Der von Heather J. Tanner (Department of History der Ohio State University, Columbus/Ohio), einer Spezialistin der westeuropäischen Geschichte des Früh- und Hochmittelalters, herausgegebene Sammelband zu bedeutenden Frauen(gestalten) des Mittelalters und deren Macht- und Herrschaftsausübung zwischen 1100 und 1400 scheint eine eindeutige Antwort auf die vor einigen Jahren von der Rezensentin im Rahmen einer Tagung gestellte Frage nach »Mächtigen Frauen? Königinnen und Fürstinnen im europäischen Mittelalter (11. bis 14. Jahrhundert)« (publiziert 2015 und seit 2018 frei online zugänglich mit englischen Zusammenfassungen aller Beiträge) zu geben.
Doch wie leider nicht selten bei Forschungsliteratur aus dem anglo-amerikanischen Sprachraum tritt diese nicht in Dialog mit der Forschung aus nicht-englischsprachigen Ländern, sondern bleibt weitgehend solitär auf die Kenntnis von Arbeiten aus dem eigenen (Sprach-)Bereich beschränkt. Dementsprechend sind die hier anzuzeigenden 13 Beiträge trotz ihres weiten, Europa und die Kreuzfahrerherrschaften umspannenden inhaltlichen Horizonts Ausschnitte eines die europäische Forschung stark vernachlässigenden inneramerikanischen Diskurses, dessen unzweifelhafte Führungsposition in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sich immer mehr zu verengen droht.
Diese Gefahr spiegelt sich bereits in der Einleitung (S. 1–18) der drei Autorinnen Heather J. Tanner, Laura L. Gataghan und Lois L. Huneycutt wider, wenn diese als Ziel des Bandes, der durch eine Reihe von Panels auf internationalen Kongressen, zuletzt eine Tagung an der Ohio State University selbst, vorbereitet wurde, die Beantwortung der Frage formulieren, wie viele außergewöhnliche Frauen es in herausgehobenen Positionen braucht(e), bevor eine »Frauen-Elite« Herrschaft übernehmen kann (konnte). Der Ansatz, um diese Frage trotz limitierter, hier treffend problematisierter Quellenlage zu beantworten, soll ein Blickwechsel auf die hauptsächlich von Frauen eingenommenen und bespielten Räume sein: weg von der Einschätzung vermeintlich privat-familiärer Sphären und damit einer Marginalisierung von Handlungen und Entscheidungen von Frauen hin zur Wahrnehmung der eminenten politischen Bedeutung von deren Tun im Sinne eines weiten Machtbegriffs.
Diese Auflösung der »Gender-Falle« kann nach mittlerweile mehreren Jahrzehnten intensiver Forschung nicht mehr als sehr originell gelten, allenfalls wurde sie noch nicht auf alle Bereiche weiblicher Herrschaft und vor allem nicht auf alle Königinnen und Fürstinnen, seien sie regnantes und/oder consortes, sowie geistliche und literarisch gebildete Frauen angewendet. Dementsprechend ragen die Beiträge zu weniger berühmten und daher auch weniger gut erforschten Frauen und Frauengruppen in diesem Band deutlich heraus.
Das sind die Beiträge zu Macht und Wirkung bedeutender Frauen in England nach der normannischen Eroberung (von RāGena C. DeAragon, S. 19–43), in dem es um die Witwen königlicher Lehnsmänner geht, zu Isabella de Clare († 1221), der Witwe von Guillaume le Maréchal, und ihren Töchtern (von Linda E. Mitchell, S. 45–65), zu Emma von Ivry († ca. 1080), Nichte Herzog Richards I. von der Normandie, Erzieherin Wilhelms des Eroberers und Mutter von William fitz Osbern (von Charlotte Cartwright, S. 91–111), zu den Kunst und Wissenschaft fördernden Müttern und Töchtern von Ponthieu (von Kathy M. Krause, S. 113–133), zu Jeanne de Belleville († 1359) in ihren verschiedenen Lebensphasen als aktiv handelnde und vor allem ihren eigenen Interessen verpflichtete Ehefrau, Handeltreibende und auch Piratin, wie der »Chronique normande du XIVe siècle« zu entnehmen ist (von Katrin E. Sjursen, S. 135–156).
