Nach seiner großangelegten Geschichte zum Dreißigjährigen Krieg1 hat Peter H. Wilson nun ein Buch zu einer der bedeutsamsten Schlachten dieses Großkonflikts vorgelegt. In der Reihe »Great Battles« behandelt er die Schlacht bei Lützen. Bedeutsam war dieses Großereignis vom 16. November 1632 (nach dem julianischen Kalender: am 6. November) weniger aus rein militärischer Sicht, so Wilson. Bereits in der Einleitung betont er, dass hier weder die größte noch die blutigste Schlacht des Dreißigjähren Krieges geschlagen wurde, wohl aber die am besten »erinnerte« (S. 1). So behandelt sein Buch letztlich die »Geschichte der Geschichte«. Denn trotz des uneindeutigen Ergebnisses auf dem Schlachtfeld behielt es die protestantische Seite, anknüpfendend an den Schlachtentod des schwedischen Königs Gustav Adolf, als großen Sieg im Gedächtnis.
Nur knapp skizziert der Autor die Kriegshandlungen des Dreißigjährigen Krieges bis zu deren vorläufigen Ende im März 1629. Es hätte ein elfjähriger Krieg bleiben können. Die Landung des Heeres unter Gustav Adolf am 6. Juli 1630 in Peenemünde leitete eine neue Phase ein, die die protestantisch-deutsche Geschichtsschreibung als die entscheidende herausstellte: Nach der Zerstörung Magdeburgs durch das kaiserliche Heer im Mai 1631 sicherte der schwedische Sieg bei Breitenfeld vier Monate später und der anschließende triumphale Feldzug nach Süddeutschland im Frühjahr 1632 dem Schwedenkönig einen fortwirkenden Heldenruhm. Auf der Gegenseite erfolgte unter dem wiedereingesetzten Generalissimus Albrecht von Wallenstein die Sammlung des kaiserlichen Heeres. Es folgte die Verlegung des Operationsschwerpunkts über Franken nach Sachsen, um dort die Entscheidung zu suchen: bei Lützen.
In seiner knappen Beschreibung der Schlacht selbst zeigt Wilson, welcher Wert einer kritischen Geschichte von Operation und Taktik nach wie zukommt. Denn einerseits widerlegt er die an den Gustav-Adolf-Mythos geknüpfte Erzählung eines rückständigen kaiserlichen Kriegswesens, andererseits akzentuiert er, dass auch die schwedischen Kräfte jene Perfektion vermissen ließen, die ihnen die nachherige Kriegsgeschichtsschreibung zuschrieb. An der Schlacht waren auf der schwedischen Seite knapp 19 000, mittlerweile überwiegend deutsche Soldaten beteiligt. Diese rückten gegen die Position der auf einem Höhenzug aufgestellten 14 000 Kaiserlichen unter Wallenstein vor, bis letztere durch die von Westen heranrückenden rund 5000 Mann unter dem General Gottfried Heinrich zu Pappenheim verstärkt wurden. Der schwedische Angriff auf das kaiserliche Heer wurde bereits in der Annäherung durch das Gelände verzögert und der gegen Mittag vorgetragene schwedische Angriff abgewiesen. Hier geriet Gustav Adolf in jenes Handgemenge, das ihm das Leben kostete.
Parallel hierzu waren die Truppen Pappenheims eingetroffen und eröffneten einen Angriff auf die rechte schwedische Flanke, wobei auch dieser im Gefecht fiel. Die Nachricht vom Tod Gustav Adolfs veranlasste den ehrgeizigen Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar zu einem Vergeltungsangriff auf die rechte Flanke der Kaiserlichen, bis der durch die verlustreiche Schlacht deprimierte, ja traumatisierte Wallenstein entschied, die Schlacht abzubrechen. Die Verluste des kaiserlichen Heeres betrugen mit 4.000 Gefallenen ein Viertel, die der Schweden mit 6000 Mann ein Drittel ihrer Gesamtstärke. Nach den Kriterien der Zeit war das ein, wiewohl teuer erkaufter, schwedischer Sieg. Doch ermöglichte der geordnete Rückzug den Kaiserlichen eine grundlegende Neuformierung der bald wieder rund 100 000 Mann umfassenden Armee. Auch taktisch bewertet Wilson Lützen als Unentschieden.
