Das Anliegen seiner Untersuchung formuliert Simon MacLean, Professor für (früh)mittelalterliche Geschichte an der School of History der Universität von St. Andrews, im ersten Abschnitt des ersten Kapitels seines auf insgesamt neun Kapitel angelegten Buches, schnörkellos und methodisch eindeutig. Durch intensives Quellenstudium möchte er darlegen, warum ausgerechnet die ottonischen Königinnen und Kaiserinnen, also die Frauen der ottonischen Könige (Mathilde, Edgith, Adelheid, Theophanu und Kunigunde) sowie Ottos I. Schwester Gerberga, im Unterschied zu den meisten ihrer karolingischen Vorgängerinnen derart einflussreiche und von den Zeitgenossen und der Nachwelt viel gerühmte Persönlichkeiten waren.
Neben anderen Faktoren, so lautet seine These, seien dafür die ausgeprägte Familienpolitik der Ottonen im ost- und westfränkischen Reich und deren Umgang mit Verbündeten und Feinden verantwortlich. Dabei geht es MacLean weniger um die Untersuchung sämtlicher Entscheidungs- und Handlungsspielräume der Königinnen und Kaiserinnen als vielmehr um die Art, wie deren Herrschaftsausübung in den Quellen repräsentiert und kontextualisiert ist. Nach dem ersten als Einleitung gedachten Kapitel zu »Queens and Dynasties in the Ninth and Tenth Centuries« setzt der Verfasser im zweiten Kapitel zunächst Schwerpunkte auf der Herkunft und deren Bedeutung für den Aktionsradius der frühen Königinnen Edgith und Mathilde.
Damit demonstriert MacLean eindrucksvoll die verschiedenen Verläufe weiblichen Königtums bis in die 960er Jahre. Er zeigt, dass die Sichtweise auf die frühen ottonischen Königinnen stark durch die erst später einsetzende Chronistik geprägt ist, die nach den Maßstäben der eigenen Zeit von einer weitgehend kohärenten Amtsausübung ausging, während die wenigen zeitgenössischen Zeugnisse Umrisse eines noch kaum ausgereiften Verständnisses vom »Amt« der Königinnen erkennen lassen.
In den Kapiteln 3 und 4 steht die Rolle von Gerberga als Mittlerin zwischen dem west- und ostfränkischen Königtum im Mittelpunkt. Sie sei keineswegs nur eine Vertreterin der ottonischen Familienpolitik im Herzogtum Lotharingien, wo sie mit Herzog Giselbert bis zu dessen Tod 939 verheiratet war, und am westfränkischen Hof ihres zweiten Mannes König Ludwigs IV. († 954) gewesen, sondern eine sehr einflussreiche Gestalterin in diesen Reichen; erst recht, als sie zunächst für ihren minderjährigen Sohn Lothar (westfränkischer König von 954 bis 986) die Regentschaft übernahm und über dessen Volljährigkeit hinaus bis zu ihrem Tod 969 bedeutend blieb. Vermutlich wurde für sie als Zeichen der Bewunderung für ihre besondere Rolle als fränkische Königin die »Vita S. Chrothildis«, die Lebensbeschreibung von Königin Chrodechild/Chlothild († 544), Gemahlin Chlodwigs I., abgefasst.
In den folgenden Kapiteln rückt der Autor auch aufgrund der reichhaltigeren Überlieferung die historiografische Resonanz auf die Königinnen noch stärker in den Mittelpunkt. Im fünften Kapitel stellt er die herausragende Stellung Adelheids, der Tochter aus dem burgundischen Königshaus, Gemahlin des Königs von Italien in erster Ehe und Ottos I. in zweiter Ehe, für die Legitimierung von Ottos Italieninvasion heraus, die sich auch in der Bezeichnung als consors regni in dessen Königsurkunden widerspiegelt.
In Kapitel 6 wird Adelheids (durchaus unterschiedliches) Ansehen bei Liudprand von Cremona (»Antapodosis«) und Hrotswith von Gandersheim (»Gesta Ottonis«) als ebenso bedeutend für die Etablierung der Ottonen als Herrscherdynastie wie für die Auffassung von Königinnentum analysiert. Als eine Fortsetzung dieser Traditionslinien sieht MacLean die illustre Herrschaftszeit Theophanus, der Gemahlin Ottos II. und Mutter Ottos III., an und rückt damit von der weithin akzeptierten Ansicht ab, dass Theophanu vor allem aufgrund ihrer byzantinischen Herkunft eine gegen alle Anfeindungen durchsetzungsstarke Herrscherin war, zumal sie als landfremde Kaiserin nicht auf die Beziehungsnetze ihrer Ursprungsfamilie zurückgreifen konnte (Kap. 7).
Zu einer »Neuerfindung« des Königinnentums sei es dagegen mit Kunigunde, der Frau Heinrichs II., als letzter ottonischer Königin, gekommen, symbolisiert durch deren Herrschaftsantritt mit Salbung und Krönung gemäß dem Krönungsordo (III.) aus dem »Pontificale Romano-Germanicum«. Im Verlauf ihrer Zeit als Königin wurde sie von einer consors regni immer mehr zu einer contubernalis coniux an der Seite des Königs, wie MacLean an den Herrscherurkunden und weiteren Quellen im achten Kapitel zeigen kann. Im abschließenden neunten Kapitel fasst der Autor seine Auffassung von der Besonderheit des ottonischen Königinnentums als ein Ergebnis postkarolingischer Politik noch einmal zusammen: Die ottonischen Königinnen wurden durch die unsicheren und sich erst allmählich verfestigenden politischen Strukturen des 10. Jahrhunderts »ermächtigt« und erhielten im politischen und familiären Beziehungsgefüge der ottonischen Herrschaft einen besonders herausragenden Platz. Demnach sind die ottonischen Königinnen nicht nur eine beeindruckende Abfolge von herausragenden Einzelpersönlichkeiten, sondern auch von Strukturen und Umständen geformte und gestärkte Herrscherinnen.
Demgegenüber sieht der Autor die Königinnen der Salier-Dynastie recht spekulativ, wie er selber einräumt, wieder stärker durch die Faktoren geprägt, die auch für die Königinnen der Karolinger galten, nämlich stärkere Konzentration auf den königlichen Haushalt und die königliche Familie. Auch wenn dieser Ausblick auf die post-ottonischen Königinnen etwas überspitzt erscheint, ist am Ergebnis von MacLeans scharfsinniger und gedankenreicher Analyse nicht zu zweifeln, dass sich die stets verändernde politische Lage stark auf den Entscheidungsspielraum der Königinnen auswirkte und auf das Bild, das sich die Zeitgenossen von ihnen machten.
Mit diesem Band erweist sich Simon MacLean einmal mehr als profunder Kenner des chronikalischen wie urkundlichen Quellenmaterials des ottonischen Jahrhunderts und der umfangreichen Forschungsliteratur, die er einer kritischen Prüfung unterzieht. Mit den acht dem Text beigegebenen Genealogien zu den karolingischen Königen seit Ludwig dem Frommen, den Ottonen, der Verwandtschaft von Königin Mathilde, von Königin Edgith, von Königin Gerberga, von Kaiserin Adelheid, von Kaiserin Theophanu und von Kaiserin Kunigunde vermag er das weitverzweigte Beziehungsnetz der ottonischen Königinnen und Kaiserinnen anschaulich aufzuzeigen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claudia Zey, Rezension von/compte rendu de: Simon MacLean, Ottonian Queenship, Oxford (Oxford University Press) 2017, XXIV–247 p., 2 maps, 8 geneal., ISBN 978-0-19-880010-1, GBP 65,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68315