Kein Rohstoff hat die Geschichte Europas so geprägt wie die Kohle. Sie hat den technischen Fortschritt auf dem alten Kontinent in Schwung gebracht, sie hat Kriege mit entfacht und sie hat Europa Frieden gebracht. Angesichts der vielfältigen Rolle des Rohstoffes überrascht es, dass erst zum Ende des (europäischen) Kohlezeitalters Franz-Josef Brüggemeier eine Geschichte des »Grubengoldes« vorgelegt hat. Mit dem enzyklopädischen Rückblick auf zweieinhalb Jahrhunderte Kohleabbau in Europa kehrt der inzwischen emeritierte Inhaber des Freiburger Lehrstuhls für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte zu seinen wissenschaftlichen Anfängen zurück, die dem Leben und Arbeiten der Bergleute im Ruhrgebiet gewidmet waren.

Vom Ende des Kohlebergbaus in der Bundesrepublik Deutschland blickt der also wie kein Zweiter berufene Autor bis zu den (mythischen) Anfängen der Kohleförderung zurück: Das »Grubengold« brauchte nämlich mehrere Jahrhunderte – und wohl eine »Energiekrise« um 1800 – bis es zunächst langsam und dann immer stärker zu »glänzen« begann. In der »Vorgeschichte« der »nicht-industriellen« Kohleförderung macht Brüggemeier dem Leser die menschlichen, politischen und technischen Vorrausetzungen des »Siegeszuges der Steinkohle« klar: Ohne die gewonnenen Erfahrungen, die rechtlichen Rahmenbedingungen und die revolutionären Erfindungen des späten 18. beziehungsweise frühen 19. Jahrhunderts hätte das »eigentliche« Zeitalter der Kohle um 1850 kaum beginnen können.

Dass der Rohstoff dann etwa ein Jahrhundert die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen in Europa bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts entscheidend prägte, legt der Autor im Zentrum seiner Darstellung überzeugend dar. Ohne die Kohle hätten sich die Verhältnisse zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, die einzelnen Parteien und die technischen Innovationen in andere Richtungen entwickelt, wäre wohl die »Carbon Democracy« nicht entstanden, hätten auch andere Branchen als der Maschinenbau, die Chemische und die Automobil-Industrie die führende Rolle in den europäischen Volkswirtschaften übernommen. Insofern spricht der Autor zu Recht von einer »eigenständigen Epoche«, die jedoch alles andere als abgeschlossen ist. Schließlich prägte der – zunächst verschwenderische, dann immer zurückhaltender werdende – Umgang mit der aus der Kohle gewonnenen Energie auch unser Verhältnis zur »natürlichen« Umwelt und veränderte und verändert so nachhaltig das Klima auf der Erde, dass das »Zeitalter der Kohle« noch auf absehbare Zeit nachwirken wird.

Diese Nachwirkungen hatte keiner bedacht, als nach dem Zweiten Weltkrieg Europa sich an den Wiederaufbau machte und nicht zuletzt die Politik »König Kohle« auf jenen Thron hob, den sie dann über Jahrzehnte wieder zu demontieren hatte. Über 50 Jahre brauchte zum Beispiel die Bundesrepublik, um den aus dem ökonomischen Bedarf der Nachkriegszeit resultierenden politischen Wunsch nach einem starken Steinkohlebergbau der wirtschaftlichen Wirklichkeit Westdeutschlands anzupassen, das – wie die übrigen Länder Europas auch – schnell in Öl und Gas, dann in der Atomkraft den Energieträger der Zukunft sah. Dass schließlich die »Zweite Energiewende« in Deutschland mit dem Ausstieg aus der Kernenergie auch das Ende des Steinkohlebergbaus in Westeuropa herbeiführte, ist nicht zuletzt der Tatsache geschuldet, dass im »Zeitalter der Kohle« durch die Verbrennung der wichtigsten Ressource der letzten 250 Jahre so viel Kohlendioxid in die Atmosphäre gebracht wurde, dass sich die klimatischen Verhältnisse auf der Erde grundlegend zu ändern begannen.

Leider problematisiert der Autor diese langfristigen Folgen der Herrschaft des »König Kohle« genauswenig wie er im Sinne einer naturgeschichtlich inspirierten »Big History« eine Einführung in die Entstehung des Rohstoffes gibt. Der ist ja bekanntlich nichts anderes als ein Teil jenes gigantischen Kohlendioxidspeichers, der in der erdgeschichtlichen Entwicklung angelegt worden ist. Seine Freisetzung durch die Verfeuerung des »Grubengoldes« dürfte – trotz der aktuellen Bemühungen – das Klima mindestens so lange beeinflussen wie das »Zeitalter der Kohle« dauerte. Für die damit indirekt von der Kohle beherrschte Zukunft liegt mit »Grubengold« ein enzyklopädischer Überblick über eine 250jährige Geschichte vor, die trotz des mitunter ermüdenden Duktus lesenswert ist und zum Nach- und Weiterdenken einlädt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Claus W. Schäfer, Rezension von/compte rendu de: Franz-Josef Brüggemeier, Grubengold. Das Zeitalter der Kohle von 1750 bis heute, München (C. H. Beck) 2018, 456 S., 24 Abb., ISBN 978-3-406-72221-9, EUR 29,95., in: Francia-Recensio 2019/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68524