Seine Geschichte Deutschlands des 19. Jahrhunderts ließ Thomas Nipperdey mit dem Zitatenklassiker beginnen: »Am Anfang war Napoleon«1. Davor aber waren die Revolution und ihre Kriege. Diese Wahrnehmung einer epochalen Zäsur wurde vom Zeitzeugen Johann Wolfgang Goethe beglaubigt. Im Angesicht des vielleicht bekanntesten Gefechts dieser Kriege, des Gefechts von Valmy vom 20. September 1792, schrieb er bekanntlich »Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.2« Diese 30 Jahre nach dem Ereignis niedergeschriebene Bewertung hat sich trotz quellenkritischer Einwände der Forschung in der Wahrnehmung festgesetzt. Der angenommene Zäsurcharakter kontrastiert freilich mit den sehr wenigen deutschsprachigen Forschungen zu den militärischen Ereignissen im kriegerischen Vierteljahrhundert von 1789–1815; anders in Großbritannien. Nach seinen Darstellungen zu den Kriegen Napoleons3 und zu irregulärer Gewalt in dieser Zeit4 untersucht der in Liverpool lehrende Charles Esdaile nun das Jahrzehnt zwischen 1792 bis 1801.
Schon auf der ersten Seite betont der Autor, dass es sich bei diesen Konflikten nicht, wie lange dargestellt, um einen revolutionären Kreuzzug gegen die Mächte der Tyrannei handelte (S. 1, ähnlich S. 26). Schon im Europa des 18. Jahrhunderts war Krieg ein Normalzustand zwischen den europäischen Mächten. Hieraus aber resultierte Frankreichs Finanzkrise, die ab 1787 den Weg zur Revolution einleitete (S. 7). Auch kennzeichnet Esdaile die aufgeklärten Männer der Revolution nicht als Demokraten avant la lettre; vielleicht argumentierten sie radikal, waren aber zunächst sozialkonservativ geprägt (S. 10–15). Das Zusammentreten der Generalstände, der Bastillesturm und die Errichtung der konstitutionellen Monarchie in Frankreich bedeuteten noch keine Umwälzung für das europäische Machtgefüge. Die Entscheidung zum Krieg war nicht vorausbestimmt. Allerdings erwies sich die in Frankreich wie auf Seiten der Koalition zunehmende Kriegsfurcht als eine selbsterfüllende Prophezeiung, als der Krieg am 20. April 1792 begann.
Im Kapitel zu den Armeen des Ancien Régime betont Esdaile im Einklang mit der jüngeren Forschung die militärischen Innovationsprozesse schon im späten 18. Jahrhundert. Zu Recht relativiert er das Narrativ einer gegenüber der Zeit des Ancien Régime ab 1792 totalisierten Kriegführung. Ebenso wenig waren die Streitkräfte der Koalition vormoderne »walk-overs« (S. 50–56). Das Gefecht von Valmy war für Esdaile »perhaps the greatest non-battle in all history«. Dass hier die Revolution gerettet worden sei, hält er für »romantic nonsense« (S. 63, 70). Zumal im Licht der früheren Studien von Timothy Blanning ist diese Bewertung nicht neu5 und spiegelt sich ja auch im deutschen Ausdruck »Kanonade«. Freilich geht Esdaile weniger auf die Deutungsgeschichte ein, sondern er erzählt die Abläufe nah an den Zeitzeugenquellen. In diesem Licht erwies sich das französische Militärsystem als mindestens genauso nepotistisch wie das ihrer Gegenspieler.
