»Summen eines Lebenswerkes vorzustellen ist eine zugleich angenehme wie auch herausfordernde Aufgabe. Handelt es sich dabei um das historiografische Œuvre eines der unumstrittenen Koryphäen seines Faches, so gilt dies für den Rezensenten in besonderer Weise«1. Mir diesen Worten durfte der Verfasser dieser Zeilen vor nunmehr vier Jahren das Erscheinen von Joseph Bergins »The Politics of Religion in Early Modern France« anzeigen. Der Vergleich mit damaligem Anlass und Gegenstand drängt sich heute auf, da es gilt Françoise Hildesheimers Entwurf einer Kirchengeschichte mit speziellem Fokus auf die französische Politik- und Geisteslandschaft zu präsentieren. In der Tat verbindet Bergin und Hildesheimer viel: Beide stellten die französische historia ecclesiastica in das Zentrum ihrer Forschungen, beider Werk gipfelte in bleibenden und maßstabsetzenden Arbeiten zu Armand Jean Cardinal de Richelieu, dies sowohl in Form von maßgeblichen Forschungsarbeiten2, wie auch von großen, für ein breiteres Publikum bestimmten Biografien3.

Anders als Bergin beschränkt sich Françoise Hildesheimer in ihrer Summe allerdings nicht auf eine spezifische Epoche, sondern nimmt die gesamte Kirchengeschichte in toto in Augenschein. Dieser Ansatz erinnert an zahlreiche, meist sehr erfolgreiche Überblicksarbeiten, unter denen hier nur August Franzens »Kleine Kirchengeschichte«, 1965 erstmals erschienen und gegenwärtig in der 27. Auflage (Freiburg 2014) und dritten Überarbeitung immer noch erhältlich, erwähnt sei. Wer sich allerdings ein derartiges Büchlein erwartet, wird im vorliegenden Falle enttäuscht und verwirrt sein.

Anliegen und Intention der Autorin liegen nämlich keineswegs in einer systematischen Aufarbeitung des Gegenstandes (was in dieser Kürze mit zwei Schwerpunktsetzungen wohl auch kaum möglich wäre), sondern in einer Darlegung zentraler Gedanken, welche, nach Sinnzusammenhangs-Kapiteln gegliedert, dem Leser dargeboten werden. Dieses Vorgehen bedingt mitunter eine Abweichung von Chronologie und klassischem Prozedere; so findet sich etwa die für das Verständnis der galli(kani)schen Kirche fundamentale Erzählung über die Vorgänge bei der Taufe Chlodwigs (wahrscheinlich 499) zu Reims nicht zu Anfang, oder in den ersten Sektionen des Bandes, sondern erst auf den Seiten 134f. im Kontext der Erörterung von Kirchenreformen, unmittelbar – im selben Kapitel – gefolgt von der Vorstellung des cujus regio-Gedankens. Daran schon mag die Leserin bzw. der Leser erkennen, dass er sich a priori auf die Selektions- und Präsentationskriterien der Verfasserin einzulassen hat, da sich das Werk ansonsten kaum erschließt.

Der Blickwinkel der Betrachtung(en) schwankt, mitunter originell, zwischen Makro- und Mikrowelten, also zwischen Weltkirche und der im Untertitel evozierten »Fallstudie Frankreich«. Vollständigkeit ist nirgendwo angestrebt, kann es auch nicht sein. Dennoch überraschen manchmal Auslassungen wie Emphasen, dies allein schon bei einem kurzen Blick in den Index – wenn etwa der erst seit sechs Jahren amtierende Papst Franziskus an elf Stellen erwähnt wird, während dies für den immerhin über ein Vierteljahrhundert regierenden Johannes Paul II. nur sechsmal der Fall ist, oder wenn für das Verständnis (und die innere Zerrissenheit) der französischen Kirche der letzten 50 Jahre so illustrative, dabei antipodale Positionen (in Kirchenbild wie Pastoral) repräsentierende Persönlichkeiten wie Mgr Jean-Marie Lustiger (1926–2007) und Mgr Marcel Lefebvre (1905–1991) überhaupt nicht aufscheinen.

In der Summe der Betrachtung kehren wir mit der Feststellung auf unseren Eingangsvergleich zurück, dass die Divergenz zwischen den Resümees Bergins und Hildesheimers nicht größer sein und nicht deutlicher ausfallen könnte. Dieser formale Hinweis versteht sich selbstredend nicht als sachliche oder gar qualitative Wertung. Vielmehr belegt das hier vorzustellende Werk die Mannigfaltigkeit historischer und historiografischer Herangehensweisen und die Wirkmächtigkeiten individueller Sichtweisen und Selektionen.

Die Leserinnen und Leser werden sicher – bei entsprechender Sensibilität für das Spezifische – daraus eine nicht unwesentliche Erkenntnis gewinnen.

2 Françoise Hildesheimer, Richelieu, une certaine idée de l’État, Paris 1985; dies., Relectures de Richelieu, Paris 2000; id., (ed.), Testament politique de Richelieu, Paris 1995; Œuvres théologiques. Tome I: Traité de la perfection du chrétien, Paris 2002; Stéphane-Marie Morgain, Françoise Hildesheimer (ed.) Traité qui contient la méthode la plus facile et la plus assurée pour convertir ceux qui se sont séparés de l'Église, Paris 2005; id. (Hg.), Richelieu, de l’évêque au ministre, La Roche-sur-Yon 2009 (Recherches vendéennes, 16); id. (Hg.), Richelieu de Luçon à La Rochelle (1618–1628), La Roche-sur-Yon, 2018; Joseph Bergin, The Rise of Richelieu, Manchester 21997 (Studies in Early Modern European History).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Josef J. Schmid, Rezension von/compte rendu de: Françoise Hildesheimer, Une brève histoire de l’Église. Le cas français IVe–XXIe siècles, Paris (Flammarion) 2019, 475 p., ISBN 978-2-0814-7025-5, EUR 12,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68450