Der Sammelband ist hervorgegangen aus mehreren Workshops, die an der FU Berlin und der Ben-Gurion Universität in Israel veranstaltet wurden und sich, wie der Titel schon sagt, mit den Quellenaussagen zu den merowingischen Königreichen und ihren vielfältigen Beziehungen zu den anderen Reichen rund um das Mittelmeer auseinandergesetzt haben. Auch wenn die verschiedenen Quellengattungen einbezogen werden, belegt das Buch einmal mehr die alles überragende Rolle Gregors von Tours, der nicht nur in den Historien, sondern auch in seinen hagiografischen Werken durch seine vielen kulturgeschichtlichen Informationen unseren Horizont bestimmt. Sowohl die Einführung von Pia Lucas und Tamar Rotman (S. 1–9) als auch die geografischen und historischen Erläuterungen der Mittelmeerwelt von Yitzhak Hen (S. 11–18) bilden, mit Karten versehen, einen guten Auftakt.
Mit den Historien Gregors von Tours beschäftigt sich sodann Helmut Reimitz, »True Differences: Gregory of Tours’ Account of the Council of Macon (585)« (S. 19–29), der zeigen kann, wie selbstständig, d. h. unabhängig von den Kanones dieses Konzils, Gregor von Tours seinen Bericht gestaltet hat, damit sein historiografisches Konzept einer Verbindung der merowingischen Könige und Bischöfe mit Gott, seiner lex dei, zur Geltung kam. Anna Gehler-Rachunek, »East and West from a Visigothic Perspective: How and Why Were Frankish Brides Negotiated in the Late Sixth Century?« (S. 31–40), behandelt nochmals den bekannten Konflikt zwischen Leovigild und seinem Sohn Hermenegild, der mit einer Tochter Brunichilds verheiratet war, sowie die Beziehungen des Nachfolgers Reccared zu den merowingischen Königen im Spannungsfeld zwischen arianischer und katholischer Konfession.
Hope Deejune Williard, »Friendship and Diplomacy in the Histories of Gregory of Tours« (S. 41–54), untersucht den vieldeutigen amicitia-Begriff im Werk Gregors, der sowohl persönlich-private als auch diplomatische Verbindungen bedeuten konnte. Eine die Historien ergänzende Quelle zum Konflikt mit dem Westgotenreich und Byzanz, das in den Konflikt eingriff, in der Zeit Leovigilds sind die berühmten »Epistolae Austrasiacae«. Bruno Dumézil, »Private Records of Oilkiai Diplomacy: The Franco-Byzantine Letters in the Austrasian Epistolar Collection« (S. 55–63), nimmt die in den letzten Jahren intensivierte Diskussion zu ihrer Entstehungszeit und ihrem Urheber wieder auf und macht eine über mehrere Etappen bis zum Codex unicus der Sammlung in Lorsch reichende Entstehung sehr plausibel, und auch Yaniv Fox, »The Language of Sixth-century Frankish Diplomacy« (S. 63–77), greift für sein Thema auf diese wichtige Sammlung zurück und gelangt zu dem Schluss, dass merowingische Franken wie Byzantiner dieselbe Rhetorik benutzten.
Den nichthistoriografischen Quellen der Merowingerzeit gelten die folgenden vier Beiträge: Lukas Bothe, »Mediterranean Homesick Blues: Human Trafficking in the Merovingian Leges« (S. 79–92), beschäftigt sich mit dem wichtigen Thema des Sklavenhandels und der rechtlichen Bestimmungen dazu und kann die Kontinuität zeigen, die die Verwendung des Römischen Rechtes in »Lex Salica« und »Lex Ribuaria« beweist. Till Stüber, »The Fifth Council of Orleans and the Reception of the ›Three Chapters Controversy‹ in Merovingian Gaul (S. 93–102), geht auf das wichtige theologische Thema des sog. Drei-Kapitel-Streits anhand eines Briefes ein, den der in Konstantinopel festgehaltene Papst Vigilius an den Bischof Aurelianus in Arles schrieb, und beleuchtet die religiösen und die dilplomatischen Beziehungen zwischen den Merowingern und Italien sowie Byzanz.
Rob Meens, »Reconciling Disturbed Sacred Space: The Ordo for ›Reconciling an Altar Where a Murder Has Been Committed‹ in the Sacramentary (S. 103–112), befasst sich mit dem Sakramentar von Gellone und seinen entsprechenden Bestimmungen, die aus den Asylrechtsbestimmungen des Römischen Rechts abgeleitet waren, und zeigt einmal mehr den großen Einfluss des Römischen Rechts in der Merowingerzeit. Tamar Rotman, »Imitation and Rejection of Eastern Practices in Merovingian Gaul: Gregory of Tours and Vulfilaic the Stylite of Trier« (S. 113–125), interpretiert überzeugend die Episode der Historien über Vulfilaic von Trier, der erfolglos versuchte, im Westen ein »neuer« Simeon Stylites zu werden, was vor allem die merowingischen Bischöfe zu verhindern wussten.
Die Wahrnehmung der »Anderen«, d. h. der Byzantiner, in den merowingischen Quellen ist das Thema des letzten Teils dieses Sammelbandes: Pia Luca, »Magnus et Verus Christianus: The Portrayal of Emperor Tiberius II in Gregory of Tours« (S. 127–140), kann Gregors Quellen und Kenntnisse über die byzantinischen Kaiser offenlegen und zeigen, welche Rolle sie in seinem historiografischen Konzept vom Königtum einnahmen. Stefan Esders, »When Contemporary History Is Caught Up by the Immediate Present: Fredegar’s Proleptic Depiction of Emperor Constans II« (S. 141–150), beschäftigt sich mit dem rund 70 Jahre nach Gregors Historien entstandenen sog. »Fredegar« und zeichnet dessen Sicht der byzantinischen Kaiser nach; außerdem analysiert er Fredegars Wissen über die Ereignisse außerhalb des Merowingerreiches.
Im letzten Beitrag des Bandes ist die Perspektive gewechselt, denn Federico Montinaro, »Byzantium, the Merovingians, and the Hog: A Passage of Theophanes’ ›Chronicle‹ Revisited« (S. 151–158), fragt umgekehrt nach der Sicht einer wichtigen byzantinischen Quelle auf das Frankenreich, genauer gesagt auf das Ende der Merowingerherrschaft und die Kaiserkrönung Karls des Großen, benennt chronologische und sachliche Irrtümer und geht auf die Beeinflussung von Theophanes’ Darstellung durch fränkische Quellen ein.
Eine Zusammenfassung von Yitzhak Hen und Stefan Esders runden den Band ab. Die Anmerkungen zu allen Beiträgen folgen im Anschluss mit Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Orts- und Personennamenregister. Der Band ist eindeutig für ein englischsprachiges Publikum konzipiert, das Literaturverzeichnis enthält zwar auch deutsche Titel, aber es ist nicht immer klar, wo sie benutzt wurden. Jedenfalls ist die Perspektive, der Fragestellung unter dem Gesichtspunkt der Quellen nachzugehen, ein guter Ansatz.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Martina Hartmann, Rezension von/compte rendu de: Stefan Esders, Yitzhak Hen, Pia Lucas, Tamar Rotman (ed.), The Merovingian Kingdoms and the Mediterranean World. Revisiting the Sources, London, New Delhi, New York, Sydney (Bloomsbury Academic) 2019, XII–259 p., 2 b/w fig. (Studies in Early Medieval History), ISBN 978-1-350-04838-6, GBP 115,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68305