Ist der Hof da, wo sich der Fürst aufhält? – Johann Heinrich Zedler definiert den vormodernen Hof in seinem »Universal-Lexicon« mit genau diesen Worten: »Hof, wird genennet, wo sich der Fürst aufhält.« Aber nur da? Leonhard Horowski fordert diese viel zitierte Definition heraus, indem er die Welt des Hochadels im 17. und 18. Jahrhundert im wahrsten Sinne des Wortes lebendig werden lässt; – auch ohne den jeweiligen Fürsten in der unmittelbaren Nähe. Da empfindet ein Duellant beispielsweise Genugtuung darüber, dass er seiner Ansicht nach auf den richtigen Sekundanten gesetzt habe, verspürt Minuten später eine verwirrende Leichtigkeit – verursacht durch den Blutverlust, den eine zerfetzte Arm-Arterie mit sich bringt – und fragt sich in Gedanken, ob das nun die Ehre sei (S. 22).

Diese narrative Annäherung an den europäischen Hochadel soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Horowski mit seinem Buch »Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts« ein Werk vorgelegt hat, das akademischen Ansprüchen nicht nur genügt, sondern aus der Sicht des Historikers mit ihnen spielt. Gleichzeitig vermittelt es den Stand der aktuellen Forschung auch einem breiteren Lesepublikum.

Im Zentrum des Buchs steht die dynastische Herrschaftselite des frühneuzeitlichen Europas, eine international vernetzte Adelsgesellschaft, deren Familien- und Patenschaftsverhältnisse sich nicht ohne Weiteres entwirren lassen. Neben regierenden Familien wie den Bourbonen, Habsburgern, Hohenzollern oder Welfen, lässt Horowski auch unbekanntere Adelsfamilien auftreten. Es geht um konkrete Momente in »überfüllten Schlössern«, um kometenhafte Aufstiege und den Fall, der sich im Mikrokosmos der europäischen Adelswelt häufiger offenbart als wenn man sich auf die große europäische Bühne konzentriert.

Horowski bietet in 20 Kapiteln, zu denen noch einige Vorbemerkungen und ein Epilog hinzukommen, eine Fülle von Ereignissen. Er konzentriert sich dabei auf die Geschehnisse hinter den bekannten politischen Entscheidungen. Auf diese Weise gelingt es ihm, das Lesepublikum tief(er) in die zeitgenössischen Aushandlungsprozesse hineinzuziehen. Frühneuzeitliche Diplomatie zwischen Portugal und St. Petersburg, London und Neapel stellt sich keineswegs als rationale Kabinettentscheidung dar, sondern entpuppt sich als mühsam errungener Kompromiss ebenso wie als erbarmungslos durchgesetzte Machtentscheidung. Ohne zu verurteilen, zeigt Horowski wie Rang, Ehre und Familienverpflichtung politische Relevanz erhielten, zuweilen aber auch Trinkvermögen, Intrigen oder der Versuch über die Geliebte des Herrschers darüber entschieden auf gleichsam informellen Wegen zum Ziel zu kommen.

Den Schlüssel zu seinem mehr als 1000 Seiten umfassenden Werk liefert Horowski in der Einleitung. Es gehe ihm darum, »eine fast vergessene Welt zugleich [zu] erklären und [zu] erzählen« (S. 11). Er unterscheidet dabei bewusst nicht zwischen Nebendarstellern und Hauptfiguren der Geschichte und macht damit eindrücklich deutlich wie vielschichtig und zuweilen auch unübersichtlich sich diese Hofgesellschaft für zeitgenössische Beobachter darstellte.

Horowski erreicht sein Ziel, beim Lesen zu unterhalten, zweifellos. Aber sein Buch zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er dabei nicht auf Analysekriterien und Kontextualisierung des Historikers verzichtet! Was sich wie eine Erzählung liest, folgt im Vordergrund einer ereignisgeschichtlichen Chronologie, die immer wieder auf bereits bekannte Figuren wie z. B. den preußischen General von Grumbkow, einen der wichtigsten Berater Friedrich Wilhelms I., zurückkommt, um das Tableau der vielen Namen, Ränge und Verwandtschaftsverhältnisse nicht überzustrapazieren. Für denjenigen, den es interessiert, lassen sich innerhalb dieser Erzählstruktur allerdings historische Schichten und Themenkomplexe ausmachen.

Einleitend benennt Horowski selbst fünf Themenkomplexe (S. 10), die er durch den »Blick hinter die Kulissen« thematisiert. Drei der fünf Themen treten besonders hervor: die Geschichte der Familienstrukturen, des Krieges und der Diplomatie. Aber ob Horowski damit recht behält, dass die Leserinnen und Leser seines Buches am Ende auch mehr über die beiden anderen Forschungszugriffe – die Geschichte der europäischen Staatsbildung und frühneuzeitliche Geschlechterbeziehungen – wissen werden? Hier kommt es vielleicht doch mehr auf die Vorbildung jedes Einzelnen an. So lassen sich die entsprechenden Impulse der Forschung in den einzelnen Kapiteln zwar nachweisen, sie sind mitunter gekonnt in die Erzählebene hineingewoben, aber sie erschließen sich für das breite Lesepublikum doch eher in Zusammenhang mit den Quellen- und Literaturhinweisen im Anhang.

An dieser Stelle wird jedoch ein wichtiger Punkt deutlich: Das Buch liest sich gut! Mag der ein oder andere Leser bei mehr als 1000 Seiten ggf. noch Längen oder Redundanzen erwartet haben, so erweisen sich diese Bedenken bereits nach wenigen Seiten als gegenstandlos. Horowski gelingt der Spagat zwischen Detailfreude und Spannung. Ja, mitunter sorgt sogar ein gewisser Sprachwitz für Vergnügen zwischen den Zeilen; etwa wenn Horowski schreibt, wie Erzbischof Potocki »dem französischen Botschafter [...] mit leuchtenden Augen die Millionensummen vorrechnete, die der Wahlkampf in einem demokratisch anspruchsvollen System [wie in Warschau] kosten würde« (S. 574).

Alles in allem erfüllt das Werk seine eingangs gesetzten Ziele: Ausgehend von der gesellschaftlichen Bedeutung des Hofes, mit besonderem Augenmerk auf den Amtsträgern und dem Personenkreis im engen Umfeld der Herrscherfamilien, tritt die Eigenlogik europäischer Herrscherfamilien deutlich hervor. Betont werden ihr dynastisches Politikverständnis und dynastische Eigeninteressen. Dadurch bietet das Buch eine gelungene Lektüre, um die noch häufig genug als Einbahnstraße in die Moderne präsentierte Geschichte der Frühen Neuzeit kritisch zu reflektieren.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Britta Kägler, Rezension von/compte rendu de: Leonhard Horowski, Das Europa der Könige. Macht und Spiel an den Höfen des 17. und 18. Jahrhunderts, Rowohlt 2017, 1119 S. (Rororo 62913) ISBN 978-3-499-62913-6, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2019/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68452