Mit der Hinrichtung Ludwigs XVI. im Januar 1793 radikalisierte sich die Kriegsstimmung gegen die inneren und äußeren Gegner. Doch trotz erster Proklamationen zu einer Massenmobilisierung siegten die Truppen der Revolution in den Feldschlachten nicht so naturwüchsig, wie von der späteren Historiographie oft behauptet. Ungeachtet des Zurückweichens der Österreicher war schon die Schlacht von Jemappes im November 1792 nicht wirklich ein französischer Sieg. Auf die französischen Niederlagen bei Neerwinden, bei Famars im Frühjahr 1793 und den Verlust der Festung Mainz folgte im August 1793 das Dekret der »levée en masse«. Entgegen der von der Propaganda gefeierten enthusiasmierten französischen Soldaten wurde die Revolution aber nicht dadurch, sondern durch die Fehler der Koalition gerettet.
Dem französischen Sieg bei Fleurus im Juni 1794 folgte im Monat darauf der Sturz der Terrorherrschaft unter der Ägide Maximilien Robespierres, dessen politische Radikalisierungsrhetorik zum Zweck der Herrschaftsstabilisierung nun nicht mehr verfing (S. 125f.). Mit dem neuen Direktorialregime begann der Ausgriff der Kampfhandlungen auf Deutschland und Italien – und die Karriere des jungen Generals Napoleon Bonaparte. Im Vorgriff auf die im Dezember 1804 von ihm begründete Monarchie nennt ihn Esdaile, etwas anachronistisch, schon jetzt nur beim Vornamen. »Napoleons« Italienfeldzug von 1796 endete trotz des propagandistisch ausgeschlachteten Siegs bei Arcole letztlich unentschieden (S. 136).
Der folgende Frieden von Campo Formio war, so Esdaile, wieder einmal der Uneinigkeit der Koalition geschuldet. Als Grund für den Aufstieg Bonapartes identifiziert er »sheer good fortune«: Seine extreme Risikobereitschaft führte ihn oft an den Rand des Scheiterns und wurde ausgeglichen durch überlegene Taktik und das Vermögen, die Soldaten zu begeistern (S. 142). Das anschließende Kapitel »Sympathy, admiration and collaboration« beleuchtet die Gebiete unter französischer Herrschaft. Sowohl Belgien (also die österreichischen Niederlande), das Rheinland und die italienischen Satellitenstaaten als auch Polen waren Spielbälle der Mächte. Dagegen blieben die Parthenopäische Republik in Süditalien und die Landungen in Irland gescheiterte französische Experimente.
Zwei Kapitel widmet Esdaile den Aspekten von »Resistance and Revolt«. Als ausgewiesener Experte für die Geschichte der irregulären Gewalt stellt Esdaile heraus, wie sehr sich der Krieg nun auch gegen die eigene Bevölkerung richtete. Zeitweise, so von 1806 bis 1813 unter Napoleon, war die Position des Staates so stark, dass die Bevölkerung ruhig blieb. In den bitteren Kämpfen von 1793/94, 1798-1806 und 1814 dagegen wurden Militär und Gendarmerie entweder besiegt oder konnten lediglich Pyrrhussiege erringen (S. 94). In Nordfrankreich blieb der Widerstand der chouans unterschwellig, doch lange wirksam, im Westen eskalierte er zum Bürgerkrieg in der Vendée. Wie schon in seinen Werken zur spanischen Guerilla6 warnt Esdaile vor einer romantischen Überschätzung der Aufstandsbewegungen. Bei rücksichtslosem, massivem und organisiertem Einsatz militärischer Gewalt setzte sich der Staat durch; in der Vendée freilich um den Preis von 100 000 bis zu einer Viertelmillion Todesopfern allein in der Zeit von März 1793 und April 1794 (S. 191). Zahlreiche Aufstände erfolgten auch in den besetzten Gebieten: in der Lombardei und in der Schweiz 1798, in weiten Teilen Italiens 1799 und in den Pyrenäen.
Natürlich kehrt Esdaile auch zu seinem Spezialgebiet der irregulären Gewalt in Spanien zurück. Gerade hier existierten Milizen, die im französisch-spanischen Krieg von 1793 bis 1795 einen Guerillakrieg avant la lettre führten; nicht als »revolutionäre« Kampfform, sondern als altbekannte Praxis. So wenig wie die Truppen der Revolution eine Verklärung verdienen, so wenig gilt dies für die Aufständischen, die oft von Briganten kaum zu unterscheiden waren. Diese »antirevolutionären« wie »antisozialen« Akteure profitierten von der latenten Anarchie, so auch der »Schinderhannes« Johannes Bückler im Hunsrück (S. 201f.).
