eine Form von Männlichkeit, die der ihrer einflussreiche Posten in der Welt bekleidenden Verwandten gleichkam.
Auch Johanna Huntingdons Analyse der aus dem 12. Jahrhundert stammenden »Gesta Herewardi« unterstreicht die Bedeutung des Postulats der klerikalen Überlegenheit für die Tradition. Ihr zufolge entspricht die Darstellung des Wegs Herewards vom rebellischen jugendlichen Helden bis zum gereiften adligen Hausherrn den Interessen des Klosters Fly, dem sie die Autorschaft zuschreibt. Obwohl die These einer klerikalen Prägung des adligen Männlichkeitsideals im Hinblick auf die abschließende Unterwerfung des Helden unter die Autorität des Abts durchaus überzeugend ist, bleibt freilich die Frage offen, was diese Verzerrung für die Darstellung der wilden Jahre Herewards bedeutet. Und wenn es hier um eine klerikale Deutung der Sozialisation zum adligen Mann geht, wie muss man sich dann den sozialen Gebrauch der Geschichte und ihre Wirksamkeit vorstellen?
Drei weitere Beiträge kreisen um das Ideal einer spirituellen Männlichkeit, das in Heiligenviten sichtbar wird. Marita von Weissenberg analysiert die Viten des sienesischen Kammmachers Piettro Pettinajos und des italienischen Grafen Elzear de Sabrans aus dem 13. bzw. 14. Jahrhundert, und Katherin J. Lewis setzt sich mit John Blacmans Darstellung des Lebens Heinrichs VI. aus dem 15. Jahrhundert auseinander. Beide arbeiten heraus, dass die Titelheiligen in den Viten gerade durch die Erfüllung der ihnen als Mann obliegenden sozialen Pflichten als Handwerker und Stadtbürger sowie Lehensherr oder König als Vorbild für die Laien fungieren können.
Die Verbindung von weltlichen Pflichten und geistlichen Tugenden setzt voraus, dass die Vorstellung von Männlichkeit spiritualisiert wird. Leider fehlt, abgesehen von lakonischen Hinweisen auf das franziskanische Milieu bei von Weissenberg, eine genauere Einordnung der zutage tretenden Vorstellungen. Wie erhellend eine solche Situierung sein kann, zeigt die Studie Catherine Sanoks über die aus dem 15. Jahrhundert stammende mittelenglische Vita des John of Bridlington. Sanok gelingt es, eine Verbindung zwischen dem Ideal des »mixed life« und der in der Vita propagierten, ständeübergreifenden Vorstellung eines guten Lebens zu ziehen, die alle sozialen Schichten und auch Frauen ansprach.
Alle Studien und nicht zuletzt die Einleitung sind beispielhaft in ihrem theoretischen Selbstbewusstsein. Aber die Freude an der Theorie geht leider manchmal mit einer gewissen Lässigkeit in Bezug auf die empirische Basis einher. Eine Ableitung der männlichen Identität aus der bloßen Situierung eines Mönches als Autoritätsperson, wie James G. Clarke es tut, ist methodisch gesehen anfechtbar, wenn man den Horizont um Äbtissinnen und Königinnen erweitert. Und wer wie Rachel Stone mit der Patrologia statt der MGH oder wie Marita von Weissenberg für die Vita des Piettro Pettinajo mit einer älteren Übersetzung arbeitet, verbaut sich den Weg zu einer Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Nomenklatur, die durchaus Beachtung verdient. Hinzu kommt eine zu stromlinienförmige, widersprüchliche Tendenzen im Text ausblendende Interpretation und eine Neigung zum Essenzialismus, wenn männliches Handeln und Männlichkeit gleichgesetzt wird.
Wie problematisch eine solche Argumentation ist, zeigt die den Band abschließende Auseinandersetzung von Patricia H. Cullum mit Caroline Walker Bynums Postulat einer von weiblichen Erfahrungen geprägten Frömmigkeit der Frauen im Spätmittelalter. In Cullums kritischer Forschungsanalyse werden sowohl die Überschneidungen von weiblicher und männlicher Frömmigkeit als auch ihre Unterschiede herausgearbeitet. Abschließend zeigt die Studie damit, was der Band über weite Strecken vermissen lässt: einen Horizont, der Männergeschichte nicht als Geschichte der Männer begreift, sondern im Vergleich und in der Differenzierung den Anschluss zu der auf Frauen bezogenen Geschlechtergeschichte sucht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Beate Schuster, Rezension von/compte rendu de: Patricia H. Cullum, Katherine J. Lewis (ed.), Religious Men and Masculine Identity in the Middle Ages, Rochester, NY (The Boydell Press) 2019, X–214 p., 2 b/w fig. (Gender in the Middle Ages, 9), ISBN 978-1-78327-368-3, USD 25,95., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68300