Des Weiteren gibt es Beiträge zu den Donationen von weltlichen Frauen an das Johanniterhospital in Brüssel im 13. Jahrhundert, die etwa den gleichen Umfang ausmachten wie diejenigen von Männern, aufgearbeitet anhand des Urkundenbestandes dieses Hospitals (von Tiffany A. Ziegler, S. 157–176), sowie zu den Schwestern von St. Maria Magdalena in Speyer und der Wahl ihrer Affiliationen mit interessanten Einblicken in die religiöse Topografie der Stadt am Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert (von Christopher M. Kurpiewski, S. 199–223).
Im Vergleich dazu bieten die Beiträge über Anna von Böhmen († 1394), Tochter Kaiser Karls IV. und erste Frau Richards II. (von Kristen L. Geaman, S. 67–89), über die Frauen der salischen Könige als comites necessariae (von Nina Verbanaz, S. 177–197), genauer zu den Kaiserinnen Gisela, Agnes, Bertha und Mathilde – ein Beitrag, der durch besonders flächendeckende Ignoranz längst geleisteter Forschung auffällt, über Alice († 1145) und Konstanze († 1163) von Antiochia als Beispiel für mächtige Frauen in den Kreuzfahrerherrschaften (von Erin L. Jordan, S. 225–246), über die verheirateten sowie von ihren königlichen Vätern und Brüdern ernannten oder sogar selbsternannten portugiesischen Königinnen im 12. und 13. Jahrhundert (von Miriam Shadis, S. 247–270) und über die verschiedenen Formen von Macht (im Sinne des foucaultschen Machtbegriffs) der seit langer Zeit viel beforschten Katharina von Aragon († 1536), die in ihrer zweiten Ehe und seiner ersten Ehe mit Heinrich VIII. verheiratet war, (von Theresa Earenfight, S. 271–293) vorhersehbare Ergebnisse.
Mitunter fallen die Autorinnen in ein Muster, das man mit »selbsterfüllender Annahme« treffend umschreiben könnte. So werden mittelalterliche Autoren als Königinnen und Fürstinnen gegenüber besonders aufgeschlossen charakterisiert, weil sie weibliche Regierungshandlungen als positiv bzw. genauso normal wie männliche beschreiben. Zu solchen »Erkenntnissen« kann es aber nur kommen, wenn bei den Chronisten eine grundsätzlich frauenfeindliche Haltung vorausgesetzt wird und somit als Ausnahme erscheint, was in vielen Beiträgen dieses Buches als Regel erwiesen wird. Der missglückte Beitrag von Nina Verbanaz ist ein Paradebeispiel dafür, während Erin L. Jordan in ihrem Aufsatz zu den Antiochener Fürstinnen verdeutlicht, dass Machtausübung in den Kreuzfahrerherrschaften durch andere Faktoren als das Geschlecht weitaus stärker determiniert war.
Im Ergebnis hinterlässt dieser Band einen zwiespältigen Eindruck. Neben anregenden, auf bisher noch kaum untersuchten Quellen fußenden Beiträgen gibt es weniger geglückte Versuche, mit einem bis zur Nivellierung geöffneten Machtbegriff weibliches Handeln als powerful darzustellen. Eine klare Antwort auf die in der Einleitung formulierte Ausgangsfrage findet sich in diesem Band nicht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Claudia Zey, Rezension von/compte rendu de: Heather J. Tanner (ed.), Medieval Elite Women and the Exercise of Power, 1100–1400. Moving beyond the Exceptionalist Debate (The New Middle Ages), Cham (Springer International Publishing) 2019, XVIII–310 p., 5 fig., 8 tabl., ISBN 978-3-030-01345-5, EUR 106,99., in: Francia-Recensio 2019/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68326