Das nächste Kapitel »The reaction of the ancien régime« wendet sich der widersprüchlichen Politik der Koalitionsmächte zu. Das folgende Kapitel gilt dann den globalen Bezügen. »In short, if the French Revolution was a world event, it was more a world event in retrospect than it was at the time of its occurence« (S. 270). Der Autor fokussiert sich auf die Ereignisse in der Karibik und in Ägypten. Die ab Mitte 1798 unter dem Kommando Bonapartes begonnene Ägyptenkampagne leitete die Wiederaufnahme der Kampfhandlungen im nun Zweiten Koalitionskrieg ein (S. 276).
Entsprechend unterteilt Esdaile die von ihm beleuchtete Ära in zwei Phasen. So sehr er durch diese Zäsursetzung die Rolle des Korsen herausstellt, so sehr sucht er diesen vom Sockel zu stoßen: Napoleon war nicht der Held und der Befreier gemäß der – nicht zuletzt von ihm selbst gewobenen – Legende (S. 290). Dennoch brachte von nun an sein persönlicher Ehrgeiz von nun an das europäische Staatensystem durcheinander. Wie sich der Befehlshaber der Ägyptenarmee aufgrund der Nachrichten aus Frankreich eigenmächtig von seiner Truppe entfernte, um das Direktorium in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1799 als »Retter« zu stürzen7, erwähnt Esdaile eher kursorisch, was aber angesichts der reichen Literatur hierzu verschmerzt werden kann. Die neue Verfassung erlaubte es dem nunmehrigen Ersten Konsul, die Bedingungen des Friedensschlusses von Lunéville vom 8. Februar 1801 zu gestalten. Damit endete der Zweiten Koalitionskrieg als erste Phase der napoleonischen Kriege; und als solche müssen sie ja erscheinen. Trotz der nun für Frankreich etablierten »natürlichen Grenzen« am Rhein war noch kein grundlegender Wandel in der europäischen Mächtekonstellation eingetreten. »Only with the conquest of Europe unleashed by Napoleon from 1805 onwards would things change, but that is another story« (S. 320).
Trotz der von Esdaile plausibel herausgearbeiteten kontingenten Entwicklungen beglaubigt seine Erzählung den Zitatenklassiker von Thomas Nipperdey. Aus deutscher Sicht mag man Näheres zu den einzelnen Territorien des Reichs vermissen. Diese streift der Autor, abgesehen von der Habsburgermonarchie und den kurzen Ausführungen zur Mainzer Republik, nur kursorisch. Auch unterlaufen ihm vermeidbare Fehler, so wenn einmal Katharina die Große an die Stelle Maria Theresias gesetzt wird (S. 49) oder hinsichtlich der köstlichen, aber eben falschen Schreibweise von »Augsberg and Ingolstädt« (S. 134).
Anders als so viele andere Autoren vor ihm lenkt Esdaile jedoch den Blick den Blick über Mitteleuropa hinaus nach Italien und in den Mittelmeerraum. Für das vom Autor flüssig und anschaulich geschriebene Werk bleibt letztlich nur ein ärgerliches Monitum. Denn der vom Verlag gewählte Satzspiegel erzeugt eine so unübersichtliche Bleiwüste, dass sich das Lesepublikum vorsorglich mit einem Lesezeichen bewaffnen sollte. Die Lektüre aber ist es wert.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Martin Rink, Rezension von/compte rendu de: Charles J. Esdaile, The Wars of the French Revolution. 1792–1801, London, New York (Routledge) 2018, XVI–344 p., ISBN 978-0815-38687-2, GBP 120,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68444