Wilson betont, dass die militärischen Lern- und Innovationsprozesse bei allen Kriegsteilnehmern aufeinander bezogen waren. Dies blieb in der späteren Militärgeschichtsschreibung mit ihrem Fokus auf »große Männer« (die sich bei Lützen ja gegenüberstanden) tendenziell ausgeblendet. So ermöglichten die organisatorisch-taktischen Reformmaßnahmen dem kaiserlichen Heer den Triumph von Nördlingen von September 1634 und damit die erneute Dominanz über Süddeutschland. Auch führte die namentlich von protestantischer Seite erfolgende Verschriftlichung des Militärwissens dazu, dass spätere Militärhistoriker wie Hans Delbrück zu Anfang des 20. Jahrhunderts Stadien und »Schulen« identifizierten. Dem folgte ein halbes Jahrhundert später das von Michael Roberts etablierte Konzept einer »Military Revolution«. Dieser lange fortwirkenden Modernisierungserzählung erteilt Wilson eine Absage: Er betont die wechselseitig verflochtenen Evolutionsprozesse militärischer Innovation.
Bereits mit der Nachricht von seinem Tod und der Plünderung seines Leichnams begann der Opfermythos um Gustav Adolf (S. 118–121). Dabei war die Märtyrerrolle durch die von diesem offen zur Schau gestellten früheren Verwundungen bereits vor-angelegt. Der Ort selbst blieb für fast zwei Jahrhunderte unbedeutend. So erfolgte eine Trennung der Erinnerungsstränge bezüglich Ort, Schlacht und König (S. 131). Spätestens aber die dramatisch ausgeschmückte Geschichtsschreibung Friedrich Schillers wies Lützen einen Platz als Wendepunkt in der Geschichte zu. Kurz darauf und im Angesicht der aktuellen napoleonischen Kriege etablierte sich das Narrativ vom »Teutschen Krieg« als nationaler Katastrophe (S. 141–143). Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wuchs auch das Interesse für den Ort, der der lokalen wie der nationalgestimmten Bevölkerung die Gelegenheit bot, Heimat-, Landes- und Nationalgeschichte in größere Bezüge zu stellen.
Anlässlich der Zweihundertjahrfeier von 1832 konstituierte sich hier der Gustav-Adolf-Verein (ab 1946: Gustav-Adolf-Werk), fünf Jahre später stand das durch Spenden finanzierte und von Karl Friedrich Schinkel entworfene Denkmal. Parallel avancierte Lützen auch zu einem Ort der schwedischen Nationalerzählung, sodass sich im frühen 20. Jahrhundert eine »germanische« Erinnerungsgeschichte erhob, in deren Zeichen auch die Dreihundertjahrfeier von 1932 stand. Freilich drosselte das NS-Regime diese Begeisterung angesichts der sich abzeichnenden Neutralität Schwedens. Gleichwohl blieb Lützen eine Pilgerstätte für schwedische Besucher, auch nach 1945. Zudem erwies sich die verbreitete, doch unzutreffende Annahme, die Gedenkstätte sei exterritoriales Gebiet, als förderlich für deren Pflege im Rahmen der DDR-Nischengesellschaft. Wilson verweist somit auf Grenzen der gesteuerten Erinnerungskultur des NS- und des DDR-Regimes: Denn Gustav Adolf war zu christlich, um von diesen erinnerungspolitisch instrumentalisiert werden zu können. In den Jahren nach 1990 wurde die Ausstellung neu konzipiert, das Gedenken von protestantischen in ökumenische Formen überführt und die Erforschung historisch-kritisch fortgeführt. Dennoch bezweifelt es Wilson, dass diese Entwicklungen bereits allzu stark in die Öffentlichkeit hinein ausgestrahlt hätten (S. 176–179).
Zum Schluss wiederholt Wilson: Lützen war kein schwedischer Sieg (S. 180). Und der nachhaltige Eindruck, es sei anders, fußt auf der protestantischen hagiographischen Überhöhung des Schwedenkönigs. In der Tat: Schlachten sind Erinnerungsorte. Es lohnt es sich, ihre Geschichten zu erzählen; vorausgesetzt, diese Erzählung fällt so aus wie in Wilsons lesenswertem Buch. Es ist ein Brückenschlag zwischen Militär-, Politik- und Kulturgeschichte.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Martin Rink, Rezension von/compte rendu de: Peter H. Wilson, Lützen. Great Battles, Oxford (Oxford University Press) 2018, XXII–248 p., 21 ill., 6 maps, ISBN 978-0-19-964254-0, GBP 18,99., in: Francia-Recensio 2019/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68466