Mit seiner Dissertation schließt Lukas Cladders eine Lücke der transnationalen Museums- und Institutionengeschichte, die sich bisher nur in einzelnen Aufsätzen, jedoch nicht in einer umfassenden Studie dem Office international des musées (OIM), der im Jahr 1926 gegründeten Vorläuferorganisation des International Council of Museums (ICOM), zugewendet hat1. Cladders widmet sich der Entstehungsgeschichte und dem frühen Wirkungsumfeld des OIM und untersucht seinen Wirkungsbereich sowie die Dynamiken seiner Implementierung anhand von vier Institutionen, dem Kaiser-Friedrich-Museum in Berlin, dem Musée du Louvre in Paris, dem Kunsthistorischen Museum in Wien und den Musées royaux des Beaux-Arts de Belgique in Brüssel. Das Buch fokussiert dabei nicht, wie der Titel es nahe legen könnte, auf die Sammlungs- und Ausstellungskonzepte der genannten Gemäldegalerien, sondern auf »die durch den Ersten Weltkrieg bedingten Veränderungen des ›ordnenden‹ Rahmens musealer Tätigkeit und [den] Umgang der Gemäldegalerien mit diesen« (S. 13).

Diese Fallbeispiele sind treffend gewählt, da sie die komplexe Situation der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg verdeutlichen, in der nicht nur die vormaligen Kriegsmächte miteinander im Konflikt standen, sondern auch vielzählige Kooperationen von Fachleuten beispielsweise in Inventarisierungsprojekten schon wieder früh die nationalen Grenzen transzendierten. Ein weiterer zentraler Aspekt des Buches, der im Titel nicht anklingt, jedoch einen wichtigen Hintergrund bildet, ist die Kontroverse, die in der Zwischenkriegszeit über die Beanspruchung und Rückforderung von Kulturgütern in Europa ausgetragen wurde, wobei sich Konzepte eines nationalen Kulturerbes und eines patrimoine de l’humanité gegenüberstanden.

Der OIM entstand in einem politisch geladenen Spannungsfeld, in dem sich nationalstaatliche, lokale und institutionelle Interessen sowie die Ambitionen transnational kooperierender Expertinnen und Experten sowie Museumsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter überlagerten. In methodischer Hinsicht nähert sich Cladders diesem Gegenstand aus dem Blickwinkel der transnationalen Geschichte und der Histoire croisée und folgt damit dem Anspruch »kulturellen Austausch als Folge transnational agierender Akteursgruppen und Transferprozesse nicht als einfachen Austausch, sondern als ›tortuos process‹ mit widersprüchlichen Entwicklungen zu verstehen« (S. 30)2.

Dieses Ziel ist ambitioniert, dennoch wird ihm der Autor durch eine detailreiche Kontextualisierung seiner Fallbeispiele und auch durch die Transparenz hinsichtlich der vereinzelten Lückenhaftigkeit seiner umfassenden Quellenbasis gerecht.

»Alte Meister – Neue Ordnung« gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil, bestehend aus Kapitel 2 und 3, beleuchtet Cladders die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen musealer Praxis und internationaler Kooperation vor der Entstehung des OIM. Dabei werden die Herausforderungen und Problemfelder deutlich, auf die eine solche internationale Organisation reagieren musste: Kapitel 2.1 stellt zum Beispiel den Antagonismus in Fragen des »Kulturgüterschutzes« zwischen Deutschland und Belgien dar, mit Wilhelm von Bode auf der einen und Hippolyte Fierens-Gevaert auf der anderen Seite. Kapitel 2.5 lenkt den Blick auf »Blockbuster«-Ausstellungen, die als diplomatisches Mittel, aber auch zum Zweck der nationalen Selbstdarstellung, über Länder- und Institutionsgrenzen hinweg organisiert, von vielen Museen jedoch auch kritisch bewertet wurden.

Kapitel 3 untersucht frühe Beiträge zur grenzübergreifenden Zusammenarbeit und berücksichtigt in besonderem Maß den Beitrag des Pariser Internationalen Kunsthistorischen Kongresses im Jahr 1921, bei dem museografische Diskussionen geführt wurden, die später im OIM aufgegriffen wurden (Kapitel 3.1). Der zweite Teil des Buchs beleuchtet die Entstehung des OIM (Kapitel 4.1) sowie die Tätigkeitsfelder der Institution (Kapitel 4.2). Es ist damit ein besonderes Verdienst des zweiten Teils der Studie, den politischen Kontext des OIM und sein Hervorgehen aus der Commission internationale de coopération intellectuelle ebenso herauszustellen wie die Rolle zentraler Akteure, wie z. B. Henri Focillons und Max J. Friedländers.

Da Cladders die lokale Perspektive auf Museen aufbricht und stattdessen die Dynamiken zwischen OIM und Gemäldegalerien »an der Schnittstelle von Akteuren und Institutionen […] pragmatisch und flexibel« (S. 29) untersucht, rücken in seiner Studie Museumsmitarbeiter wie bspw. Henri Verne und Wilhelm Waetzold in den Blick, die eher als »›Manager‹ denn als Fachwissenschaftler« (S. 467) agierten und selten Gegenstand der Museumgeschichte sind. Es ist eine verpasste Chance, dass der Beitrag von häufig marginalisierten Museumsarbeiterinnen wie Marguerite Devigne, Erica Tietze-Conrat und Grete Ring zwar genannt, jedoch nicht dargestellt wird (S. 305).

Dies schmälert jedoch nicht den wichtigen Beitrag, den »Alte Meister – Neue Ordnung« zur transnationalen Museumsgeschichte leistet. Die Studie unterzieht Anspruch und Wirklichkeit des OIM einer kritischen Prüfung und stellt dabei fest, dass die Institution im Jahr 1930 noch nicht fest in der Fachgemeinschaft der europäischen Museumsexpertinnen und -experten etabliert war. Cladders öffnet den Blick auf Kompetenzfelder wie die muséographie, sowie die Konservierung und Restaurierung von Gemälden, die der OIM erfolgreich besetzte, dabei aber auch potenziellen Konflikten mit Konkurrenzorganisationen wie dem Museumsverband und dem Internationalen Kunsthistorischen Kongress auswich. Cladders zeichnet somit auch ein reiches Bild der Museumspraxis und der Vernetzung von Museumsexpertinnen und -experten in Frankreich, Belgien, Deutschland und Österreich in der Zwischenkriegszeit, das über den Untersuchungsgegenstand hinausweist.

1 Vgl. Christina Kott, The German Museum Curators and the International Museum Office, 1926–1937, in: Andrea Meyer, Bénédicte Savoy (Hg.), The Museum is Open. Towards a Transnational History of Museums 1750–1940, Berlin 2014, S. 205–217.
2 Cladders verweist hierbei auf Michael Werner, Bénédicte Zimmermann, Vergleich Transfers, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28/4 (2002), S. 607–636.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Annabel Ruckdeschel, Rezension von/compte rendu de: Lukas Cladders, Alte Meister – Neue Ordnung. Kunsthistorische Museen in Berlin, Brüssel, Paris und Wien und die Gründung des Office international des musées (1918–1930), Köln, Weimar, Wien (Böhlau) 2018, 542 S., 51 s/w Abb., 10 farb. Taf., ISBN 978-3-412-50936-1, EUR 80,00., in: Francia-Recensio 2019/4, 19./20. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2019.4.68526