Das von Mario Damen, Jelle Haemers und Alastair J. Mann herausgegebene Buch präsentiert Ergebnisse dreier Workshops eines internationalen Netzwerkes zur Untersuchung politischer Repräsentation im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa. Die Tagungen fanden 2012-2014 im Huygens Institut in Den Haag, am Stirling Centre for Scottish Studies und in Löwen statt. Diese Dreiteilung spiegelt sich auch im Aufbau des Bandes wider: Die erste Sektion beschäftigt sich unter dem Titel »Top-down or Bottom-up? Princes, Communities and Representation« mit Methodendiskussion und Forschungsterminologie. Die zweite fragt nach der Zusammensetzung der Ständeversammlungen und bezieht Ergebnisse prosopografischer Forschungen ein. Der dritte Abschnitt untersucht Diskurse und Ideologien.
Insbesondere im ersten Teil setzen sich mehrere Autoren mit den von David Stasavage1 vertretenen Thesen auseinander. Wiederholt zitiert und kommentiert wird auch die von Michel Hébert 2014 vorgelegte vergleichende Darstellung »Parlementer. Assemblées représentatives et échanges politiques en Europe occidentale à la fin du Moyen Âge«. Hébert geht dort vor allem auf die Verhältnisse in Frankreich, England und auf der Iberischen Halbinsel, besonders auf Aragón, ein. Der hier vorgestellte Band verfolgt ebenfalls einen vergleichenden Ansatz. Die Wirkungsstätten der Initiatoren in den Niederlanden, Belgien und Schottland schlagen sich auch im geografischen Zuschnitt nieder.
Im Zentrum stehen Artikel zu den burgundischen Niederlanden, dem Herzogtum Brabant, dem Hennegau (Hainaut), den niederländischen Generalstaaten der Frühen Neuzeit und den Britischen Inseln (Schottland, England, Irland). Sie werden durch Beiträge zu Kastilien, norditalienischen Stadtstaaten, zu Territorien im mittelalterlich-frühneuzeitlichen Reich (Hessen, Württemberg) und durch allgemeinere vergleichende Betrachtungen ergänzt. Chronologisch reicht der Untersuchungszeitraum vom 13. Jahrhundert bis ca. 1690. Das Enddatum wurde gewählt, da zu diesem Zeitpunkt zumindest in Westeuropa die meisten der »modernen Staaten« im Wesentlichen ihre grundlegende Form erreicht hätten (S. 3). In ihrer Einleitung formulieren die Herausgeber das Ziel, Lücken in der Erforschung europäischer Ständeversammlungen zu schließen und zu einer methodischen Erneuerung beizutragen. Dabei rücken sie drei Aspekte in den Vordergrund: das Verhältnis zwischen Impulsen »von oben« und »von unten« innerhalb der als Plattform des politischen Dialogs angesehenen Institutionen; die Möglichkeiten, Ergebnisse prosopografischer Forschungen mit beobachteten Veränderungen des politischen Dialogs in Verbindung zu bringen und die Frage danach, ob und wie derartige Entwicklungen bestimmte Muster innerhalb des politischen Diskurses hervorbrachten (S. 3). Die in der jüngsten Forschung oft vehement diskutierte Alternative von »Top-down-« oder »Bottom-up-Zugriffen« wird als zu starke Vereinfachung kritisiert. Es habe kein Standard-Modell politischer Repräsentation gegeben, sondern die diesbezüglichen Versammlungen seien in erster Linie Ausdruck der politischen Bestrebungen der mächtigsten gesellschaftlichen Akteure gewesen (S. 4).
Das erste Kapitel von Peter Hoppenbrouwers setzt sich anhand verschiedener europäischer Beispiele mit der Rolle der Ständeversammlungen und ihrer Terminologie auseinander. Der Autor betont den Unterschied zwischen vormodernen Ständeversammlungen und Vorstellungen von Repräsentation und heutigen, demokratischen Parlamenten, der sich auch in der Forschungsterminologie deutlich niederschlagen müsse. María Asenjo González stellt den hochinteressanten Fall der spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen kastilischen cortes vor. Dort zeigte sich bei den städtischen Prokuratoren eine bemerkenswerte Entwicklung: Ursprünglich handelte es sich um Vertreter ihrer Herkunftsstadt, deren Handlungsspielräume im Laufe der Zeit erheblichen Veränderungen ausgesetzt waren. Es kam zu einer Aristokratisierung. Dem Adel entstammende Personen, die zu Vasallen der Krone wurden, arbeiteten schließlich (mit durchaus zwiespältigen Folgen) eng mit ihr zusammen.
Marco Gentile stellt, insbesondere anhand der Fallbeispiele Parma, Piacenza und Alessandria und des Herzogtums Mailand, sehr wichtige Überlegungen zur historiografischen Beurteilung der italienischen Stadtstaaten an. Deren territoriale Dimension werde zu häufig übersehen, und die Grenzen zwischen Stadt- und Territorialstaaten seien fließend.
Parteibildungen spielten eine herausragende Rolle. Abhängige Städte verfügten in der Regel nicht über eine eigene Vertretung. Coleman A. Dennehy behandelt den irischen Fall, den er mit der englischen Entwicklung kontrastiert (z. B. schwache Vertretung gälischer Bevölkerungsteile, andere Rolle des niederen Klerus, rechtlicher Ausschluss der Katholiken aus dem Parlament 1691). Tim Neu stellt mit der durch einen minderjährigen Thronerben in Hessen ausgelösten dynastischen Krise und Regentschaftsdiskussion (1509) und der württembergischen Debatte um die Absetzung des Herzogs Eberhards II. (1498) zwei aufschlussreiche Fallstudien zur Entwicklung deutscher Territorien und ihrer Einbettung in die komplizierten politischen Verhältnisse des Reichs dar.
Michael Penman gewährt einen sehr fundierten Einblick in die Geschichte schottischer Versammlungen während der Regierungszeit König Roberts I. (um 1286–1329), die ebenfalls durch Nachfolgeprobleme gekennzeichnet war. Der Artikel von Alastair J. Mann untersucht die Herkunft schottischer Parlamentsmitglieder der Frühen Neuzeit sowie die Rolle und Karriere königlicher Amtsträger, die teilweise ex officio im dortigen Parlament saßen (S. 150) – sich trotzdem mitunter aber auch gegen Entscheidungen ihres Herrn stellten.
Mario Damen greift für das Studium Brabants auf eine Ladungsliste von 1406 und auf Zeugenlisten zurück. Seine Ergebnisse zeigen, dass in dieser Region die von der Forschung oft postulierte scharfe Trennung von Adel und Stadtbürgern nicht gegeben war. Adelige übten städtische Ämter aus. Da sie auch Lehen unterschiedlicher Herren besaßen, entspräche die Idee klarer territorialer Grenzen nicht der Realität. Ida Nijenhuis spürt für die niederländischen Generalstaaten (1626–1630) der faktischen Dominanz der Provinz Holland und Strategien zu deren Behauptung sowie der Funktion von Ausschüssen nach. Die fünf Aufsätze des letzten Teiles behandeln bedeutende kulturgeschichtliche Aspekte. Robert Stein präsentiert für Brabant die enge Verbindung von städtischen Wertvorstellungen und der Identifizierung mit dem Herzog als Symbol der Einheit im Werk des Chronisten, Dichters und städtischen Schreibers Jan van Boendale aus Antwerpen (vor allem in der volkssprachlichen Reimchronik »Brabantsche Yeesten«, entstanden ab ca. 1316).
Derartige Texte weisen Parallelen zu Schriften städtischer Autoren aus dem Reichsgebiet auf. Marie van Eeckenrode präsentiert den Fall des Hennegaus (15.–16. Jh.). Dort bemühten sich die politischen Akteure nachdrücklich darum, ein Bild der Harmonie und der Einstimmigkeit bei der Beschlussfassung zu vermitteln. Dieses Territorium verfügte, anders als sonstige Territorien der burgundischen Niederlande, weder über starke Handwerks-Korporationen noch über mächtige Kaufmannseliten. Dennoch gelang es den Ständen, eine entscheidende Rolle bei der politischen Hinwendung zu Philipp dem Guten zu spielen.
Jan Dumolyn und Graeme Small knüpfen unter Rückgriff auf das SPEAKING-Modell von Dell Hymes an frühere grundlegende Studien zur politischen Sprache, Rhetorik und Argumentation in Burgund unter der Herrschaft der Valois und der Habsburger an (ca. 1370–1530). Es sei damals zur Entstehung einer gemeinsamen politischen Sprache der Akteure der Zeit gekommen. Der Text von David Grummit zum öffentlichen Raum in England und zum Kent der Lancaster-Zeit geht auf eine Reihe hochinteressanter Aspekte, wie der Folgen der Erfahrungen des Hundertjährigen Krieges (z. B. in den besonders betroffenen Cinque Ports), der in Petitionen, Balladen und (indirekt) selbst im Herrscherlob geäußerten Kritik und ihrer Verbindungen zum Parlamentsmilieu ein. Er fordert zu Vorsicht im Umgang mit dem Konzept der Öffentlichkeit auf.
Wim Blockmans entwirft in einem bilanzierenden Artikel ein weitgespanntes europäisches Panorama. Dabei stellt er fünf Faktoren in den Vordergrund: 1. die Geografie; 2. die Ausbildung politischer Gemeinschaften; 3. die wirtschaftlichen und sozialen Charakterzüge der jeweiligen Gesellschaft; 4. die Zusammensetzung und die Kohärenz der politischen Elite und 5. politische Konflikte und Institutionalisierung. In ihrer Zusammenfassung kommen die Herausgeber zum Ergebnis, die vorgelegten Studien hätten die These von einem gemeineuropäischen Muster politischer Repräsentation erhärtet.
Insgesamt gesehen liefert das Buch einen sehr fundierten Überblick zum Stand der vergleichenden und der auf unterschiedliche Reiche und Territorien bezogenen Forschungen zu politischer Repräsentation und Ständeversammlungen. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Diskussion neuerer Forschungsansätze und theoretischer Modelle und gibt äußerst vertiefenswerte Anregungen für künftige Forschungen. Dazu gehören beispielsweise die Rolle und das politische Gewicht der in Ständeversammlungen (manchmal sogar ex officio) vertretenen königlichen Amtsträger, die Vertretung »unterworfener« bzw. minder mächtiger Städte im Verhältnis zu dominierenden Metropolen und die Stellung des – im Verhältnis zur Welt der Städte – regional ganz unterschiedlich positionierten Adels.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Mario Damen, Jelle Haemers, Alastair J. Mann (ed.), Political Representation. Communities, Ideas and Institutions in Europe (c. 1200–c. 1690), Leiden (Brill Academic Publishers) 2018, VIII–332 p. (Later Medieval Europe, 15), ISBN 978-90-04-35241-4, EUR 130,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68301